Von Bogumil Balkansky

Egal wo man im italienischen Friaul gerade steht, man kann im Norden die Alpen sehen und im Süden die Adria riechen. Fast alles andere ist wie in Österreich. Fast.

Friaul: Beben, Bong rauchen und baden

Die Älteren kennen den Friaul wegen des Erdbebens 1976, die Jüngeren wegen des Reggae Sun Splash Festivals in Osoppo und die Hausmeister vom Durchfahren zur nahen "Badewanne Europas" in Grado, Jesolo und Lignano. Hier, nahe Cormons, steht auch der größte Sessel der Welt, weil die größten Arbeitgeber der Gegend Möbelfabriken sind. Linke Romantiker wissen, dass Pier Paolo Pasolini hier seine Kindheit verbrachte, und Sammler von Kriegsschrott wuseln mit ihren Metallsuchgeräten jeden Sommer um Goriza und graben nach den Resten der zwölf Isonzo-Schlachten. Meine Freundin und ich lebten hier drei Jahre lang ...

Der Herr der Katzen

Zwei Bars, eine Trattoria, Bahnhof, Bäcker, Fleischer und Kirche: Wir wohnen in Santa Maria La Longa, einem Kaff bei Palmanova auf halbem Weg zwischen Udine und Triest. Unsere feuchte Wohnung ist in einem umgebauten Gutshof, gleich neben dem Rehab-Zentrum für Drogensüchtige und gegenüber der halboffenen Anstalt für Psychiatrie. Es ist 2001 und ich bin mit meiner Freundin hier, weil wir Wien nicht mehr aushalten.

Fast alle Wohnungen in Santa Maria und noch 600 weitere in Udine und Umgebung gehören dem Grafen Braida, der mit einem großen Rudel Katzen in einem kleinen Schloss am Rand von Santa Maria lebt. Jetzt ist er 91 Jahre alt, aber in seiner Jugend war Braida stolzes Schwarzhemd, im Zweiten Weltkrieg Offizier der italienischen Armee in der Herzegowina, und er ist bis heute ein strammer Mussolini-Faschist.

Fast alle Migranten, die in Santa Maria wohnen, bezahlen die Miete in Bargeld beim Grafen persönlich, und jeder hat seine Gründe, Banküberweisungen zu meiden. Der Albaner und die Ukrainerin sind illegal im Land und die drei bosnischen Brüder, ehemalige Flüchtlinge und nunmehrige Ein-Mann-Baufirmen, untervermieten einander "steuersparend" die Wohnungen ihrer Familien. Wir haben noch kein Konto und wollen mal einen echten italienischen gräflichen Faschisten sehen. Der Serbe, ebenfalls ein "Illegaler", kommt mit einem Schubkarren, auf dem er so etwas wie eine Mumie transportiert, und gesellt sich zu uns Wartenden.

Maschinengewehrmusik

Wir stehen alle im Hof, bis Braida uns einlässt. Dutzende Katzen schleichen um unsere Beine. Durch einen Fensterspalt blicke ich in ein leeres Zimmer. Auf dem Boden sind fünf Katzenklos, Braida uriniert in eines davon, tropft ab, packt ein und bittet uns in die Vorhalle. Braida ist begeistert, dass unter "seinen" Migranten meine Freundin, eine "echte Deutsche", ist, und begrüßt sie mit Hackenschlag, Hitlergruß und einem gekrächzten "Sieg Heil!". Während er den übrigen Anwesenden ihre Empfangsbestätigungen ausstellt, erzählt er begeistert von seinen Tagen in der Herzegowina, als er zusammen mit den Deutschen, die "die besten Soldaten der Welt sind", gegen den Bolschewismus kämpfte.

Wir haben unsere Bestätigung längst, ignorieren den Gestank-Cocktail von Katzen- und Menschenpisse und hören dem Lied von Mord und Totschlag zu, weil der Auftritt dieses greisen Freaks jeden Sozialporno im Privat-TV um Längen schlägt. Am Ende schließt der Conte seine Erinnerungskiste, indem er meiner Freundin sagt, es gebe nur eine Musik, die besser sei als die deutsche Musik, und das ist deutsche Maschinengewehrmusik. Außer uns ist nur noch der Serbe mit seinem Schubkarren und der Mumie da. Braida begrüßt ihn überschwänglich und bittet uns, im Hof bei der Enthüllung der Mumie, die eine Holzstatue ist, seine Gäste zu sein. Mit Weingläsern in der Hand gehen wir durch den Hof, der Serbe trottet mit dem Schubkarren voran, der Mond geht soeben über Santa Maria La Longa auf.

Freund der Kunst

Dieser Serbe, so erzählt uns der Conte, war in seiner Heimat ein Bildhauer, aber nun arbeitet er in einer Möbelfabrik bei Udine, was eine üble Verschwendung seines Talentes ist. Weil Braida Kunst und Kultur, besonders die deutsche, so schätzt, hat er dem Serben sechs Monatsmieten erlassen. Im Gegenzug hat der Serbe eine Statue aus Holz gemacht, für die Braida im Hof ein Podest betonieren ließ. Der Serbe stellt die Statue auf das Podest, rückt sie ein wenig zurecht und blickt unsicher zum Grafen. Als dieser nickt, reißt der Serbe die Plane von der mannsgroßen, lebensecht bemalten Abbildung von Adolf Hitler in SA-Uniform.

Braida schlägt die Hacken zusammen, hebt die rechte Hand und nickt schweigend meiner Freundin zu. Sie leert ihr Glas in einem Zug, wirft es über die Schulter und hebt auch die Rechte. Dann schlagen ich und der Serbe die Hacken zusammen, recken die rechte Hand hoch, werfen unsere Gläser und brüllen alle zusammen mit dem Grafen: "Sieg Heil!" Eine Woche später richten wir ein Girokonto mit Dauerauftrag für unsere Miete bei der Banca di Cividale ein.

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