Blog-Bild: "BigHead" by ©Bluesanne
Nach jedem meiner auswärtigen Termine, belohne ich mich mit einem Besuch im Kaffeehaus. Zumindest gönne ich mir eine kleine Verschnaufpause, bevor ich mich auf den Weg nach Hause mache. Ein wenig Innehalten, Gedanken ordnen, rasten. Etwas Ruhe finden. Zumal der Lärm außerhalb meiner stillen Zone exorbitant ist. Das wirkt sich scheinbar auf die Konzentrationsfähigkeit der Menschen aus. Die Aufmerksamkeit ist massiv eingeschränkt. So mancher Small-Talk, denn ich wieder gerne betreiben möchte, wird schon mal zu einer etwas unruhigen Geschichte. Ich bemerke, wie der Blick meines Gegenübers ständig hektisch umher schweift oder gar nicht auf mich gerichtet ist. Manchmal ist sogar der gesamte Körper von mir abgewandt. Ich versuche das zu ignorieren, aber es irritiert mich.
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Woher kommt diese Unkonzentriertheit? Ist es diese Anzahl an Geräuschen, von denen wir umgeben sind? Autos, andere motorisierte Fahrzeuge, Menschen sprechen durcheinander, Baustellenlärm, Musikbeschallung. Angestrengt versuche ich die meisten davon zu überhören, aus zu blenden. Die unzähligen Töne vermischen sich turbulent in meinem Kopf. Das Geräuschchaos wirbelt wild in meinem Schädel herum. Schleudert durch die Gehirnwindungen, wie schmutzige Wäsche in der Waschmaschine. Hie und da filtere ich einzelne Geräusche heraus. Versuche zum Beispiel meine Aufmerksamkeit lediglich auf die Musik zu lenken. Es gelingt mir nur teilweise. Abgesehen davon, dass ohnehin kaum die Songs laufen, die ich gerne höre. Manchmal gelingt es mir einzelnen Gesprächen zu folgen. Vorwiegend im Kaffeehaus. Jedoch sind die meisten Unterhaltungen nicht besonders aufregend. Deshalb wenden sich meine Ohren auch bald davon ab. Aus der Ferne vernehme ich ein Martinshorn. Sofort zeichnen sich im Kopf grausame Bilder von Verletzten und Leidenden ab. Verdränge diese so schnell wie möglich, um die negativen Energien nicht zu zulassen.
Wie machen das, all die Menschen um mich? Was hören sie tatsächlich? Herrscht bei denen auch so ein undurchschaubares Durcheinander? Ich komme mir umzingelt vor. Es ist als würde jeder einzelne Ton auf mich einschlagen. Ein Streufeuer, viel zu laut.
Dabei gäbe es auch ohne Zivilisationssgeräusche ausreichend natürliche Klänge. Schon der Wind verursacht vielfältige Akustik. Abhängig davon, was der Luftbewegung im Weg steht. Das Laub der Bäume, welches er knisternd zum Rascheln bringt. Fugen und Ritzen durch die er sich blasend seinen Pfeifenden Weg sucht. Verloren oder fallen gelassene Dosen, Becher, Papier oder andere Müll wirbelt er ebenso mit Geräuschen verbunden durch die Gassen. Selten wird man Vogelgezwitscher in der Großstadt ausmachen. Da muss man schon in einen Gastgarten in einem Hinterhof ein lauschiges Plätzchen gefunden haben. Das Gurren der allgegenwärtigen Taube geht gnadenlos unter in der Großstadtlärmkulisse.
Hat sich der Mensch all diese Geräusche als Schutz vor Stille geschaffen? Das klangvolle Pendant zum Tempo? Geschwindigkeit und Lärm als undurchdringliche Wand. Ein Schutzwall gegen die langsamen, ruhigen und bedachten Momente. Augenblicke, um sich selbst zu hören. Isoliert von dem Trubel rund herum. Durch diese unendliche Vielzahl verlernt der Mensch wohl das genaue Hinhören. Die Aufmerksamkeit auf das Eine. Haben wir das im Laufe der Jahrzehnte verlernt? Wünscht sich nicht jeder von uns ein wenig Ruhe? Oder wird sie immer mehr zur seltenen Ausnahme? Menschen, die im Weltall waren berichten von einer derartigen Stille, die vorerst erschreckend wirkt. Wohl deshalb, weil man diese in diesen Ausmaß kaum mehr kennt. Für mich im speziellen ist der massive Lärm fallweise unerträglich. Vor allem deswegen, weil er sich so gnadenlos durcheinander vermischt und zu einem riesigen Bombardement formt.
Zumal ich in meiner gewohnten ruhigen Umgebung zu Hause schon beim kleinsten Geräusch aufschrecke. Daheim kenne ich alle Töne. Ein ungewohnter Laut fällt mir sofort auf. Wie bei einer geläufigen Melodie, wo ich sich eine falsche Note störend und hinterlistig einschleicht. Mag ja sein, dass dies mit meiner Sensibilität zusammenhängt. Vielleicht auch eine Frage der Gewohnheit. Aber ich möchte mich nicht mehr an diesen Lärm gewöhnen. Es tötet Stück für Stück das Feingefühl für die wirklich angenehmen, wohlklingenden Geräusche. Der Tonfall, mit dem einen Menschen mit mir spricht. Die Farbe seiner Sprache. Die Buntheit seiner Worte, falls er mir etwas zu erzählen hat. Mit all der Aufmerksamkeit und Zuwendung die ich mir wünsche. Welche auch ich gerne den Anderen widme. Gerne schenke, wenn es ein weniger stiller wäre. Die Ruhe, die wir auch dazu benötigen, wieder zunehmend die ganz persönliche Stimme in uns wahr zunehmen. Völlig unbeeinflusst und losgelöst von dem Raudau um uns.
Diese permanent anhaltende Geräuschkulisse erhöht zwangsläufig auch unsere eigene Gesprächslautstärke. Und so schön, ist das doch nicht, wenn wir uns gegenseitig anschreien müssen. Es birgt so eine Aggressivität in sich. Der Lärmpegel passt sich dem Tempo der Zeit an. Viel zu laut und viel zu schnell.
Oder ich bin einfach zu alt, für das laute Durcheinander.
Drei Siebe
Eines Tages kam einer zu Sokrates und war voller Aufregung.
"He, Sokrates, hast du das gehört, was dein Freund getan hat? Das muss ich dir gleich erzählen."
"Moment mal", unterbrach ihn der Weise. "hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?"
"Drei Siebe?" fragte der Andere voller Verwunderung.
"Ja, mein Lieber, drei Siebe. Lass sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht.
Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?"
"Nein, ich hörte es irgendwo und . . ."
"So, so! Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst - wenn es schon nicht als wahr erwiesen ist -, so doch wenigstens gut?"
Zögernd sagte der andere: "Nein, das nicht, im Gegenteil . . ."
"Aha!" unterbrach Sokrates. "So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich erregt?"
"Notwendig nun gerade nicht . . ."
"Also", lächelte der Weise, "wenn das, was du mir das erzählen willst, weder erwiesenermaßen wahr, noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!"
©Bluesanne bedankt sich fürs Lesen