Als Arkan Jahre zuvor, 1992 seine „Partei der Serbischen Einheit“ gründet, prangt darauf der Slogan: „Mutig im Krieg, Weise im Frieden!“ Ich bin versucht zu sagen, dass es weise Verbrecher nicht gibt, weil sie Politiker werden. Doch Arkan ist weder weise, noch ist er jemals mutig und Politiker schon gar nicht. Ich komme zur Erkenntnis, dass Ražnatović, in welcher Mimikry auch immer, nur ein billig aufgepepptes Plakat all dessen ist, was die Legende über ihn wissen will. Er selbst scheint dumm genug zu sein, dem eigenen Plakat zu glauben. Sein liebster Spruch, der uns von einem seiner Söhne tradiert wird, lautet: „Du vergisst, dass ich Arkan bin!“. Mit diesem Einzeiler geht Arkan Wetten ein, die oft hunderttausend D-Mark schwer sind und mit den selben Worten kassiert er später den Gewinn. Einer weiteren Legende zufolge, sollen diese Worte – im Perfekt – oft das Letzte sein, was jene hören, die Arkan persönlich ermordet.
Sein Ende ist noch immer ein Feld für Spekulationen. Die gängige Theorie, die Slobodan Milošević als Urheber und Nutzniesser nennt, lautet so: Arkan verhandelt mit dem Kriegsverbrechertribunal, Milošević riecht das, Arkan bekommt zwei Kugeln ins Gesicht. Der Täter, Dobroslav Gavrić, der bei der Ausführung des Anschlags verwundet und anschließend verhaftet wird, ist ehemaliger Polizist. Das passt vielen als Indiz für diese Theorie. Doch den Kriminalisten, die den Mord untersuchen, ist schnell klar, das andere Auftraggeber eher in Frage kommen. Die Theorie, die am besten zu den Fakten passt, ist auch die einfachste. Und diese Theorie lautet so: Arkan ist inzwischen vielen seiner weniger mächtigen Kollegen ein Dorn im Auge und sie beschließen ihn zu liquidieren. Ich, als Freund des Einfachen, in Gestalt von Ockhams Klinge, neige ihr zuzustimmen. So wie kleinere Banden beim Gastwirt und Kioskbesitzer Schutzgeld kassieren, betreibt Arkan das selbe im Olymp der Verbrecher Serbiens. Mal sind es „Spenden“, mal „Sponsoring“, mal „Wetten“, „Partnerschaften“ oder „Investitionen“, die Arkan den Gangstern – Bindestrich – Geschäftsleuten aufzwingt. Wahrscheinlich sagt er am Ende der „Verhandlungen“ zu solchen Gelegenheiten auch gerne seinen Lieblingssatz: „Und vergiss bloß nicht, dass ich Arkan bin!“.
Eher als der Milošević-Klan kommt eine Tätergemeinschaft aus anderen Kriminellen in Frage, Gangster also, die es satt haben „Spenden“ und „patriotische Beiträge“ an Arkan zu entrichten. Und gerade die Auswahl des Ex-Cops Gavrić als Attentäter spricht für eine „Arbeit“ von Gangstern. Milošević hat für solche Gelegenheiten schließlich mindestens zwei Dutzend Profis vom Geheimdienst zur Verfügung. Warum sollte er einen abgehalfterten Polizisten damit beauftragen?
Ein weiterer Faktor, der zum Untergang von Arkan führt, ist seine Eitelkeit. Inzwischen hält er sich für den unberührbaren Prinzen der Stadt. Ein Bild aus seiner eigenen Fantasie. Vielleicht glaubt er auch felsenfest, dass es genügt „Arkan zu sein“, damit niemand es wagt auch nur daran zu denken, auf ihn schießen zu lassen. Mehrere Monate vor seinem Tod baut Arkan systematisch seine Sicherung ab. Nur Wochen vor dem Attentat sind nur wenige Leibwächter aktiv, oft fährt Arkan ganz ohne Begleitung durch die Stadt. Und wenige Tage vor den tödlichen Schüssen, fragt sein ältester Sohn ihn, wo die Leibwache sei. Arkan greift in das Handschuhfach seines „Range Rover“ und holt einen schweren Revolver hervor: „Du vergisst, dass dein Papa Arkan ist!“. Als sein Mörder abdrückt, hat Arkan jedoch keine großkalibrige Faustfeuerwaffe in der Hand, sondern nur ein Formular der Lotterie. Der Schütze vergisst wohl nicht, dass sein Ziel Arkan ist und feuert ihm zwei Kugeln in den Kopf und eine in die Brust. Die Kopfschüsse, einer davon durch das Auge, sind tödlich. Arkan stirbt im Krankenhaus.
Die Auftraggeber des Mordes sind bisher noch nicht ausgeforscht. Die Todesursache – abgesehen von den drei Kugeln – ist schlicht der Entschluss einiger Gangster, kein „reket“ an den Prinzen der Stadt zahlen zu wollen. Und Arkans Überheblichkeit.
Die wahren Erben Arkans, sind aber nicht die Verbrecher, die ihm nachfolgen, sondern seine Sippe, deren Kopf Mama Ceca ist und die im weiterhin bitterarmen Serbien ein bequemes Leben in Wohlstand führt. Doch der Ursprung dieses Wohlstandes ist Teil eines großen, ungesühnten Verbrechens. Es mag der Tag kommen, an dem Arkans Erbe beschlagnahmt wird und zumindest eine bescheidene Gutmachung erfolgt. Bisher jedenfalls konnte Ceca vor Gericht glimpflich bis ungeschoren davonkommen und die Kinder Arkans grinsen noch immer prominent aus diversen serbischen Gazetten mit mehr Lifestyle-Fotos als Buchstaben. Arkans Grab ist protzig und kitschig. Es wird von einer Büste gekrönt, die Arkan mit der Kappe eines serbischen Offiziers aus dem Ersten Weltkrieg zeigt. Selbst während ich diese Zeilen im Jahre 2014 schreibe, bewachen zwei Angehörige der Serbischen Freiwilligengarde das Grab rund um die Uhr. Ich bin sicher, dass Arkans dummdreister Eitelkeit damit noch im Grab geschmeichelt ist.
Arkans Tod hinterlässt dennoch eine gewisse Lücke im Gefüge der kriminellen Macht, die eine neue Generation von Verbrechern wie Aleksandar Golubović nutzen, um die beste Zeit ihres Lebens zu haben.
ARKANS ENDE