Von Bogumil Balkansky
Home by the sea
Nicht ein Hirsch lebt hier noch, der Letzte nur versteinert auf dem Wappen der Insel Brač. Und ich bin nicht sicher ob heute überhaupt Sonntag ist. Weil jeder Sommer in Sutivan, dem Fischerdorf, das meine Kindheit und Jugend beinhaltet, ein Monate lang währender, heißer Sonntag ist. Mein Sohn ist die vierte Generation meiner Familie, die jeden Sommer hier, im Haus unter der großen Pinie, verbringt.
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Er wacht gerade auf und versucht sich aus dem Moskitonetz über dem Bett, auf der Veranda, wo wir im Sommer leben und schlafen, zu wühlen. „Papa! Was machen wir heute?“ - „Nichts, mein Sohn... und alles! Wie jeden Tag!“
Der elektrische Jesus
Niemand kann mir sagen, es gäbe keinen Klimawandel. Unsere Waschmaschine ist heute früh daran verreckt. Und in der Morgenhitze stinken unsere Unterhosen darin, die Tür will nicht aufgehen.
Ich muss Zlatko, den Elektriker anrufen. Also falte ich die Hände zu einem Trichter und rufe so laut ich kann: „Zlatkooooo! Meine Waschmaschine ist kaaaapuuuuuuut!“ Auf der anderen Seite des kleinen Tals, wo der Pinienwald noch wuchert, faltet Zlatko seine Hände. „In zeeeehn Minuuuten!“
Das sind bei Zlatko etwa zwei Stunden. Aber er kommt, sieht und siegt. Einige Teile der Waschmaschine baut er nicht wieder ein. „Das brauchst du nicht! Nur Firlefanz! Ich hab´ deine Waschmaschine etwas... hm... modifiziert.“ Der Waschmaschinen-Frankenstein funktioniert tadellos. Šime, mein Freund und Gast, fragt erstaunt nach, wie Zlatko solche Wiederauferstehungen toter Geräte bewerkstelligt. Ich sage: „Keine Ahnung! Ich weiß nur, dass er im Krieg Geräte baut, die Bum! Machen. Er soll der Beste gewesen sein...“ Šime nickt und sagt nur: „Achso...“
Hass auf den Regenbogen
Ich teile das Haus unter der Pinie seit fast zehn Jahren jeden Sommer mit Šime. Er ist zwar eine Frau, doch innen ein Mann. Und weil er der prominenteste Aktivist der LGBT-Gemeinschaft Kroatiens ist, bekommt er die meisten Hass-Mails dieser Republik.
Dass er jeden Sommer hier, unter dem Schatten und Schutz meiner Pinie, ohne Telefon, Internet und TV seine Batterien aufladen kann, sorglos, unbehelligt und ungehasst – das ist mein Beitrag für die gute Sache. Und mein Sohn wird niemals so etwas sagen wie „Scheiß Schwuchtel!“ oder „Lesben sollte man Gesundpudern!“ Für meinen Sohn ist er einfach nur Onkel Šime. Der halt Titten hat.
Zur Katzenstunde
„Papa! Der Maestral kommt!“ Mein Sohn weiß inzwischen, dass es um die Mittagszeit sein muss, wenn der Maestral zu wehen beginnt. „Man kann praktisch die Uhr nach dem Maestral stellen, Papa!" - plappert mein Sohn meine eigene Klugscheißerei nach. Der Maestral lindert täglich die Affenhitze, die uns am Vormittag in die Adria treibt. Ich finde einige Steinmuscheln auf einer alten Reuse auf dem Meeresgrund. Vorspeise.
Später am Nachmittag bin ich mit meinem Sohn auf der großen Mole. Er springt ins Meer und ich trinke Kaffee und Pelinkovac. Auf der Mole sehe ich die Alte Grozde. Früher legt um diese Zeit hier das Schiff aus Split an und bringt Grozde´s Mann zurück, der in Split Besorgungen und Amtswege erledigt. Doch schon seit fast 30 Jahren ist die Linie Split-Sutivan eingestellt und nur wenige Jahre zuvor kehrt ihr Mann nicht mehr aus Split zurück. An diesem Tag ist er auf dem Begräbnis eines Freundes, die Hitze quält ihn bis er umfällt und sich leise zu seinem soeben begrabenen Kumpel gesellt.
Die Alte Grozde wartet trotzdem jeden Tag zur "Katzenstunde", wenn die Hitze so groß ist, das ganz Sutivan den Katzen gehört, auf das Schiff aus Split. Doch es ist nur eine verblassende Erinnerung in ihrem dementen Gehirn. Chemie nur...
Sonnenuntergang
Ja, die Sonne über Sutivan geht blutrot und pittoresk unter, wie es sich für eine Adriainsel gehört. Als sie nur noch rosige Finger unter die wenigen Wolken schiebt, läutet mein Handy. Meine Freundin will wissen, wie unser Tag im Unterschied zu ihrem Tag in Wien gewesen ist. Auf dem Display sehe ich, dass es Sonntag ist.
Später, als die Sterne zu sehen sind, liege ich mit meinem Sohn auf unserem Parkplatz und wir sehen uns mit einem Feldstecher die Mondkrater an. „Erzähl mir von den Sternen Papa!“
Nur wenige Meter von uns wacht die große Pinie seit vier Generationen über uns und unser Haus. Ich bin glücklich.
DES SONNTAGS ENDE