Irgendwann schickt jemand aus dem Ministerium die Wissenschaftsfuzzis in die Flugverkehrskontrollzentrale, um zu evaluieren, wie hoch die Stressbelastung von Fluglotsen ist. Sie bringen die modernsten Geräte mit, die Hirnströme sichtbar machen und den Blutdruck messen, und auch das Gerät, das "ping" macht. Doch dann treffen sie auf Herbert.

Der Flatliner

Man muss dazu wissen, dass Herbert der intelligenteste aller Fluglotsen zumindest der EU ist. Als wir gemeinsam ausgebildet werden, besteht er jede Prüfung mit 100 Prozent. Am Simulator ist er der Einzige, der nie schwitzt, obwohl er durchaus Schweißdrüsen hat, der nie an einer verzwickten simulierten Situation verzweifelt und immer Überblick und Oberhand behält. Irgendwie ist Herbert die Apotheose der obersten Direktive der Fluglotserei: "Act! Don't react! Stay frosty!"

Als er endlich selbst die Verantwortung des echten Flugverkehrs auf seinen zarten Schultern trägt, ist er genauso kühl, effizient und unaufgeregt wie am Simulator. Und das bleibt er bis zum heutigen Tag. Warum er trotzdem seit Jahren den Spitznamen "Herby Hirntot" stoisch trägt, darüber gibt es zwei Legenden.

Die erste Legende ergibt sich aus dem Besuch der Wissenschaftsfuzzis im Area Control Center. Man stülpt ihm die Kappe mit den Sensoren über den Kopf, schaltet alle mitgebrachten Geräte ein und beginnt mit der Aufzeichnung. Herbert hat ein verzwicktes sogenanntes Fünferbeispiel zu lösen. So nennt man eine Konstellation von fliegendem Aluminium, die dem Lotsen das Äußerste abverlangt. Doch nicht einmal die Maschine mit dem "Ping" registriert einen Ausschlag.

Es ist, als ob in Herberts Kopf unmenschliche Ordnung herrscht, die durch nichts gestört werden kann. Das veranlasst den Anführer der wissenschaftlichen Kohorte, an seinen Geräten zu zweifeln. Doch ein Assistent zwickt unvermittelt Herberts Ohrläppchen. Plötzlich registrieren die Sensoren einen Maximalausschlag, und ein lautes "Ping" hallt durch die Flugverkehrskontrollzentrale. Der Oberwissenschafter konstatiert: "Okay, die Geräte funktionieren, aber dieser Mann ist beim Arbeiten hirntot!"

Hilflos am Simulator

Während meiner Ausbildung sitze ich am liebsten neben Herbert. Kein Wunder. Seine Ruhe strahlt zu mir, ich entspanne mich, und plötzlich ist kein einziges Fünferbeispiel ein Problem. Ich bin gewiss, dass wenigstens einer von uns weiß, was vorgeht.

Anders geht es mir mit Frano. Er ist gut, aber nicht so gut wie Herbert. Was uns bis heute zum Lachen bringt, ist eine Situation, in die uns ein besonders strenger Ausbildner bringt. Dieser Lehrer gehört zur alten Garde und hilft seinen Schülern oft und gerne mit einem kräftigen Schlag auf den Hinterkopf auf die Sprünge. Irgendwann ist das Gewirr über dem simulierten Flughafen so dicht, dass ich hilflos zu Frano flüstere: "Frano ... Frano, kennst du dich noch aus?"

Nur wenige Sekunden später regnet es virtuelles Flugzeugaluminium auf unseren virtuellen Flughafen hinab. Gleich darauf regnet es deftige Tachteln auf unser beider Hinterköpfe vom verärgerten Lehrer, dessen Namen ich hier nicht nennen will, obwohl ich ihn nicht vergessen kann.

Wahre Liebe

Die andere Legende, die Herberts Spitznamen herleitet, hat mit der stärksten und dennoch unmessbaren Kraft des Universums zu tun. Liebe. In seinem kühlen Kopf vermag die Wissenschaft keine Erklärung zu finden, wie er sein "Cool" bewahrt. Noch weniger ist sie in der Lage zu ergründen, was in seinem Herzen vorgeht. Außer dass es zweifellos klopft.

Also kommt unweigerlich der Tag, an dem sich Herbert verliebt, verlobt und verheiratet. Und der Tag, an dem die Ehe geschieden wird. Und dann, einige Jahre später, kommt der Tag, an dem Herbert wieder heiratet. Dieselbe Frau. Und seine Kollegen meinen, er sei wohl hirntot, wenn er denselben Fehler zum zweiten Mal macht. Aber diese Kollegen haben keine Ahnung, was in seinem Herzen vorgeht. Oder im Herzen der Frau, die genau dasselbe macht. Ich hingegen ahne, was es ist. Beider Herzen sind so groß wie der Himmel über dem Roten Berg, den ich sehe, wenn mich die Schlaflosigkeit quält und ich dorthin gehe, um auf einer Bank sitzend ein Bier zu trinken.

Dann denke ich oft an Herbert und seine Frau und ihrer beider Herzen, die so viel Liebe enthalten, dass sie ausreicht, um einander die zweite Chance zu geben. Niemand mag wissen, wie das ausgehen wird. Ich habe von Paaren gehört, die dieselbe Prozedur dreimal durchgehen. Letztlich ist es auch egal, weil nur die Liebe zählt. Und sonst gar nichts.

Der Seniorenabend

Zuletzt sehe ich Herbert bei einem Treffen ehemaliger Flugdatenbearbeiter vor wenigen Wochen. Er ist zwar Fluglotse und noch aktiv, hat aber kein Problem, sich mit dem "niederen Volk" der Fluglotserei zu mengen. Was nur ein weiterer Beleg für die geistige Breite ist, die in seiner Brust wohnt.

Dass da auch eine Menge schräger Humor ist, erfahre ich nicht zum ersten Mal bei dieser Gelegenheit. Es bedarf auch einer Menge Humor, um mit einem anderen Kollegen bei einer Versteigerung mitzumachen, deren Ziel es ist, eine originale Enigma-Maschine aus einem deutschen U-Boot zu erwerben. Solche ungewöhnlichen Gegenstände sind fast schon archäologische Objekte, deren Wert mit dem Vergehen der Zeit nur steigen kann.

Doch Herbert erwirbt nicht nur Investitionsobjekte der sinistren Art. Er und seine Frau sammeln auch echte Kunst. Ihre Wohnung ist ein kleines Museum zeitgenössischer Malerei, was mich als Künstler nur freuen kann, weil das Geld meinen malenden Kollegen zugutekommt. Und jeder, der es je versucht hat, weiß, wie schwer es ist, im "Kulturstaat Österreich" von und für Kultur zu leben. Danke, Herby Hirntot!

Und: Wenn du dich wieder scheiden lässt, bitte heirate mich!

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