Die ersten Bewohner von Brač leben in Höhlen und kommen wahrscheinlich zu Fuß. Alle anderen auf Schiffen und, seit geraumer Zeit, auch mit Flugzeugen.
Angeblich ist es das fuchslistige Verhandlungsgeschick des ersten kroatischen Präsidenten Franjo Tuđman, das der Insel Brač einen internationalen Flughafen beschert. Oder, in einer anderen Variante der Legende, das fuchslistige Verhandlungsgeschick des ersten kroatischen Verteidigungsministers Gojko Šušak.
Jedenfalls, und da sind beide Varianten einig, habe man die Amerikaner, die hierorts abschätzig "Ameri" genannt werden, heftig über den Tisch gezogen. Diese Ameri wollen im Bosnienkrieg mit ihrem dummen Geld nur einen Betonstreifen für ihre Drohnen zur Bosnienaufklärung bauen. Doch dann fräst man auf der Hochebene über Bol, auf gut 600 Meter Seehöhe, eine Piste aus dem Karst, stellt alle Nebengebäude samt Turm und Anflugradar aus einem Baukasten zusammen und übergibt am Ende des Krieges einen schlüsselfertigen Flughafen, auf dem Passagierjets landen können, an das kroatische Verkehrsministerium. Das ist, laut Legende, der Beginn der neuesten Zukunft auf Brač. So weit die Legende vom Entstehen des Flughafens.
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Die Zukunft (so die Legende vom Vergehen des Flughafens) ist jedoch von kurzer Dauer. Weil Franjo Tuđman nur ein General ist, zumal Titos jüngster, und weil Gojko Šušak nur ein Pizzabäcker aus der kanadischen Diaspora ist, geht alles schief. Tuđman und Šušak sind weder listenreich noch besonders am Wohlergehen der Bračani interessiert, sondern nur an ihrer eigenen Legende. Ganz sicher haben beide und mit ihnen die Ameri nicht ein Atom Wissen über Brač. Die Hochebene der Vidova Gora als idealen Standort für einen Flugplatz zu wählen beweist diese Ahnungslosigkeit.
Schlangen im Wind
Hier gibt es plötzlich und heftig auftretende Fall- und Steigwinde die schon in den frühen 1980ern mehrere Drachenflug-Touristen töten. Seitdem ist das Drachenfliegen auf der Vidova Gora streng verboten. Prompt sehen auch die Ameri, dass es hier außer Kreuzottern auch tödlichen Wind gibt, der ihre teuren Drohnen knapp nach dem Abheben zurück auf den Karst klatscht.
Später beschweren sich die die Piloten und die Passagiere der Linienflüge über knapp überstandene Zwischenfälle bei Start und Landung. Am Ende entzieht das Verkehrsministerium dem Flughafen die Lizenz für Linienflüge. Seitdem landen nur im Sommer Charterflüge der All-inclusive-Pakete der Hotels in Bol und mutige (oder dumme) Privatpiloten. Die Macchia holt jedes Jahr ein paar Dezimeter aus dem Beton der Piste zurück, die Zufahrtsstraße ist holprig und wird selten repariert. Wenn der Sommer geht, geht auch die Besatzung, der Flughafen wird gesperrt. Bis zum nächsten Sommer bewacht ein einsamer Soldat der kroatischen Armee die Leere der Landebahn, des Turms und des Abfertigungsgebäudes.
Die kurze Vergangenheit
Dass der erste Bračanin ein Troglodyt aus dem Paläolithikum ist, beweisen archäologische Funde in der Höhle Kopačina zwischen Supetar und Donji Humac. Dass der Ur-Bračanin über trockenes Land geht und Brač damals technisch keine Insel ist, weil der Meeresspiegel dramatisch sinkt, scheint weniger gewiss, wird aber dennoch vermutet.
Und dass er auf Brač nicht ausgestorben ist, behaupten nur böszüngige Splićani, die ebenfalls behaupten, Bračani seien pathologisch geizig. Dem Höhlenbewohner aus der Altsteinzeit wird wohl das steigende Meer den Rückweg abgeschnitten haben, wonach er, ganz entgegen den Behauptungen maulender Splićani, ausgestorben ist. Die Höhle des paläolithischen Bračanin, so sagen die Archäologen, ist im Neolithikum genauso unbewohnt wie der Rest der Insel.
Albaner schwimmen schlecht
Viel später kommen und gehen noch diverse Völker, bis am Ende die Kroaten kommen und hier bleiben. Doch seit der Zeit, zu der das Meer aus Brač wieder eine Insel macht, bis zu der Zeit der Schnapsidee von Tuđman und/oder Šušak kommen und gehen alle mit Schiffen. Bis auf eine Ausnahme. Das ist der "Ewige Šiptar".
Heute sagt man das Wort "Šiptar", wenn man Albaner aus dem Kosovo meint, nur dann laut, wenn man ein Rassist ist oder wenn es halt auskommt. Im jugoslawischen Witz ist der Kosovo-Albaner traditionell immer der "Šiptar", immer dumm und kann das Phonem "l" nicht aussprechen, sondern sagt immer den Diphtong "lj" stattdessen. Genauso ist es auch in der Geschichte vom Šiptar, der zwar mit dem Schiff nach Sutivan kommt, aber zurück auf das Festland schwimmen will.
Diese schlechte Idee scheint ihm eine gute zu sein, weil das Festland so nahe ist. Zumindest sieht das an diesem Tag so aus. Wie immer, wenn die Bura vorbei ist und die klare Luft das Festland zum Greifen nahe rückt. In einer Variante ertrinkt der Kosovare, in einer anderen wird er von einem Fischer aus Sutivan in letzter Sekunde gerettet. Sein Retter ist meist Ivo Sila und seine blaue Gajeta, weil Ivo der bekannteste unter den Fischern von Sutivan ist. Seltener Nedo, weil er mehr mit seiner Pizzeria zu tun hat als mit seiner weißen Gajeta, und einmal ist es Lamut, zufällig fast nüchtern, der den Kosovaren in seine grüne Gajeta zieht.
In der Variante der glücklichen Rettung führt man den "Šiptar" auf den Hügel des hl. Vinzenz von Ferrara. Doch nicht, um in der kleinen Kapelle ein Dankgebet zu sprechen, sondern weil man von dort sehen kann, wie breit der Brački Kanal ist. Die Legende vom "Ewigen Šiptar" erzählt immer jemand aufs Neue, wenn wir damals Halbwüchsigen bei der Kapelle des hl. Vinzenz Pinienkerne für die Kuchen unserer Großmütter sammeln. Der Erzähler schwört auf unanzweifelbare Quellen, meist Tanten oder Stivanjani, die in der Umgebung der Bucht von Majakovac leben. Und die Bucht von Majakovac ist die einzige unverrückbare Konstante in jeder neuen Variante der Geschichte, denn immer schwimmt der "Ewige Šiptar" genau in dieser Bucht los.
Doch irgendwann verschwindet der dumme Kosovare aus unseren Geschichten, irgendwann sind die Appartements so nah an der Kapelle des hl. Vinzenz, dass man den Kanal von Brač nicht mehr sehen kann, und irgendwann kaufen wir die Pinienkerne im Supermarkt, weil das Zirpen der Grillen und das Fernweh weckende Rauschen des Windes unter den alten Pinien bei der Kapelle vom Surren der vielen warzigen Klimaanlagen der Appartements übertönt werden.
Im Bauch des Leut
Eines Sommers, irgendwann am Anfang der 1980er-Jahre, wird Miće verkauft. Es heißt, ein Kapitän aus Jelsa will das alte Leut zu einem Ausflugsschiff umbauen, wie es damals so viele Kapitäne machen, die eines dieser Holzschiffe erben und nun versuchen, damit ein Einkommen mit Touristen zu erwirtschaften, so wie ihre Vorfahren zu ihrer Zeit mit dem Transport von Gütern aller Art, die sie von und zu den Inseln in Dalmatien eben mit den Leuti und den größeren Trabakuli bringen.
Doch ein großes Leut zu erhalten ist aufwendig, weil der Rumpf bis zu zehn, zwölf, manchmal fünfzehn Meter misst. Deswegen kann man es nicht mit einigen Cousins einfach an den Strand ziehen wie eine Gajeta oder ein noch kleineres Kajić, wenn es einmal im Jahr kalfatert werden soll. Nur im Hafen von Milna gibt es Slips aus Beton, die starke Motorwinden haben und groß genug sind, um ein großes Leut, ein Trabakul oder eine Bracera aufzunehmen. Sind diese Slips vollgestellt, muss man nach Split, Šibenik oder Zadar fahren.
Warum fast alle Leuti und Trabakuli außen weiß, innen grün und unter der Wasserlinie braun (oder umgekehrt) gestrichen werden, weiß ich nicht. Einzig der kurze Streifen in der Mitte des Rumpfes, der die Wasserlinie bei maximaler Ladung anzeigt, ist blau, weil es so das Gesetz will. Vielleicht sind die Bračani tatsächlich pathologische Geizkragen, wie die Splićani es behaupten, und verwenden die genannten Farben, weil diese die billigsten sind. Vielleicht auch sind die weißen Boote bei Bura oder in der Dämmerung so besser sichtbar. Und vielleicht sind sie einfach deswegen weiß, weil schon der Vater und vor ihm der Großvater sein Schiff so streicht.
ENDE TEIL 1