Unfertige Leichen, Verseifung und pikante Rezepte

Mr. C. ist der Lebensgefährte meiner Mutter und der gute Mensch. Er arbeitet viele Jahre lang in der Abteilung für Qualitätssicherung in einem multinationalen Elektronikkonzern. Sein rationales Gemüt, seine innere Ruhe und Geduld machen ihn zum idealen Mann für diese Art Job. Doch manchmal begegnet auch er Situationen, die ihn irritieren. Mr. C. ist Portugiese und Sohn armer Eltern aus Lissabon, die in wilder Ehe leben. Als seine Mutter im Sterben liegt und nach einem Priester verlangt, verweigert der barmherzig zu sein habende Mann Gottes Mr. C.s Mutter ob dieser Sünde die letzte Ölung. Sein Vater ist so zornig, dass er den "Bräutigam Jesu" mit einem Fußtritt aus der Wohnung befördert. Eine Szene, die Mr. C. niemals vergisst.

Dresscode für den Sarg

Als sein Vater stirbt, ist Mr. C. bereits Gastarbeiter in Österreich. Meine Mutter, mein Vater und er arbeiten in derselben Firma, was der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist. Fünf Jahre nach dem Tod seines Vaters muss Mr. C. nach Lissabon fahren, um seinen Vater umzubetten. Die Knochen sollen in eine kleine Kassette und diese in eine kleine Parzelle, weil dann weniger Kosten für das Grab anfallen.

Als Mr. C. am Friedhof ankommt, ist das Grab des Vaters schon ausgehoben, der Sargdeckel von Erde befreit, aber die Friedhofsarbeiter sind noch mit einer Grabesöffnung nebenan beschäftigt. Also wartet Mr. C. geduldig, bis sein Vater an der Reihe ist, und beobachtet den Vorgang der Umbettung. Die Arbeiter entnehmen dem Sarg alle Knochen und legen sie auf einen Metalltisch. Plötzlich springt einer der Arbeiter aus der Grube. In seiner Hand ist so etwas wie ein länglicher Sack. Offenbar ruht die Frau neben Mr. C.s Vater mitsamt ihren unverrottbaren Nylonstrümpfen. Der Arbeiter nimmt den Strumpf an der Spitze und schüttelt sämtliche Beinknochen auf den Metalltisch, wo sie laut klappernd aufschlagen. Den Strumpf wirft er zurück ins Grab.

Nach der Entleerung des zweiten Strumpfes ist die Arbeit getan und der Vorarbeiter begrüßt Mr. C. sehr höflich. Dann springt er in das Grab, landet hart auf dem Deckel und hackt sofort mit einer Brechstange ein Stück Deckel auf. Von oben kann Mr. C. einen Teil des Brustkorbes seines Vaters sehen. Der Vorarbeiter greift hinein, packt den Toten bei einer Rippe und schüttelt heftig. Weil nichts klappert, blickt er zu Mr. C. hoch und sagt: "Sehen Sie? Ihr Vater ist noch nicht fertig! Sie müssen in fünf Jahren wiederkommen!" Mr. C. hebt die linke Augenbraue und meint leise: "Er ist halt ein zäher Kerl! Immer schon gewesen!" Fünf Jahre später klappert es laut im Sarg und Mr. C.s zäher Vater findet seine vorletzte Ruhe. Mr. C. beabsichtigt, in einigen Jahren die Knochen verbrennen zu lassen und sie im Atlantik vor Lissabon zu verstreuen. Dann endlich wird Mr. C.s Vater für immer, in aller Stille, ruhen.

Meerjungfrau mit Schlagseite

Mein Vater ist kein böser Mensch. Nur sehr nervös und zum Glück unbewaffnet. Sein Gemüt der kurzen Lunte sorgt meist nur für Selbstverletzungen. Einmal ist er auf einen Baumstrunk so wütend, dass er mit der Axt daraufloshackt, als ob er ein Berserker auf Crystal Meth wäre. Die Axt gleitet ab und beschert ihm einen ernsthaften Schnitt am Schienbein. Weitere Narben von Schraubenziehern, Teppichmessern und Lötkolben folgen.

Seine größte Narbe erhält mein Vater jedoch bei einem chirurgischen Eingriff. Die Herzklappen sind seit Jugendtagen fehlerhaft, und so setzt man ihm in Wien künstliche ein. Dazu ist es jedoch notwendig, das Brustbein der Länge nach aufzusägen, den Brustkorb zu spreizen und anschließend alles wieder zusammenzuklammern. Als mein Vater aus der Narkose erwacht, muss er zu seinem großen Ärger feststellen, dass die Meerjungfrau, die über seine gesamte Brust tätowiert ist, durch ihre Mitte zerschnitten und versetzt zusammengenäht ist. Zudem hat sie eine leichte Schlagseite nach links erhalten. Ebenso wie der Dreimaster auf dem Bauch, gleich unter der Meerjungfrau.

Als mein Vater sechs Jahre später beim Versuch, das Klappenventil durch ein moderneres zu ersetzen, an einer banalen Thrombose im Gehirn auf dem OP-Tisch stirbt, ist das für uns eine große Katastrophe. Viele Jahre lang träume ich, dass mein Vater plötzlich vor der Tür steht und sich weigert, mir zu sagen, wo er all diese Jahre, die wir ihn für tot gehalten haben, gewesen ist. Doch eines Tages, in einer bekifften und besoffenen Nacht auf Brač, gebiert mein benebeltes Gehirn eine neue Idee.

Mein Vater ist wegen des Zinnsarges, der für den Flugtransport nach Belgrad notwendig ist, und wegen der auf dem Neuen Friedhof herrschenden Erdfeuchtigkeit zu einer Wachsleiche geworden. Diesen Prozess nennt man Verseifung. Deswegen ist mein Vater nun eine riesige Seife. Ich rechne nach, wie lange ich mich mit abgebrochenen Stücken meines Vaters waschen könnte. Es sind etwa zehn Jahre. Danach träume ich nie wieder von meinem untoten Vater.

Asche zu Wasser und zu Garten

Selbstverständlich beschäftigt mich zuweilen auch meine eigene Bestattung. Für den (höchst unwahrscheinlichen) Fall, dass auch ich eines Tages sterben sollte, gebe ich meiner Freundin genau durchdachte Anweisungen. Ich will weder alle fünf Jahre geschüttelt noch als Seife missbraucht werden. Würmer, Aasfresser und Kannibalen kommen ebenfalls nicht in Frage. Obwohl die Sache mit den Kannibalen mich als leidenschaftlichen Koch noch nachdenken lässt, ob ein Rezept mit Teighülle und Kräutern des Südens nicht vielleicht köstlich und nützlich wäre.

Die Kardinalfrage aller Köche ist wohl die nach einem guten Rezept für die Zubereitung des Menschen. Warum auch nicht? Schließlich sind wir auch nur Fleisch und Knochen, zumal nicht viel anders als ein Hausschwein. Dennoch neige ich eher zur Feuerbestattung. Weil der Papst so dagegen ist und aus rein familiären Gründen. Meine Gefährtin soll die Hälfte meiner Asche im Hafenbecken von Sutivan ausstreuen. Die andere Hälfte soll um unser Haus in Sutivan verstreut werden. Damit meine Schwester bei Gartenarbeiten zu ihrem höchsten Ärger ab und an einen meiner Zähne oder ein Knochenfragment findet. Vielleicht haben meine Leser aber eine bessere Idee? Wenn das der Fall ist: Bitte posten! (Auch und vor allem, was Rezepte betrifft!)

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Ich mag doch keine Fische vergeben
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Aron Sperber

Aron Sperber bewertete diesen Eintrag 22.07.2020 14:45:18

Zaungast_01

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