Blog-Bild: "Steinhof-Kopf"
Totaler Nervenzusammenbruch – Burnout, wenn man am Boden liegt.
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Was passiert danach? Wie geht es weiter, wenn man nicht endgültig Schluss macht?
Dienstag, 25.09.2001
Ich sitze zusammengekauert auf meinem Sofa. Auf meinem Schoß mein damaliger Kater „Georgie“. Er scheint das einzige lebendige Wesen zu sein, das mich noch versteht. Ich berichte ihm von meinem Kummer, meiner Verzweiflung und von meiner entsetzlichen Angst. Er blickt mich mit seinen türkisenen Augen an und spricht zu mir. Seine Stimme klingt wie die meiner Mutter. Sie scheint, mehr als zehn Jahre nach ihrem Tod wieder bei mir zu sein. Georgie ist meine Mutter, davon bin ich zu 100% überzeugt.
Meine Lebenssituation ist aussichtslos. Noch immer keinen fixen Job, die Schulden werden von Tag zu Tag mehr, die Wohnung ähnelt einer permanenten Baustelle. Der aktuelle Kurs, vom AMS aufs Auge gedrückt bekommen, treibt mich ebenfalls in den Wahnsinn. P. (der 180kg Mann) Bemühungen, sich ebenfalls endlich wieder beruflich zu etablieren, scheitern kläglich. Ein Großteil seiner ehemaligen Berufskollegen lässt ihn gnadenlos im Stich. Alle kennen sie seine Vorgeschichte vom gescheiterten Selbstmordversuch, das zufällige Auffinden in seiner leeren Wohnung und den fast einjährigen Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik. Letztendlich landet er mit absolut Nichts im Obdachlosenheim.
Die Stimmung ist schon seit Wochen enorm angespannt. Täglich zerbrechen wir uns den Kopf, wie es weiter gehen soll. Dutzende unbezahlte Rechnungen stapeln sich, die Delogierung aus der Wohnung wurde bereits angedroht. Doch in Wirklichkeit lebe ich schon seit Tagen in meiner eigenen irrealen Welt. Alle Versuche mir in meinem kleinen Umfeld Hilfe zu holen, scheitern. Ein einziger Gedanke kreist permanent in meinem Kopf herum: Wie kann ich dem ganzen ein Ende setzen? Ich will sterben, tot sein, bei meiner Mutter und meiner Oma sein. Sie haben es hinter sich, sie sind ihre Sorgen los. Sie sind erlöst. Wenn ich tot bin, bin ich erlöst von all dem Schmerz und dieser grauenhaften Angst. „Komm sag mir, wie soll ich mich umbringen?“, frage ich Georgie den Kater.
P. Worte erreichen mich nur noch schemenhaft. Immer wieder fragt er mich, was los ist. „Was soll los sein?“, brülle ich ihn immer wieder an. Die Tränen rinnen permanent aus meinen verquollenen Augen. „Schluss, ich will nicht mehr, es macht keinen Sinn mehr!“, schluchze ich ihn weiter verzweifelt. Er fragt mich, was ich den mit Schlussmachen meine. „Ich bringe mich um, ich will sterben und Georgie wird mich erlösen.“
Was dann passiert ist, weiß ich nicht mehr so genau. P. hatte offensichtlich die Rettung angerufen. Denn plötzlich standen drei Sanitäter im Wohnzimmer. Ich klammere mich an einen Polster und heule anhaltend. Total zusammengerollt drücke ich mich in die hinterste Ecke auf dem Sofa. Die Männer im roten Gewand reden auf mich ein. Immer wieder Stellen sie mir Fragen. „Wie heißen sie?“ „Wann sind sie geboren?“ Ich weiß es nicht, ich will gar nichts mehr wissen. Vergessen und dieses Leben verlassen. „Lasst mich in Ruhe!“, sage ich immer wieder. „Lasst mich sterben.“
Die Sanitäter ziehen sich mit P. ins Vorzimmer zurück. Endlich Ruhe! Aber irgendwie befällt mich ein arges Unbehagen. Ich zittere am ganzen Körper. Die Stimmen aus dem Nebenraum entfernen sich immer weiter weg, so mein Eindruck. Doch dann plötzlich schrecke ich durch ein lautes Tohuwabohu in der Wohnung auf. Die Angst und Panik hat mich voll im Griff ich renne in mein Schlafzimmer, knalle die Türe zu und ziehe die Decke über meinen Kopf. Kralle mich verzweifelt an dem roten Herz-Polster fest. Von Draußen nähern sich fremde Stimmen.
In meinem Kopf schreit es:
„Jetzt hör ich sie! Sie kommen Sie kommen, dich zu holen Sie werden dich nicht finden Niemand wird dich finden, du bist bei mir!“
(Quelle: Falco, Jeanny)
Verdammt, wieso wohne ich im Erdgeschoss?! Ich würde springen. Blaue Lichter kreisen um mich. Dieses Blinken dringt penetrant durchs Schlafzimmerfenster in meinen Zufluchtsort. Sie stehen schon vor meinem Haus. Nein, sie stehen schon im Schlafzimmer! Wie ein ängstlicher Igel rolle ich mich noch mehr unter meiner Decke zusammen. P.versucht mich mit seiner sonoren Stimme zu beruhigen. „Katze komm, Du brauchst keine Angst haben, es wird alles wieder gut.“ Ich blinzle misstrauisch unter meiner Decke hervor. Mein Blick fällt prompt auf die Waffen der uniformierten Personen neben meinem Bett. „Wieso Polizei?“, frage ich P. „Die sollen verschwinden, ich habe nichts getan!“ flehe ich ihn an. „Fahren sie jetzt freiwillig mit den Herrschaften von der Rettung mit?“, fragt der eine für mich bedrohliche Mensch in blauer Montur. P. legt mir Kleidung aufs Bett. „Komm zieh Dich an“
Da lag ich nun. Angeschnallt im Rettungswagen. Die Erschütterungen während der Fahrt lassen mich nicht einschlafen. Ich bin erschöpft! Ich will nach Hause! Gedämpfte Straßengeräusche und das rotierende Blaulicht über mir. Durch die Milchglasscheiben sehe ich verschwommen zwei Obelisken. Eine Krähe die oben auf der Spitze sitzt ruft mir mit heiserer Stimme zu: “Es ist vorbei!“ Ich schließe die Augen.
Momente später sitze ich auf einem harten Holzsessel in einem grell erleuchteten Raum. Um mich tummeln sich Menschen in weißen und blauen Gewändern. Auf meinem Schoß liegt mein roter HerzPolster von Daheim an dem ich mich festhalte. „Mund öffnen“, fordert mich der eine Weißmantel auf. Völlig lethargisch folge ich seinem Befehl. Unter meiner Zunge fühle ich eine kalte bittere Flüssigkeit. Einzelne Wortfetzen erreichen mein Ohr. P. Stimme ist darunter. Er nimmt mich an der Hand und geht mit mir einen düsteren Gang entlang. Bei einer der unzähligen alten Holztüren treten wir in einen Raum mit 4 Betten. In meine Nase kriecht eine Melange an Gerüchen. Desinfektionsmittel, Urin, abgestandener schwarzer Tee und obendrauf ein Hauch einer soeben entflohener Darmblähung aus einem der Betten. P. deckt mich zu und streichelt meine Hand. Meine Augen und mein Kopf sind leer und schwer.
Die kommenden Stunden fehlen in meiner Erinnerung.
Am Do.27.09.2001 habe ich einige Worte in mein Tagebuch geschrieben: Zweite Nacht auf der Baumgartner Höhe. Etwas klarer im Kopf. Viel geschlafen. Noch immer schlapp, aber es geht mir ein wenig besser. EKG, Blutabnahme, Lungenröntgen und etliche andere Untersuchungen lasse ich über mich ergehen.
Mein Hirn fühlt sich an, wie ein Darm nach einer Darmspülung. Kein Gedanke kreuzt den anderen. Es herrscht Stille in meinem Schädel. Die vergitterten Fenster versperren mir zusätzlich den Blick nach Draußen. Was ist geschehen? Tagtäglich folge ich den Gepflogenheiten hier auf dem Pavillon 4. Schlurfe mit meinem knielangen Spitalshemd durch die langen Gänge und halte brav meine Körperteile den Ärzten zur Untersuchung hin. Doch die meiste Zeit verbringe ich im Bett und schlafe. Müdigkeit gepaart mit Erschöpfung. An manchen Tagen holt mich P. aus diesen Alltagstrott und wir fliehen in ein Beisl nicht weit vom Spital entfernt. Dort schaufle ich bodenständiges und anständiges Essen in mich hinein. Diese kurzen Reisen in die Freiheit fühlen sich zwar angenehmer an, sind dennoch völlig emotionslos.
Wo sind meine Gefühle? In mir scheint alles abgeschaltet zu sein. Jeden Tag werfe ich unter Aufsicht des Pflegepersonals Medikamente ein. Sie, die Tabletten sind es, die mich emotional auslöschen und ich nur noch funktioniere.
Prinzipiell kann ich mich hier in der Anstalt frei bewegen. Doch es ist ein Ort der verwirrten Menschen. So wie ich. Wie ein Zombie schleppe ich mich von einem Termin zum anderen. Am liebsten spaziere ich jedoch in die grünen einsamen Wege der großflächigen Anlage am Steinhof. Hunderte Krähen haben hier ihren Treffpunkt und unterhalten sich lautstark miteinander. Ich lausche ihnen gerne und fühle mich bei ihnen gut aufgeboben. Liebend gerne wäre ich mit ihnen abgehoben und dem Irrsinn entflogen.
Doch schon wartet die nächste Untersuchung. Dutzende Drähte mit Gummiknöpfen werden zwischen meiner Haarpracht befestigt. Ich fühle mich wie einer dieser Versuchstiere in einem Labor. Piepsende Geräusche, ein kalter unpersönlicher Raum und ich mitten drin mit einem verkabelten Kopf. Breite Papierschlangen schieben sich aus einem Gerät mit zittrigen Zeigern. Diese malen bergige Diagramme, die wohl meine Aktivitäten im Kopf vermessen. Ein Tag erscheint mir wie der andere. Und vieles liegt im Dunklen, was dort oben mit mir geschehen ist.
Doch die Zeit in der Kunsttherapie blieb mir in wohlwohlender Erinnerung. Meine Malereien die dort entstanden sind, waren nicht besonders kreativ. Aber es gab auch die Möglichkeit mit Ton zu arbeiten. Der Therapeut schlug vor, ich solle vorab ein paar „Würmer“ rollen und sie anschließend mit Wasser aufeinander kleben.
Ok, ich bin in der Psychiatrie, dachte ich, aber das war mir zu blöd. Ich weigerte mich stumpfsinnige Würstel zu fabrizieren um dann unbrauchbare Gefäße zu basteln. Es war wohl der erste freie Gedanke auf meinem Weg aus der Finsternis.
Entschlossen packte ich einen großen Klumpen Ton. Lustvoll steckte ich meine langen Finger in die feuchte Masse. Vermengte sie regelmäßig mit Wasser, damit sie mir nicht zerbröselte. Dir werde ich´s zeigen, dachte ich grinsend. Mehrmals knallte ich zornig den Tonklumpen auf den Tisch. Dann rollte meine Kugel wie von selbst durch meine Hände. Mit verschiedenen Gerätschaften entfernte ich da und dort einen Teil. Bohrte Löcher und streichelte mit glitschigen Fingern über die entstandenen Wölbungen. Ich fühlte, wie die tote Erdmasse zu leben begann. Von Mal zu Mal kroch mehr Emotion in die Tonkugel. Der Therapeut näherte sich und sah mich völlig verdutzt an. „Bitte höhlen sie den Kopf aus, damit ich ihn anschließend brennen kann, der muss unbedingt zu den Ausstellungstücken hier in die Vitrine!“
„Nein, den nehme ich mit!“, antwortete ich. Es reicht, wenn mein Kopf hohl und gedankenlos hier durch die Gänge schlurft. Offensichtlich hat ihn das beeindruckt, denn er schenkte mir einen Satz Werkzeuge zum Arbeiten mit Ton.
21 Tage, in denen ich die meiste Zeit geschlafen hatte. Dutzende Medikamente eingeworfen, die mein Hirn teilweise ausgeschaltet haben. Etliche Untersuchungen und Experimente, die mir bestätigen dass ich psychisch krank bin. Zusammengefasst auf einem mehrseitigen Bericht, der mich bis heute begleitet. Damals hatte ich einen Menschen an meiner Seite, der wusste wofür dieser Aufenthalt gut war. Weil er selbst die Erfahrung gemacht hat. Es brauchte anschließend etwa drei Jahre Therapie und gut eingestellte Medikamente, die mich wieder stabil für ein Weiterleben machten.
Knapp acht Jahre hat es gedauert bis ich abermals von den Geistern in meinem Kopf erschlagen wurde.
Seit 2011 schlage ich mich alleine mit ihnen herum. Das positive an den aktuellen Gespenstern, sie sind voller kreativer Obsessionen. Sie flüstern mir täglich bunte Gedanken zu. Hirngespinste die es zu Verwirklichen gilt. Clowneske Dämonen der Kunst. Kunst zum Überleben. Mein einsames Überleben um farbenfrohe Bilder zu malen um damit Menschen glücklich zu machen.
Vielleicht trifft mich ja eines Tages ein Funke dieses Glücks.