Natascha, ich und die tiefen Löcher der Vergangenheit

Blog-Bild: "Séparée-Naked"

An Tagen wie diesen heutigen 2. Februar, ist die Gefahr groß gar nicht mehr auf zu stehen. Wenn mich nicht gerade eine volle Blase aufs Klo treibt oder der Gusto nach einem Kaffee in die Küche zieht. Die auferlegte Disziplin in mir stellte für heute Früh den Wecker auf acht Uhr. Ausreichend Zeit um zu frühstücken, mich anzukleiden und rechtzeitig los zu fahren. Die wöchentliche anstrengende Reise zur Therapeutin war ursprünglich angesagt. Nach einer abermaligen schlaflosen Nacht, drücke ich das zweite Mal auf die Schlummertaste. Ich wollte mich noch kurz unter meine Decke verkriechen, da vibriert nervös das Mobiltelefon neben mir. Am anderen Ende erzählt mir eine weibliche Stimme, dass ich heute nicht zum vereinbarten Termin kommen könne, weil meine Therapeutin erkrankt ist. Kurzfristig ergriff mich die Panik.

Gerade heute, ausgerechnet jetzt.

Ja, auch eine Therapeutin hat ein Recht krank zu sein. Aber mit wem rede ich diese Woche über meine Gedanken? Wem erzähle ich von meinen Schmerzen, meiner Unsicherheit, meiner Einsamkeit? Wer hilft mir, jemand zu finden, der mir im Haushalt zur Seite steht? Der einzige Mensch, der sich all den Scheiß anhört. Der einzige Mensch, der mich nach dem Gespräch meist mit einer Krücke zum weitergehen entlässt. Der einzige Mensch, der mich immer wieder bestärkt indem was ich tue.

Vergangene Woche, nach der psychotherapeutischen Sitzung holte michmeine Allerliebste ab. Sie begleitete mich zu einem weiteren Termin bei einer Fachärztin. Sehr flott war die Sache dort erledigt. Somit hatten wir noch ein wenig Zeit um ihren Geburtstag zu zelebrieren. Ich lud sie zu Speis und Trank ein. Doch das allerwichtigste mit ihr, sind die Gespräche. Leider viel zu kurz und stark komprimiert. Ihr geordnetes und streng strukturiertes Leben mit neuen Mann, zwei Kindern, kranker Mutter und 3 Jobs lässt nur wenige Momente mit mir zu. Diese knappe Zeit nutzen wir vorwiegend die positiven Aspekte unserer Erlebnisse anzusprechen. Ich lasse mich gerne von ihrem gnadenlosen Positivismus anstecken. Selbst wenn in mir wieder die schwarzen Trauerflaggen wehen. Das Gefühl des angenommen Seins tut gut.

Doch wiegesagt, die Zeit mit ihr ist leider nur spärlich vorhanden. Ein zwei Tage zehre ich an dieser menschlichen Auseinandersetzung. Dann ist alles wieder verpufft und die Gedanken kreisen wieder einsam durch die Welten meines Gehirns.

Ein guter Bekannter meinte kürzlich:“Du wirst wohl nie Deine Liebe finden, Du bist ja mit Deiner Kunst verheiratet!“ Ist das wirklich so?

Ja natürlich verwende ich meine Zeit für meine Malerei und meine Geschichten die ich zu Papier bringe. Wohin sollte ich sonst meine Gefühle und Emotionen platzieren? Würde ich all diese Kreativität mit z.B. dem Leben meiner Allerliebsten eintauschen wollen? Ich weiß es nicht.

Doch was helfen derartige wenn und aber Spielchen, sie verändern nichts. Die Vergangenheit, die ich permanent ausblenden muss, um die Gegenwart zu bewältigen. Mich täglich mit den Visionen der Zukunft anfreunden, damit ich nicht tatsächlich liegen bleibe.

Die Depression ist an sich schon eine harte Nuss. Ich mag Nüsse, ob nun im Ganzen oder auch gemahlen für einen delikaten Kuchen. Ich nehme gerne die Herausforderung an, schwierige Aufgaben zu knacken. Manche Nüsse sind hohl und leer. Verfault oder von einem Wurm zerfressen. Selbst die Schale einer Walnuss lässt sich für etwas verwenden. Ein kleiner Stoffhund, den ich seit 1981 besitze ist mit geschroteten Schalen gefüllt.

So hanteln sich meine Gedanken von einem zum anderen. Fragen manchmal nach dem Warum? und öfter nach dem Wie? Was ist zu tun, um meine Sehnsucht zu stillen?

Die Nachfolgeerscheinungen psychischer Schwäche machen sich körperlich bemerkbar. Die geistige Unbeweglichkeit hat die Muskeln und Knochen teilweise verkümmern lassen. Verkümmert sind auch die sozialen Kontakte. Die unzähligen Versuche, die aufgestellten Mauern nieder zu reißen scheitern meist. Ob es die Ängste der anderen Menschen sind, oder meine eigenen, das kann ich nicht beurteilen.

Bewusst wird mir, wie ungeübt ich in der Konversation mit lebendigen Menschen bin.

Gestern wurde aufgrund eines Stromausfalles in Berlin in der TV-Sendung „Günther Jauch“ als Alternative das Interview von Natascha Kampusch eingespielt. Ich weiß noch genau, wie sehr ich mit dieser armen Seele von Mensch mit gefühlt habe. Wie gut ich sie nachvollziehen konnte, wie sie die 3096 Tage in ihrem Verlies überlebt hat. Das für Außenstehende seltsame Einvernehmen mit dem Täter. Der tägliche Kampf, trotz permanenter Peinigungen, weiter zu machen. Befreit und dennoch eingesperrt in Freiheit ein Leben zu meistern. Ein Dasein, in welchen lange Episoden einfach gestrichen und nicht vorhanden sind. Gestohlene Kindheit und Jugend.

Niemand, wird je ihre Gefühlswelt betreten können, selbst ich nicht, mit ähnlichen Schmerz und Verlust einer so wichtigen Zeit, wie die ersten Jahre eines Menschenlebens. Dennoch berührt es mich nach wie vor und das schwarze Loch aus dieser Zeit kriecht empor. Natascha hat ihr Loch zuschütten lassen.

Meines werde ich farbig bepinseln. Bunt soll es in die Welt strahlen. Staunende Augen sollen es ansehen. Sich daran erfreuen. Niemand wird erkennen, dass unter dieser Pracht einmal ein dunkles tiefes Loch gewesen ist. Wen interessiert schon die Finsternis, solange man noch Licht machen kann.

Mit Farbe, Musik und meinen Visionen von Amore.

weitereBeiträge von Bluesanne im Überblick

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Kristallfrau

Kristallfrau bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

2 Kommentare

Mehr von Bluesanne