Was bisher geschah...

Im Haus gegenüber, in meiner meidlinger Gasse, sind neue Mieter eingezogen. Sie haben Freunde in meinem Haus. Meine neuen Nachbarn diesseits meiner Gasse und meine neuen Nachbarn auf der anderen Seite, kommunizieren ausschließlich per Zuruf von Fenster zu Fenster und über die Gasse.

Das Thema dieser Zurufe ist meist Drogenbeschaffung, Drogenhandel und Qualitätskritik an den beschafften und gehandelten Drogen, sowie wichtige Informationen über die Zuverlässigkeit und die Preisliste einzelner Dealer.

Eingedenk dieser archaischen Kommunikationsmethode, befinde ich, dass es nicht lange dauern mag, bis Umstände auftreten werden, die einen Schneefall mitten im Juli in meiner Gasse ermöglichen werden...

Seit Kurzem, weiß ich, dass diese Umstände früher eintreten können als vorausgesehen. Dafür wird wohl Nedjad gesorgt haben. Indem er gestern bei der Übergabe von Kokain im Haustor meines Hauses vom Hausbesitzer gestört wird – und den Hausherrn belehrt, er solle gefälligst seine Geschäfte nicht stören, denn das sei antikapitalistisch.

Es ist schön zu wissen, dass die Kids da draußen „Das Kapital“ von Karl Marx lesen und daher auch artikulieren können, was sie an unserer Gesellschaft stört. Zumindest ist Nedjad nicht auf Sozialhilfe angewiesen, sondern bemüht sich, ein eigenes Geschäft auf die Beine zu stellen.

Sehr lobenswert.

Denke ich...

Und dann fällt mir ein, das es womöglich an der Zeit ist, von der Situation zu profitieren, bevor noch böse Büttel der Staatsmacht Nedjads Traum vom Unternehmertum beenden.

Und mir eine Menge Spaß entgeht...

WILLKOMMEN IN DER WUNDERBAREN WELT DER IRRITATION!

Einer meiner Lieblings-Sketches von den „Monty Pythons“ trägt den Titel: „How to irritate people.“

Deswegen weiß ich, was zu tun ist.

Es ist so: wenn Sylvia die Nasenkrise hat, pfeift sie über die Gasse, bis Nedjad am Fenster erscheint. Danach findet die übliche Kommunikation statt, die man bis zum „Café Raimann“, weit unten am Anfang meiner Gasse hören kann.

Sogar, wenn der Bus vorbeifährt.

Dank Internet und Google ist es möglich, eine Database zu finden, die jede Art Pfeifen auf Lager hat. Das gibt es auch für andere Geräusche und Hobbyfilmer bedienen sich dieser Geräuscharchive, um ihre Urlaubsfilmchen aufzufetten. Oder die Videos von Mama und Papa, die Kinder nicht sehen dürfen.

Und ich bin fündig.

Ich finde ein Pfeifen, das dem Pfeifen von Sylvia zum Verwechseln gleicht. Dann warte ich bis der Abend nächtliche Schatten über meine Gasse legt. Als es soweit ist, baue ich einen Tieftöner und zwei Hochtöner unsichtbar am Fenster auf und verlege das Audiokabel zum Laptop auf dem Fensterbrett des anderen Fensters. Dann stelle ich noch meinen Schreiberlings-Sessel, dick gepolstert, dazu.

The stage is set! Showtime!

Der riesige Plasmaschirm bei Nedjad und seinen Mitbewohnern zeigt im Augenblick die unerträglich Fresse von Robert Palfrader, unserem hoffentlich allerletzten Kaiser, der wieder mal so tut, als ob er ein Kabarettist wäre. Was die Jungs gegenüber trotzdem gut finden.

Aber nicht mehr lange...

Ich drücke Play, die Festplatte surrt – und ein lautes Pfeifen schallt durch meine Gasse. Ich merke: Lautstärke drosseln! So laut pfeift nur eine Lokomotive!

Nedjad hängt sich aus dem Fenster.

Und sieht nichts!

Keine Sylvia am Fenster.

Fast bedauere ich den kleinen Kerl, weiß ich doch, das er Sylvia nicht bloß weißes Pulver ins Tütchen stecken mag, sondern auch sein Pfui-Pfui in ihre Mu-Mu. Dabei fällt mir ein Spruch aus meiner Heimat ein. Er lautet: „Trockenen Schwanzes zogen die Ficker von dannen.“ Und diese Erfahrung will ich Nedjad nicht vorenthalten.

Das Spiel heißt: Dealer trifft auf Kotzbrocken.

Nur weiß Nedjad das noch nicht. Denn noch lehnt Nedjad weit aus dem Fenster. Hoffend. Verwirrt. Dann hält Mario einen riesigen Joint vor Palfraders Nase – zu meiner Erleichterung – und Nedjad geht zurück zum riesigen Plasmaschirm.

Und ich gönne Nedjad einen tiefen Zug. Play! Festplatte surrt! Es pfeift! Nedjad hustet ganz, ganz viel! Er hustet während er zum Fenster sprintet. Er hustet als er sich aus dem Fenster hängt und hustet auch als er wegen dem Husten fast aus dem Fenster fällt.

Dennoch ist Nedjad, obwohl er aufhört zu husten, überraschend zurückhaltend. Ein Blick zu Sylvias Fenster. Ein zweiter zur Fresse vom Palfrader und ein Dritter zurück zu Sylvias Fenster. Jetzt erst merke ich wie Nedjads Mimik die Tragödie eines aufkommenden Dilemmas in Nedjads jungem Leben zeichnet!

Sylvia – oder Palfrader?

Er entscheidet sich für Palfrader. Weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Sylvias Fenster ist leer. Obwohl Sylvia da ist. Ich kann das Wummern ihres Tieftöners, der genau 3 Meter über meinem Kopf, auf Sylvias Teppich steht, gut hören. Aber Sylvia kann weder Nedjads Husten, noch das Pfeifen aus meinem Computer hören. Sylvia hört P!nk...

Nedjad aber, kommt zu spät zum letzten Zug.

Am Joint.

Und flucht! Dann flucht Mario zurück! Dann fluchen beide wer noch einen Joint dreht. Dann fluchen beide, mit wessen Dope der Joint gedreht werden soll. Also legen Nedjad und Mario eine dicke Line Kokain vor ihren dritten Mitbewohner. Damit er ihnen einen Joint dreht. Von seinem Dope. Dieser Dritte Mann ist der, den ich nicht einordnen kann. Der, der nie ans Fenster kommt, und der nur apathisch vor dem Plasmaschirm sitzt.

Aber der Anblick dieser Spur aus weißem Pulver in Nasenreichweite erweckte geheimgehaltenes Leben in diesem Körper vor dem Schirm. Vielleicht war er in einem früheren Leben ein Inka und die Line und ihr Geruch erinnerte ihn an die verschneiten Gipfel der stolzen Anden.

Wer weiß?

Nur eines ist gewiss: ich drücke wieder auf den Play-Knopf. Die Festplatte, das Pfeifen.

Diesesmal reagiert Nedjad endlich wie ich es erhoffe. Wie ein echter Mann!

Nedjad schreit über meine Gasse. Hoch zu Sylvias Fenster. Und in diesen Schrei legt der junge Nedjad alle seine Gefühle für Sylvia.

            „Heeeeeeast! Wüst mi papierln! Oda wooooos?“

Und er fügt leiser hinzu – aber ich kann es gut hören:

            „Fut!“

Gottseidank kann Sylvia nur P!nk hören...

Ich bin sehr zufrieden.

Doch es wird Zeit den Leidensdruck zu erhöhen.

Morgen.

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Liebe Zeit

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Markus Andel

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