Blog-Bild: "HeartBeat" - by Bluesanne
Breitbeinig steigt er von seinem Motorrad. Dieses Zweirad war sein ganzer Stolz. Etwas dreckig sieht sie aus, nach der langen Fahrt. „Hey Baby, meine Miss America, Du kriegst nachher eine sanfte Politur verpasst“, flüstert er seinem geliebten Bike zu. Er selbst wirkt auch ein wenig mitgenommen. In seinem knappen Leder – Outfit hält man ihn zwar für einen frischen Mitvierziger. Doch wenn man seine unzähligen Geschichten aus längst vergangenen Tagen kannte, wusste man, das kann nicht ganz hinkommen. Mehr als dreihundert Musikfestivals hat er in seinem bisherigen Leben besucht.
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Zu Beginn der Siebziger hatte alles begonnen. Damals, als er noch mit seinem auf frisiertem Moped los fuhr. Weg von den spießigen Eltern Daheim. „Born to be wild“ – so wie sein großes Vorbild Henry Fonda im Film „Easy Rider“. Niemand wusste so wirklich von seinen Plänen. Lediglich sein Opa half ihm das Moped zu tunen. „Also, was brauchst mein Bub!“, sagte er zu ihm. Und der damals schon fast zwei Meter große Bub, schob sein motorisiertes Zweirad in den Hinterhof des Großvaters. Der fragte nicht warum oder wofür, er machte ganz einfach. Und Oma war ohnehin den ganzen Tag mit Hausarbeit beschäftigt. Lediglich um Punkt zwölf Uhr tauchte sie kurz bei den beiden Bastlern in der provisorischen Werkstatt auf. „Hansi, Mittagessen!“, rief sie dann fröhlich. Hansi, das hatte schon ewig niemand zu ihm gesagt. Schon gar nicht Johannes, wie es ursprünglich auf seiner Geburtsurkunde stand. Heute kannten ihn alle unter den Namen Joe.
Joe schultert sein Gepäck und geht in seine Wohnung. Es ist ziemlich dunkel in den Räumen, da er die Jalousien vor der Abfahrt vor 4 Wochen runter gezogen hatte. Im Vorzimmer lässt er die schweren Rucksäcke fallen. Irgendwie angenehm diese Stille hier, denkt er. Erschöpft schmeißt er sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Die Augen fallen ihn beinahe zu. Doch dann fasst er sich ein Herz und quält sich aus den engen, spitzen Cowboy-Boots. Verdammt, warum tu ich mir das bloß noch an, schoss es kurz durch seinen Kopf. Die Stiefel hatten schon einiges erlebt, wie auch die enge Lederhose und sein verwaschenes „Rolling-Stones“-T-Shirt. Schemenhaft konnte man noch die herausgestreckte Zunge auf der Vorderseite erkennen. Auf der Rückseite, gleichermaßen kaum erkennbar, die Unterschriften der Bandmitglieder. Wann hatte er das erstanden? Egal, es war ihm ebenso heilig, wie seine „Miss America“. Das treue Bike, welches ihn seit über fünfzehn Jahren gute Dienste erwiesen hatte. Bis auf einige kleine Reparaturen, war sie äußerst zuverlässig. Was man von Joe nicht so behaupten konnte. Er war eher der spontane intuitive Typ, der von einem Moment auf den anderen seine Entscheidungen traf. Das war keine gute Basis für ein längeres Zusammenleben. Schon gar nicht für eine Familie. Eine eigene kleine Familie. Nein, ein Rocker und Biker wie er hielt es nicht lange an einen Ort. Er war ein Getriebener. Dabei gab es nicht wirklich etwas, wovor er weglaufen musste.
Damals, als Oma ihn Punkt zwölf Uhr Mittag die Fleischlaberl mit Gurkensalat servierte. Und Opa ihn anschließend einen Schluck Whisky einschenkte. Eigentlich war alles sehr idyllisch und ordentlich. Aus dem Radio dudelte stets Schlagermusik. Musik, mit der er so absolut nichts am Hut hatte. Aber bei Oma und Opa war es in Ordnung. Das gehörte zu ihnen, wie all die vielen anderen scheinbar langweiligen Alltäglichkeiten. Nachmittag stets Kuchen und Kaffee. Wobei ihn Oma meist Kakao auf den Tisch stellte. Natürlich lief auch hier nebenher das Radio. Manchmal summte Opa brummend die Melodien mit. Joe fragte sich immer, ob Opa auch seine Musik mögen würde? Seine Musik. Laute Gitarrenmusik. Gerockt von langhaarigen Typen, die völlig besinnungslos auf ihre Instrumente schlugen.
Joe zieht sich das ausgeleierte Stones-T-Shirt über den Kopf. Sein Oberkörper ist verziert mit etlichen Tatoos. Unterschiedliche ungeheure Phantiasietiere krabbeln über seine Schulter. Dazwischen posieren großbrüstige nackte Frauen mit langen Haaren. An beiden Armen finden sich verschiedene Namen, diverser Bands. Unverkennbare Schriftzüge, jeder mit einem großartigen Rockkonzert verbunden. Gesamt betrachtet wirkt es wie ein riesiges Fotoalbum. Jeder Zentimeter erzählte ein Kapitel aus seinem bewegten Leben. Nachdem er seinen bebilderten, nach wie vor gut trainierten Körper ordentlich unter der Dusche geschrubbt hatte, kramte er in einen der Rucksäcke nach seinen Zigaretten. Da fällt ihm plötzlich eine Musikkassette in die Hände. Es war genau jene, welche ihn Oma damals samt den Fleischlaberln in den Rucksack gepackt hatte. Die Fleischlabern waren spätestens in Udine nicht mehr genießbar gewesen. Aber die Musikkassette hat all die Jahre überlebt. Sie war so etwas wie ein Talisman, ein Glücksbringer. Lange hatte Joe sie mitgehabt, aber nie abgespielt. Nur die lieben Worte auf der Rückseite des Covers las er von Zeit zu Zeit. Immer dann, wenn er sich ein wenig einsam auf seinen Touren fühlte.
„Lieber Hansi, ich wünsche Dir von ganzen Herzen alles erdenklich Gute auf deiner Reise. Mögest Du gesund wieder Heim kommen, Deine Oma!“ PS: Von Opa ebenso alles Liebe!“
Joe nahm die Kassette aus der mittlerweile etwas zerkratzten Schachtel. Er steckte sie in den Recorder. Die kleine Spule begann sich langsam zu drehen. Joe lehnte sich entspannt auf seinem Sofa zurück. Aus den Boxen klangen diesmal keine lauten hämmernden Töne. Sanfte, schmeichelnde Melodien verzauberten den kleinen Raum in das alte Wohnzimmer seiner Großeltern . In den ersten Minuten fühlte sich Joe etwas unbehaglich. Er, der harte, der muskulöse Kerl, stets auf Achse mit seinem Bike, langhaarig, tätowiert, der gröllende Hardrocker lag nun hier und lauschte diesen alten Schnulzen.
April Stevens hauchte ihm gnadenlos ihr„Teach me Tiger“ in die Ohren. Elfi Graf erzählte ihm herzzerreißend, das „Herzen keine Fenster haben.“ Die Nilson Brothers schwören, dass es„ihn nur einmal gab unter Millionen von Sternen.“ Lobo sang sein „I´d love you, to want me“ für sein Baby. Als dann Howard Carpendale sein „Ti Amo“ schmetterte, liefen über Joes Wangen die ersten Tränen. Er hob seinen rechten Arm kurz in die Höhe. Irgendwo zwischen „ACDC“ und „Led Zeppelin“ war da ihr Name. Der Name seiner ersten großen Liebe. Manuela. Dieses kleine freche Mädchen, hatte ihm damals mit fünfzehn ganz schön den Kopf verdreht. Schulschikurs. Discoabend. Sie forderte ihn zum Tanzen auf.„Monja“ dröhnte erbärmlich aus den Boxen. Und jetzt ließ sich Joe gnadenlos reinfallen in all diese alten Lamourhatscher. Peinlich. Gut, dass ihn niemand so sehen konnte. Obwohl, Oma hätte wohl ihre helle Freude daran.
Die Mischung auf der von ihr zusammengestellten Musikkassette war beeindruckend. Aber vor allem schickte sie Joe in eine völlig andere Zeit. In eine Zeit, in der noch der blutjunge Hansi war. Er der kleine Rebell, im Gegensatz zu seinen zwei Jahre älteren Bruder. Dieser hatte damals schon längst seine geradlinige Karriere in einer Bank eingeschlagen. Mit Anzug, Krawatte und stets kurzgeschnittenen Haar fuhr er schon sein erstes Auto. Hansi träumte von der großen Freiheit. Die vorerst schon in Jesolo ein Ende hatte.
Peter Alexander fragt ihn gerade: „Bist Du einsam heut´Nacht?“ Roy Black antwortet mit einem fröhlichen "Du bist nicht allein!“Hernach begrüßt Joe, Howard C. mit einem höflichen „Hello, again.“Ach Oma, was hast Du Dir dabei bloß gedacht, als Du mir die Kassette aufgenommen hast? Joe erhob sich kurz von seinem kuscheligen Platz und drehte das kleine Tonband um.
Seite B. Julio Iglesias flirtete ihn unbarmherzig aus den Lautsprechern an. Hochemotional fährt sein„Schiff vorüber.“ Hinterher schaukelt Roland Kaiser mit seiner„Santa Maria.“ Etwas überrascht ist Joe, als sich „Love hurts“ dazwischen drängt. Vielleicht hat Opa auch ein paar Lieder dazu beigetragen. Er der sich damals mit über sechzig, noch die ersten Platten der Stones gekauft hatte. Joe, musste schmunzeln. Oma hat nur den Kopf geschüttelt. Die letzten Töne von „Seasons in the sun“ waren verklungen, das klickende Geräusch des Kassettenrecorders riss Joe sanft aus seiner musikalischen Zeitreise.
Sechzig Minuten mit einem tief verborgenen Schatz. Sein dunkles Geheimnis, die geheime Affäre mit seinem musikalischen Gspusi, seiner süßen Geliebten – der Schnulze. Joe wusste, dass seine große Liebe der Blues nicht eifersüchtig sein würde. Denn irgendwie hatten sie doch vieles gemeinsam. Abgesehen davon, hatte er sein Moperl in den Siebzigern ebenso geliebt, wie heute seine "Miss America". Keineswegs brauchte ihm das peinlich sein, dachte er. Er hatte eben beides in Blut und im Herzen: Den urigen bodenständigen Blues vom Opa. Und die schnulzige liebevolle Sanftheit seiner Oma.
Righteous Brothers - Unchained Melody / 1965
Die Herkunft des Wortes „Schnulze“ ist ungeklärt. Vermutlich stammt es aus dem niederdeutschen snulten = gefühlvoll daherreden oder zu niederdeutsch umgangssprachlich schnulle = nett, lieb, süß
©Bluesanne bedankt sich fürs Lesen.