Blog-Bild: Shadow-Me

Die Zeit nach einer Therapiestunde ist oft eine sehr unruhige. Die Dauer dieser Phase danach ist meist ungewiss. Auch die Schwere des Verdauungsprozesses kann ich nie einschätzen. Daher ist es stets eine Stunde, die mein Heute erneut ins Wanken bringen kann.

Jetzt könnte ich natürlich sagen, Schluss mit den wöchentlichen Lebensaufarbeitungsbesprechungen. Diese Möglichkeit habe ich jederzeit. Doch was würde dann mit mir geschehen? Wahrscheinlich wäre es gar nicht gut für mich. Einerseits, weil ich dann niemand mehr hätte, mit dem ich ernsthaft über all meine Altlasten sprechen könnte. Und andererseits merke ich, wie unsicher ich noch durchs Leben gehe.

Oft sind es lediglich Kleinigkeiten, die mich ins Wanken bringen. Die Gefahr, wieder umzufallen besteht täglich. Das Gefühl der Stabilität hat mich noch nicht berührt.

2001,  nach meinem ersten Absturz dauerte es knapp 4 Jahre bis ich wieder relativ unbeschwert durchs Leben gehen konnte. Zu dieser Zeit waren es vermutlich die damaligen Geschehnisse, die diesen Zusammenbruch auslösten.

2011 gab es ebenfalls wieder dutzende damals aktuelle Ursachen, die erneut mein mühevoll erneut aufgebautes Lebenskartenhaus zum Einsturz brachten.

Doch immer mehr kristallisiert sich eine längst vergangene Zeit, als Übeltäter heraus. Ein Konglomerat bestehend aus unendlich vielen Sandkörnchen, die mir immer wieder den Fluss durchs Leben verstopft. Einzelne Brösel haben sich zwar schon gelöst, aber immer wieder blockieren sie mir erneut den Weg. Besonders dann, wenn ich mit Menschen aus dieser Zeit zusammen komme.

So geschehen bei einem Aufeinandertreffen mit einem Teil der Restfamilie. Obwohl ich mich positiv denkend darauf vorbereitet hatte, blieb ein ziemlich schaler Nachgeschmack. Selbst die Tatsache, dass es lediglich diejenigen waren, mit denen ich noch rede, minderte das unbehagliche Gefühl keineswegs. Im Gegenteil. Sich so fremd, unter Verwandten zu fühlen, ist beängstigend und irritierend. Selbst meine Versuche in jeglicher Art und Weise einen Zugang zu ihnen zu finden, scheiterten. Es waren lediglich 4 Stunden. Jedoch sehr einsame Stunden, trotz ihrer Anwesenheit. Manchmal sind mir nahe Menschen ferner, als ferne Menschen mir nahe sind. Fröhlich und relativ unbelastet kam ich hin und traurig mit einem neuen Päckchen kam ich wieder nach Hause.

Es wird Zeit, mich auch von diesem  Restanteilchen aus meinem frühen Dasein irgendwie zu verabschieden. Wie ich das anstellen werde, weiß ich nicht. Aber es muss sein. Es ist ein dunkler Schatten, der sich über meine fast schon frühlingshafte Entwicklung legt. Die grauen Wolken der Vergangenheit katapultieren mich in ein Gewitter.

Jedoch machen mir Donner und Blitz die gegenwärtigen angenehmen Dinge bewusster. Viel deutlicher stechen so auch kleine Episoden des Alltags hervor.

Der Smalltalk in der Trafik mit den Verkäuferinnen wird zu einer kleinen Komödie. Wenn der Kunde neben mir seine Lottoscheine mit den brummigen Worten: „Ich gewinn´ ja eh nix“ abgibt. Die mir schon seit Jahren bekannte Verkäuferin lachend sagt: “Sie müssen positiv denken!“ Und ich mich dann noch einmische: „Ja, ich verstehe das auch nicht ganz. Ich habe seit Jahren eine Depression und rundherum sind soviele scheinbar noch depressiver als ich drauf, wie soll ich da gesund werden?“ „Jeden Tag, würde ich mich am liebsten umbringen….“ Ein Herr hinter mir schreit empört auf: „Jetzt hören´s aber auf!“ Ich dreh mich um und meine nur frech: „Ja gerne, wenn mir vielleicht ein paar mehr, fröhliche Menschen begegnen würden!“ Alle Anwesenden im Geschäft mussten lachen. Ich nahm mein Brieflos, hob es in die Höhe und sagte noch: „So, und da drin sind jetzt € 100.000,-- Gewinn!“ Leider nicht, dennoch hat mich diese Szene sehr erheitert.

Ja auch depressive Menschen können lachen.

Es sind halt nicht ausschließlich die Brocken aus der Vergangenheit. Auch die Gegenwart muss ich noch meistern. Jedoch, lieber ehrliche Tränen, als ein gelogenes Lachen. Manchmal bin ich so sehr mit der Prävention von zukünftigen Unheil beschäftigt, dass ich vergesse das Heute ein zu atmen. Aber ich bemühe mich täglich die besonderen Ereignisse wahr zunehmen.

Besonders dankbar bin ich, wenn Menschen auf mich zukommen und mich an der Hand nehmen wollen. Wenn auch sehr zögerlich, doch ich tu es und greife zu.

Ich möchte nicht mehr zurück. Zumindest nicht soweit, dass es sich so kalt, leer und noch einsamer anfühlt.

Die immer wiederkehrenden Déjà-vu-Erlebnisse sollen ein Ende haben. Ich möchte nicht meine Zukunft als menschliche Voodoo-Puppe verbringen. Bei der sich etliche Momente aus der Vergangenheit durch einen Nadelstich erneut sehr schmerzhaft spürbar machen.  So intensiv, als wäre ich wieder in dieser Zeit.

Ein versöhnliches Adieu – Wort muss ich noch finden. Sonst wird es für das Heute keine Gegenwart und schon gar keine Zukunft geben.

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