Blog-Bild:"Golfing"

Das Beisl an der Peripherie war brechend voll. Ich stöckelte über den abgenutzten Bretterboden. Kurz fühlte ich mich ein wenig overdressed. Egal, ich war ich, in diesem eleganten dunkelgrünen Kostüm. Es konvenierte wunderbar mit meinen langen roten Haaren. Gut die High Heels waren vielleicht doch ein wenig unpassend in diesen bodenständigen Ambiente. Bei jedem Schritt, musste ich darauf achten, nicht mit dem Bleistiftabsätzen zwischen den Dielen stecken zu bleiben. Ein wenig angespannt steuerte ich auf das Hinterzimmer in dem Lokal zu. Lächelnd trat ich ein. Ein kurzer Blick in die bereits versammelte Runde. Waren da noch Gesichter von früher, die ich wieder erkennen würde? Reihum begrüßte ich, einen nach dem anderen. Ab und zu, sah ich in fragende Augen. „Aha, Susi, wie? Achso die, die den Bruder von der Gabi geheiratet hat. So richtig klar war ihnen scheinbar dennoch nicht, wer ich eigentlich war und bin. Wie auch immer. Irgendwer hatte ohnehin ein Foto aus längst vergangenen Tagen mit gebracht. Eines dieser schwarzweißen Klassenfotos, die alle gleich aussahen. Offenbar gab es damals in ganz Wien einen einzigen Fotografen, der sie hergestellt hatte. Immer dasselbe Szenario. In vorderster Reihe, die kleinsten Schüler der Klasse auf Sesseln platziert. In der Mitte meist der Klassenvorstand mit einer schwarzen Holztafel in der Hand. Darauf standen mit Kreide geschrieben die Klassennummer und der Jahrgang. 1 C, 1973.  Die zweite Reihe mit den nächstgrößeren Kollegen. Dahinter auf Tischen kniend, die größten Personen.

Ein wenig verloren saß ich auf der Holzbank am Ende der zusammengeschobenen Tische. Einen kurzen Moment schien es mir so, wie vor zwanzig Jahren. Dieselben Grüppchen wie seinerzeit hatten sich wieder gefunden. Schallendes Gelächter aus jeder Ecke der bunt gemischten Runde. Mein Sitznachbar schob mir das abgegriffene Klassenfoto zu. Noch ein wenig in Gedanken verloren, griff ich nach dem Bild. Erst jetzt hob ich langsam meinen Blick und sah wer da neben mir saß.

Eigenartig. Wer bist Du?, dachte ich. Im selben Moment stellte er die gleiche Frage, aber laut. Ich sah in die fröhlichen Augen. Mit einem Mal, wurde mir gleichzeitig heiß und kalt. Eine innerhalb Sekunden ablaufende Kneipp Kur. Während mein Körper ständig die Temperatur wechselte, blieb mein Kopf brennend heiß. Meine Wangen waren sicherlich knallrot. Verlegen griff ich nach dem Foto; ich wollte keineswegs, dass er mein angelaufenes Gesicht sah. Doch er hatte es längst entdeckt. Charmant, als hätte er es nicht bemerkt, lenkte er meine Aufmerksamkeit auf mein edles Kostüm. „Du schaust fantastisch aus, in diesen Grün, welcher Farbton ist das genau?“ Noch roter konnte ich nicht mehr werden. Mein Schädel schien mittlerweile zu kochen. Schüchtern meinte ich, es sei eine Art olivgrün. Oliven die, die auf griechischen Inseln zu Dutzenden auf den Bäumen hängen. Und schon hatten wir ein neues Gesprächsthema.

Leidenschaftlich erzählte er mir von seinen Urlauben mit seiner Frau und seiner Tochter. Das Klassenfoto, nach wie vor in meinen Händen haltend. Der Daumen streichelte unbewusst immer wieder über dasselbe Bubengesicht auf dem Bild. Während er weiter mit strahlenden Augen vom weißen Sand und Blau schillernden Meer erzählte. Zwischendurch, fast unbemerkt, fiel sein Blick auf meinen rotierenden Daumen. Ich sah nur noch in seine braunen Augen. Ab und zu schwenkte mein Blick kurz auf die sich permanent bewegenden Lippen. Der leicht angegraute Schnauzbart wippte fröhlich über seinen Mund. In Gedanken war ich längst, mit ihm, dessen Namen ich noch immer nicht wusste, auf einer sonnigen hellenischen Insel. Die letzten Worte, die ich in dem Getöse der übrigen ehemaligen Klassenkameraden wahrnehmen konnte: „…und fantastisch, mit viel Knoblauch, Zaziki.“

Dann wurde es von einer Sekunde auf die andere totenstill um mich. Als hätte jemand auf den Aus Schalter gedrückt. Jedoch war es nicht der Knopf, es war mein Daumen, der einen leichten Druck verspürte. Die langen, braungebrannten Finger meines Gegenübers hielten meinen permanent kreisenden Daumen auf dem Foto an. „Weißt Du eigentlich, dass Du andauernd in meinem Gesicht herum fummelst?“, fragte er mich schelmisch grinsend. Abermals peinlich berührt, sah ich auf den spitzbübischen Kerl auf dem Foto. Vom Foto auf sein Gesicht. Neben ihm stand ein unscheinbares Mädchen mit konservativem Pagenkopf Haarschnitt. Ihr Kopf war leicht zur Seite geneigt, sie blickte nicht in die Kamera. Mit schüchternen Augen sah sie den fröhlichen Kerl neben sich an.

Wahrscheinlich so wie eben, als er mit seiner Hand die meine hielt und nicht mehr los ließ. Kurz sah ich ein wenig besorgt in die laute Menschenrunde. Hat davon irgendwer etwas mitbekommen? Doch niemand sah zu uns hinüber. Alle waren intensiv damit beschäftigt sich die lustigsten, kuriosesten und aber witzigsten Erlebnisse aus der Schulzeit aus ihren Gedächtnis zu holen. „Weißt Du noch, wie der….?“ Schallendes, Wellen artiges Gelächter umrahmte unsere stille, innere Freude. Ruhige, völlig losgelöste intime Momente. Nach wie vor, wusste ich nicht, wie meine immer näher rückende männliche Faszination hieß. Es war gleichgültig. Du, Ich, Wir. Nun war er es, der mit seinem Daumen, rhythmisch kreisende Bewegungen vollzog. Auf meinem Handrücken. Das Foto hatte sich längst unbemerkt eine Schulkollegin geschnappt. Und wir Zwei Turteltauben hätten uns wohl einander schon längst geschnappt, wäre da nicht die johlende Masse.

Fortsetzung folgt!

Sandkastenliebe (Teil 2)

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