Blog-Bild:"Golfing"
Ein feixender Haufen. Dreißig kichernde, blödelnde Mädchen und Buben. Mittlerweile allesamt gutsituierte erwachsene Menschen. Eine Horde an Mittdreißigern, die sich für einen Abend wie ausgelassene Kinder fühlten. Einer der Jungs schoss plötzlich ein Zehngroschenstück mit seinem Kamm über den Wirtshaustisch. Kurzerhand stiegen die Kollegen in das Spiel ein. Anpfiff zu einer Runde Pfitschigogerl. Die Gläser wurden zu Seite gestellt. Ein Tisch separat im Raum verschoben. Die teilweise in seriöser Kleidung erschienenen Männer waren mit einem Schlag, kleine Buben mit kurzen Hosen und fleckigen Ruderleiberl. Die Frauen formierten sich um das Spektakel. Die Münzen flitzten über den Tisch. „Tor, Tor, nein, verdammt.“ Gewissenhafte Hausfrauen, straighte Bürodamen, pflichtbewusste Beamtinnen hüpften wie kleine Mädchen unbeschwert herum. Mittlerweile konzentrierte sich die gesamte ehemalige Schulklasse auf das Tischfußball-Match.
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Lediglich, der in die Jahre gekommene Lausbub und ich saßen abseits von diesem Tohuwabohu. So viel hatten wir uns noch zu erzählen. Dennoch war irgendwie alles schon gesagt. Keiner von uns, würde heute alleine nach Hause gehen. Kurz hatte ich den Eindruck, dass eines der Mädels unser Geplänkel mitbekommen hat. Aber sie sah nur kurz zu uns hinüber. Schmunzelnd drehte sie ihren Kopf wieder zu dem Spiel. „Magst du noch was trinken?“, fragte er mich. Was eigentlich bedeuten sollte: „Komm lass uns hier abhauen!“ Ein wenig ratlos, bejahte ich diese Frage. Jetzt noch nicht, dachte ich. Obwohl wir könnten unbemerkt verschwinden. Niemand würde es auffallen. Doch zuvor wollte ich unbedingt noch seinen Namen heraus bekommen. Derweil war seine Hand diskret hinter meinen Rücken verschwunden. Neben uns die verwaisten Sitzplätze. Wir zusammengerutscht, fast auf einem Sitzplatz. Aneinander klebend wie unzertrennliche Rosenköpfchen. Sein schütteres, aber langes Haar kitzelte ab und an meine Wangen. Die gut dekolletierte Kellnerin im Dirndl stellte lautstark ein Silbertablett vor uns auf den Tisch. „Zwei Kaffee, die Herrschaften; zahlen gewünscht?“
In diesem Moment schoss es mir wie aus dem Nichts durch den Kopf. „Richie, so nannten Dich alle, Ricardo. Es folgten tausende aneinander gereihte Bilder. Ein Schnelldurchlauf spulte sich durch mein Gehirn. Abrupt fasste ich seine Hand hinter meinem Rücken, die mittlerweile an meiner Hüfte gelandet war. „Bitte zahlen ja!“, warf ich ein, bevor er noch irgendetwas sagen konnte. Er hob leicht seinen, in eine enge schwarze Lederhose gepackten Hintern, zog lässig sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und bezahlte unsere konsumierten Getränke. Während er noch das Kleingeld heraus kramte, ging ich, nein ich schlich nach Draußen. Mit viel Energie stieß ich die schwere Wirtshaustüre auf. Trat, fast über die kleine Stufe stolpernd, in die laue Herbstnacht. Schüttelte ungläubig meinen Kopf und sprach ein lautes „Unfassbar“ in die Dunkelheit. Hinter mir näherten sich die großen Schritte von Ricci (so hatte ich ihn genannt).
Er, der mich vor Jahrzehnten schon so fasziniert hatte. Er, einer weniger Jungs, der nicht andauernd einen Ball auf der Wiese nachlief. Er der , viel lieber schweigend neben mir sitzend, kunstvolle Burgen aus Sand baute. Unglaubliche Gebilde. Mit Türmchen, Kieselstein verzierten Zinnen und Erkern. Schlösser so wunderbar, wie die in meinen Märchenbüchern. Er schnappte mich von hinten um die Taille, drehte mich zu sich und…schwieg ganz einfach. Mein Mund war völlig ausgetrocknet, trotz der etlichen Getränke zuvor. Plötzlich fühlte ich den knirschenden Sand zwischen meinen Zähnen. Der, der durch die Luft wirbelte, wenn er wütend einen missglückten Sandturm zerschlug. „Die Schaufel“, sagte ich, „hast Du noch diese rote Metallschaufel?“ Verschmitzt grinsend küsste er mich auf meine Stirn. „Schön, dass Du es wieder weißt“, flüsterte er mir ins Ohr. „Das alte Ding, liegt sicherlich ein wenig verrostet bei dem Sonnenschirm, Liegestühlen aus der Griechenland Zeit.“ Ich musste lachen, bei der Vorstellung ihn heute als erwachsenen Mann buddelnd in der Sandkiste zu sehen. „Komm, lass uns morgen eine Reise buchen!“ sagte er spontan. „Eine Reise in die Vergangenheit mit einem unendlichen Blick in die Zukunft.“ „Aber, bitte vergiss Dein blaues Küberl nicht, das mit dem Holzgriff.“
Ein lautes Rauschen näherte sich meinen Ohren. Ein großer roter Wagen mit Chauffeur fuhr vor. Ricardo öffnete die Türe und wies mir galant mit einer kleinen Verbeugung den Weg in den Wagen. Ricci in schwarzer Lederhose, abgenutzter Lederjacke, Tattoos auf den Armen, ein Flinserl im Ohr, auffallenden Schnauzer im Gesicht, engem T-Shirt mit Totenkopf plus einem aussagekräftigen eindeutigen Spruch, was er von so manchen hält und den überdimensional zugespitzten Cowboy-Stiefel samt klackernden Metall auf den Sohlen. An seiner Seite, elegant im olivgrünen Kostüm mit Bleistiftrock, High Heels, Nylons und endlos langen roten Haaren, gepflegten Erscheinungsbild, ich. Ein paar das äußerlich nicht unterschiedlicher sein könnte.
Im Bus, aneinander gelehnt, schnappte ich ihn augenblicklich. Nahm ihn sozusagen ein wenig in den Schwitzkasten. Bohrte mit meinem Finger in seiner Nase. "Du hast da noch Sand drin!" Er fing schallend zu lachen an. "Mein Gott, hast Du mich früher genervt damit!" Heute, jetzt war es einfach eine diskrete spielerische Aufforderung, um ihn zu küssen. Das erste Mal, nach so vielen Jahren.
Eines war klar, auch heute würden wir in einer Kiste landen. Jedoch wird es wohl diesmal nicht die Sandkiste sein.
Etwa ein Jahr später traf ich eine ehemalige Schulkollegin. Jene, die beim Klassentreffen offensichtlich doch etwas von unserem Flirt mitbekommen hatte. Neugierig fragte sie bei mir nach, was denn da so abgelaufen sei. Ich habe mich dazu sehr diskret geäußert. Doch ich habe eines sehr betont, dass er ein ganz besonderer Mensch in meinem Herzen sei, der Ricardo, mein Ricci.
Weil es einfach passt:
Peter Cornelius - Du entschuldige, i kenn di (1980)
©Bluesanne bedankt sich fürs Lesen