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Entspannt lege ich meinen Kopf zurück, schließe meine Augen und lausche andächtig dem leisen Plätschern des Wassers. Das warme Nass fließt über meinen Kopf. Langsam durchdringt es die dichten Haare bis es meine Haut darunter erreicht. Ein verirrter Tropfen rinnt in mein Dekolletee. Öffne kurz die Augen um den frechen Spritzer auf zuhalten, doch dann lasse ich es sein. Es fühlt sich gut an. Außerdem ist er ohnehin keck zwischen meinen Brüsten verschwunden und vereinigt sich gerade mit einem der Schweißtropfen. Meine Haare sind mittlerweile vollgesogen mit Wasser, werden schwerer und lassen meinen Kopf noch tiefer nach hinten sinken. Meine Augen sind wieder geschlossen. Mit einem Mal fühle ich zwei Hände, die sich in meine Haare hinein wühlen. Sanft mit leichtem Druck spüre ich jeden einzelnen der zehn Finger auf meiner Kopfhaut. So schön, denke ich. Eine angenehme Stimme fragt mich, ob es denn so für mich angenehm sei. Ja, wunderbar, sage ich dankbar. Bitte nicht aufhören, denke ich. Vorsichtig massieren die weichen Finger meinen Kopf. Das Rauschen des Wassers erinnert mich an das kleine Bächlein in einem Wald.

Wann war ich zuletzt in einem Wald?  Die Massage soll nie enden, denke ich. Sind das tatsächlich die ersten sanften Berührungen seit damals? Angestrengt versuche ich mich zu erinnern. Das Plätschern verstummt kurz. Die zehn Finger über mir wissen genau was sie tun müssen, um es mir so angenehm wie möglich zu machen. Sie kreisen weiter über meine Haut, durch meine nassen Haare. Die Zeigefinger drücken sanft gegen meine Schläfen, stoppen kurz und machen weiter mit ihrer angenehmen Wanderung über meinen Kopf.

Wandern, waren wir damals wandern? Mir fällt es nicht mehr ein. Aber es ist auch egal. Vielmehr bin ich entsetzt, wie lange das schon her ist. Zwei Jahre, nein fast drei Jahre. Das kann doch nicht sein? Mich schaudert. Die Stimme über mir fragt abermals, ob es für mich so in Ordnung sei? Ja, passt alles, sage ich kurz.

Nein, ist es nicht. Ich bin soeben drauf gekommen, dass ich heute das erste Mal nach ewigen Zeiten sanft berührt werde. Dass ich fremde, warme Hände auf meiner Haut spüre. Inzwischen haben aber auch diese Hände von mir abgelassen. Sie wickeln mir noch gekonnt die frisch gewaschenen Haare in ein weiches Handtuch ein. Langsam stehe ich auf und gehe wieder zu meinem Platz vor dem Spiegel. Ich schaue mir die Frau darin an. Sieht man mir das an? Na wirklich entspannt sehe ich nicht gerade aus, denke ich mir. Die weichen Hände kommen wieder zu mir. Die dazugehörige äußerst liebevolle Dame setzt sich auf ihren Rollhocker neben mich. Vorsichtig kämmt sie meine Haare und zeigt mir, wie viele Zentimeter sie davon abschneiden will. Ich vertraue ihr schon seit vielen Jahren. Noch immer mit dem Gedanken befasst, warum ich schon so lange keinen körperlichen Kontakt zu anderen Menschen hatte. Doch auch wenn ich sie schon so lange kenne, ich möchte nicht wirklich mit ihr darüber sprechen. Ich erzähle ihr von meinen künstlerischen Aktivitäten. Sie freut sich mit mir, dass es scheinbar gut voran geht. Nachdem sie die Haare perfekt mit der Schere in Fasson geschnitten hat, wirft sie noch kurz den Fön zum Trocknen an. Wunderbar, das tut gut. Ich liebe einfach meine Haare. Sie waren schon immer meine persönlichen Favoriten an mir. Irgendwie haben sie eine besondere Bedeutung für mich, warum auch immer. Sie freut sich, dass es mir gefällt. Ich freue mich schon auf das nächste Mal.

Wan wird mein nächstes Mal sein?  Nicht das,  beim Friseur. Das hängt ausschließlich von meinen Finanzen ab. Nein, wann werden meine Haut wieder fremde Hände berühren? Fremde, die vertraut werden mit der Zeit. Die von Mal zu Mal meinen Körper kennen lernen. Die ebenso Bescheid wissen, was sie zu tun haben, damit ich mich wohl fühle. So dass ich mich entspannt zurück lehnen kann, wie am Waschbecken beim Coiffeur.

Werde ich das noch können? Nach so langer Zeit. Diese scheiß Krankheit. Sie hat mir meinen Job genommen, sie hat mich finanziell ruiniert, sie hat mich einsam gemacht, sie demütigt mich, sie zerstört mir einfach mein Leben. Aber vor allem hat sie mir das Vertrauen zu den Menschen genommen.

Gut, das erste Jahr nach der Trennung von meinem damaligen Partner hatte ich ohnehin keine Ambitionen mich bald wieder auf eine neue Beziehung ein zu lassen. Außerdem waren diese Gedanken bezüglich Nähe ohnehin nicht in meinem Kopf. Die Therapien, die Arztbesuche, das zu Hause einsperren, die Trauer, die Verzweiflung, die Ängste haben mich viel zu sehr beansprucht. Vor allem die Angst von Menschen abgelehnt zu werden. Argwöhnisch gegenüber fast Jeden den ich begegnete. Zu sehr wurde ich in meinem Vertrauen zu den Menschen verletzt. Nicht nur das, des Partners, nein da waren noch viele andere, die mir sehr weh getan haben. Ich habe mir weh tun lassen. Ist es tatsächlich so? Ich weiß es nicht.

Heute, wo mir diese Erkenntnis,  unter der wärmenden Haardusche, wie ein kalter Schauer  hoch gekommen ist, bin ich nicht nur entsetzt. Nein gleichermaßen bin ich sehr erstauntdarüber, dass ich es so lange ohne Sex und Zärtlichkeit ausgehalten habe. Egal mit oder ohne fixen Partner.

Meine Allerliebste ist ja immer sehr offen und absolut ehrlich zu mir. Sie meinte ebenso vor kurzer Zeit: „Mädel es wird Zeit!“ Ja, nur wo hernehmen und nicht stehlen. Nein, nicht das Geld, einen Mann. Muss es denn jetzt wirklich gleich der sein, der mit mir bis ans Lebensende die Lebensbank drückt? Grundsätzlich nicht. Heutzutage ist Sex mit keinerlei Verpflichtungen verbunden. Das war viele Jahre auch für mich absolut ok, im Gegenteil manchmal habe ich das sogar gnadenlos ausgenutzt und genossen. Ab und an wohl auch damit arrangiert.  Mir war es nicht so wichtig, ob der Typ mich nochmal sehen wollte oder nicht. Nein,  nicht immer. So Mancher hatte schon mehr zu bieten, als lediglich geilen Sex. Dennoch blieb es meist bei erotischen Bekanntschaften. Manchmal kam so etwas wie Sympathie und eine Art Freundschaft dazu. Gefühle waren zwar auch ab und an im Spiel, doch von Liebe nicht wirklich eine Spur. Romantische Avancen vielleicht, so etwas wie Strohfeuer, aber keine ganz tiefgehenden Gefühle. Das war damals auch alles in Ordnung, da ich ziemlich stabil durchs Leben ging.

Doch heute? Würde ich eine derartige spielerische Beziehung überhaupt zulassen können? Ohne wieder Angst zu bekommen, Ablehnung zu spüren? Ich weiß es nicht. Welcher Gefahr setze ich mich aus, wenn ich mich wieder auf die „Piste“ begebe? Muss ja nicht gleich die Hahnenkamm Abfahrt sein. Ein weiterer Absturz wäre fatal. Was tun? Nähe und Wärme gibt es nicht zu Kaufen. Und selbst wenn ich Geld dafür hätte, was würde sie Wert sein?

Berühren und sich berühren lassen. Gibt es Menschen, die das nicht vermissen? Ich hatte vergessen, wie schön das ist. Die Krankheit und Medikamente haben diese Empfindungen gelöscht. Mein scheinbar nicht vorhandener Körper, der wohl abgestorben und immun gegen jegliche Gefühle war. Ummantelt mit einer dicken Isolierschicht, die sämtliche Reize aussperrte. Doch jetzt ist die Sehnsucht danach, wieder erwacht. Die Sensoren dafür wurden ein wenig freigelegt. Behutsam werde ich meine Fühler ausstrecken. Obendrein weiß ich gar nicht so Recht, was mein Körper rein physisch aushält. Wahrscheinlich ist es ähnlich wie beim Sport, langsam beginnen und anschließend stetig steigern. Nicht das ich Sex und Erotik als Leibesübung betrachte, aber ein wenig Kondition gehört wohl schon dazu, denke ich. Vielmehr ist körperliche Nähe, egal ob mit mehr oder weniger Liebesgefühlen, eines der schönsten Annehmlichkeiten, die sich Menschen bereiten können. Sexualität um die Produktion von Glückshormonen im Hirn zu fördern. Und nicht ausschließlich depressive suizidale Gewitterwolken-Gedanken, die sich ständig wie eine Schlechtwetterfront im Kreis drehen.

Ich hoffe, es dauert nicht abermals 999 Tage, bis zum nächsten, ersten Mal!

©Bluesanne bedankt sich fürs Lesen!

..mit einem kleinen Augenzwinkern ;) versehen, ein Song dazu,  der kompatibel scheint

LaBelle - Voulez vous coucher avec moi ce soir? (Lady Marmalade) / 1974

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