Blog-Bild:"Darts"
Ich habe es vorher schon gewusst. Das wird nichts. Das macht doch keinen Sinn. Mir waren die Bedingungen bekannt, aus meinem Job. Den Job, den ich so liebte. Den Job, der mir genommen wurde. Die Krankheit hat ihn mir gestohlen. Mir den Sinn genommen, mir alles geraubt. Schlussendlich mich in die letzte Ecke gedrückt. In eine Schräge versetzt, wo es nur einen Schritt zum Absturz bedarf. Dorthin fällt kein Licht mehr. In diesen dunklen Winkel sitze ich. Die verzweifelten Versuche mir noch letzte Worte zuzurufen, scheitern. Übriggebliebene Brotreste landen vor meiner Nase. Die Hingeworfenen Almosen eines Versuches mich vor noch Schlimmeren zu bewahren. Wie oft habe ich um Hilfe geschrien? Wie oft habe ich gesagt, ich schaffe es nicht mehr? Meine Stimme wurde immer schwächer, heißer, bis sie komplett versagte. Ein quälender Brocken, der im Hals steckt. Wie eine alte übriggebliebene Speise, die den Abfluss einer Toilette verstopft.
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Danke!
Geh´ hin, haben die gutgemeinten Stimmen gesagt. Mehr als Nein, können sie nicht sagen. Ich ertrage, kein weiteres „NEIN“!
Ich habe es geahnt, dennoch betrete ich nun diesen schmalen Gang. Obwohl frisch gestrichen, aber die Wände wirken dennoch alt und schmierig. Die wenigen Stufen nach oben, in den ersten Stock, werden zur Qual. Die Beine schwerer, desto näher ich der Glastür komme. Hinter dieser erwarten mich die vielen Wartenden. Die, welche ebenso Hilfe benötigen. Quengelnde Kinder, kranke Gesichter, nach Alkohol stinkende Männer. In Tücher vermummte Frauen mit geduckten Blicken. Junge Kerle, mit zerrissenen Jeans und funkelnagelneuen Schiebetelefon. Fremde Sprachen in einem nervigen Durcheinander. Der Warteraum mit dem Geruch von Armut und billigen Düften ein gesprüht. Der Boden blitzt mit seiner künstlichen Sauberkeit, dennoch ist er voll von Schmutz. Der übriggebliebene Dreck, der Gesellschaft. Nun gehöre ich auch wieder dazu. Ein Schritt noch, und Du bist raus. Raus aus der Wohnung, raus aus dem Leben. Eine Existenz ohne Zukunft.
Ich habe es heran nahen gesehen. Ich habe gekämpft, ich habe gebettelt, ich war zornig, ich war wütend. Immer wieder habe ich gesagt: „So kann das nicht weiter gehen.“ Weil es sich nicht ausgeht. Hauptsache, Du hast noch Deine Arbeit. Die Stimmen beschwichtigen meine Ängste. Sie nehmen sie nicht ernst. Alles halb so wild. Es wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht. Sollte es ein Fehler gewesen sein? War es falsch zu denken, es ist wichtiger diesen Menschen zu helfen, als auf mein eigenes Wohl zu achten? Es gibt keine Gehaltserhöhung und die gesicherte Gewissheit Deines Jobs ohnehin nicht.
Mit einem letzten Schimmer der Hoffnung trage ich mein Anliegen fast flüsternd vor. Das Pult zwischen mir und dem Mitarbeiter ist derart hoch, dass ich kaum drüber sehe. So klein bin ich schon geworden? Ich will hier raus!
„Nehmen Sie Platz, sie werden aufgerufen.“ Warten, mit all den Menschen, deren Anliegen auch immer meines war. Raus aus dem Eck, raus aus dem dunklen Winkel der Ungesehenen, der Übersehenen. Die kaum jemand wahrnimmt. Die, die es eigentlich nicht wirklich gibt. Menschen, die jeden Tag ihres Lebens um ihre Existenz raufen. Händeringend und demütig um Hilfe bitten. Zum Sozialamt gehen nur die, die nichts können, nicht wollen und das System ausnutzen. Bin ich eine solche Schmarotzerin? Na sei froh und dankbar, dass es die Möglichkeit gibt.
Mag ja sein, dass einige die Option als Lebensinhalt betrachten. Aber ich habe mit diesen Menschen über Jahre gesprochen, mit ihnen über ihre Wünsche und Ziele im Leben gesprochen. Es ist wahrlich eine Handvoll dabei, die absolut nichts tun wollen, um ihre Situation zu ändern. Von neu zu beginnen. Und es ist ebenso eine Handvoll dabei, die es ganz einfach nicht schaffen, selbst mit Hilfe.
Ich schäme mich, es ist mir peinlich, ich möchte mich in den Blumentrog legen und mit den braunen Blähtonkügelchen bedecken. Meine Tasche, mit den gesamten Dokumenten und Unterlagen, die mein Dasein bestätigen steht vor mir auf dem Boden. Habe ich auch alles mit? Tausend Fragen werden gestellt. Bei diesem Gedanken wird mir angst und bange. Abermals überlege ich, ob ich einfach gehe. Ich halte das hier nicht aus.
Was habe ich zu meinen Klienten immer gesagt: „Es wird klappen, positiv denken, nicht aufgeben.“ Selbst wenn ich wusste, es besteht nur eine geringe Chance.
Endlich höre ich meinen Namen, aus einer der unzähligen verschlossenen Türen. Mit zittrigen Knien und gesenkten Blick, nehme ich auf dem Sessel des Bittstellers Platz. Ich packe meine dicken Ordner auf den Tisch. Der Mitarbeiter sieht mich ein wenig befremdlich an. „Haben sie den Antrag ordnungsgemäß ausgefüllt?“
Ich kenne die Dutzend Seiten, schon seit Jahren. Ich habe mir geschworen, all die darauf stehenden Fragen, nie beantworten zu wollen. Nun musste ich es tun, um meine Wohnung zu sichern. Mein Zu Hause. Dort wo ich seit der Geburt meines Sohnes lebe. Delogierung. Welch grausame bedrohliche Maßnahme. Ein Fußtritt aus den vier Wänden, die mich vor der Kälte da draußen schützen.
Meine letzte Hoffnung, der Mann auf der anderen Seite. Er wird entscheiden, ob ich eine Hilfe in besonderen Lebenslagen erhalte. Mein ganzes Leben ist eine besondere Lebenslage. Er stellt mir etliche Fragen, er fordert Erklärungen ein. „Wieso haben sie nicht, warum tun sie nicht dies oder das?“ Und wieso sind sie überhaupt hier?
Längst bin ich aus diesem Gespräch ausgestiegen. Meine Beine zeigen längst in Richtung Ausgang. Ich halte bereits mein gesamtes auf Papier gebanntes Leben in Form des Ordners in der Hand. Er tippt hektisch mein scheinbar vorhandenes finanzielles Plus in seinen Rechner ein. Vergleicht seine Tabellen, mit dem was ich an Habseligkeiten noch zu bieten habe. „Das sieht schlecht aus“, sagt er. Mir ist schlecht. Der Papierkorb sieht mich lüstern an. Ich könnte rein speiben.
Doch die Verzweiflung, die Machtlosigkeit und die Angst suchen sich einen anderen Weg. Den Weg der Flucht. Ich schiebe abrupt den Sessel von mir, packe schnell meine Mappen ein und renne. Raus hier. Mit der letzten Kraft, knalle ich die Tür hinter mir zu. Ich stürze die Stiegen hinunter. Laufe, wohin soll ich jetzt? Wird mir der Mensch aus dem Amt nachlaufen?
Ich wusste es. Ich habe es geahnt, es würde so enden. Die Panik hat mich voll im Griff. Meine Beine sind gelähmt, dennoch rennen sie fast in ein herankommendes Auto. Jemand beschimpft mich, zeigt mir den Vogel. Mir ist es egal. Soll er doch Gas geben. In meinem Kopf blitzt eine Schlagzeile in der Zeitung auf.„Antrag abgelehnt, Frau läuft vor dem Sozialamt in den Tod.“ .
Das Gezwitscher der Vögel übertönt die Bremsen des Autos. Paralysiert und voller Angst renne ich zu den zirpenden gefiederten Wesen. Eine vor mir her torkelnde Elster zeigt mir den Weg zu einer Bank. Völlig fertig und aufgelöst nehme ich Platz. Nun sitze ich hier, alleine im Park. Es ist still, verdammt ruhig. Die ablehnenden Worte aus dem Amt entfernen sich langsam. Einige Tauben spazieren Kopf wackelnd umher. Ihr leises Gurren beruhigt mich ein wenig. Ich kann nicht mehr aufstehen. Ich will aber auch hier gar nicht weg. Es scheint mir so friedlich, zwischen all der Natur.
Ähnlich wie in Gars, in meiner Reha. Fast automatisiert greife ich zum Telefon. Wen rufe ich an? Ich tippe mich durch das überschaubare Adressbuch. Keine Ahnung, warum ich gerade diese Nummer gewählt habe. Doch es war instinktiv eine gute Wahl gewesen. Die vertraute Stimme am anderen Ende sprach beruhigende Worte auf mich ein. Eine Frau, die mir in der nahen Vergangenheit schon sehr geholfen hatte. Sie tat es wieder. Eine engagierte Frau, aus einer der vielen Beratungsstellen, die ich vor meinem letzten Gang zum Sozialamt massiv unterstützt und gestärkt hat. Sie fleht mich an, keinen Blödsinn zu machen und einfach sitzen zu bleiben, sie bemüht sich um Hilfe. Ich höre ihre flehenden, gleichzeitig liebevollen Worte und weine, heule, schluchze. Ich kann mich ohnehin nicht von der Stelle bewegen. Um mich tänzeln noch immer die Tauben, einzelne Nebelkrähen, ein paar Spatzen und eine Elster. Ist das die von vorhin?
Plötzlich nähern sich im Laufschritt blau gekleidete Männer. Sie tippen mir auf die Schulter. Sie reden mit mir, ich höre nicht zu. Ich will gleichzeitig weg und bleiben. Die Polizisten fragen mich nach meinem Namen. „Ist das wichtig, wen interessiert das?“, antworte ich gleichgültig. Sie stehen vor mir. Kommt mir ja nicht näher, denke ich. Fasst mich ja nicht an. Ich schaue durch sie hindurch. Hinter den uniformierten Männern tauchen weitere Menschen in Arbeitskleidung auf. Diesmal in Rot. Wortlos folge ich ihnen. Steige mit eingezogenem Kopf und an meinem Rucksack festhaltend in das bereitstehende Fahrzeug ein. Ein Mann der Rettung, schnallt mich in dem Rettungswagen an. „Damit sie uns nicht abhandenkommen“, meint er leicht grinsend.
Ich kauere mich an die kalte Milchglasscheibe. Unklar wie dieses Fenster sind meine Gedanken, nein es herrscht absolute Leere. In diesem Moment ist mir völlig egal, was nun geschieht. Das Blaulicht über mir, wirkt schon fast vertraut. Wohin werden sie mich bringen? Die Fahrt fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Mein Handy vibriert in der Jacke. Ich bin nicht mehr da, ich bin auf dem Weg, wohin? Der Rettungswagen fährt über holprige Straßen. Immer wieder werde ich kurz wach gerüttelt. In dem Moment, als ich glaube endlich schlafen zu können, donnert es gewaltig. Die Schiebetür des Rettungswagens weckt mich aus meiner erlösenden Ruhe. Die rot gekleideten Herren begleiten mich in die Klinik.
Herzlich Willkommen auf der Baumgartner Höhe. Wieder einmal hier. Wenn nichts mehr geht, die Psychiatrie geht immer. Aber sie bezahlt mir nicht die offene Miete. Geld ist nicht wichtig. Gesundheit ist wichtig. Liebe ist wichtig. Freunde sind wichtig. Familie ist wichtig. Mein Sohn ist wichtig. Was geschieht eigentlich mit meinen beiden Katern, wenn sie mich aus der Wohnung schmeißen?
Ein Kreislauf. Ein Ringelspiel. Wann werde ich endlich eine Lösung dafür gefunden haben? Meine Existenz selbstständig in den Griff zu bekommen. Ohne Angst, jeden Cent sparend, versucht alle Rechnungen pünktlich zu bezahlen. Meine psychische Erkrankung in den Griff bekommen. Gleichzeitig die Tatsachen akzeptierend. Die kalte Welt fühlend, kleine Sonnenstrahlen erhaschend bis die nächsten dunklen Wolken wieder aus dem Nichts auftauchen. Donnernd, bedrohlich. Ein Anhäufung von zusätzlichen ausblendenden Problemen gilt es immer und immer wieder als Tatsache zu akzeptieren. Zufriedenheit vor zu gaukeln. Es ist doch alles in Ordnung, solange Du nicht wieder eine weitere Räumungsklage bekommst.
Mein Sohn hat mittlerweile einen weiteren Job angenommen. Unser gemeinsames Ziel ist es, endlich alle nicht endenden Schulden zu begleichen.
Beschämend, demütigend und hilflos aktiviere ich meinen kreativen Grips für neue Ideen, die ebenso dazu beitragen mögen. Für meine Klienten habe ich meist eine Lösung gefunden. Werde ich auch für mich eine finden?
Ein Leben zwischen Sozialamt und Psychiatrie ist nicht das, was für mich besonders erstrebenswert scheint. Auch wenn ich fast täglich an mein Ende denke.
Ja, ich reiße mich eh zusammen, bevor es mich völlig zerreißt. In tausend Stücke, die jeden Tag brennen und mich verbrennen. Ausbrennen.