Jetzt also – es ist da. Das neue Bob Dylan-Album „Shadows in the Night“. Schon einige Zeit war es angekündigt, von kaum jemandem wurde es ohne Skepsis erwartet. Weshalb? Dylan – aka His Bobness – covert darauf Songs von Crooner-Gott Frank Sinatra. Ja, solche, die von ihm – Ol´ Blue Eyes – interpretiert und zu mehr oder weniger kanonischen Titeln im American Songbook gemacht wurden. Was bei vielen zu Schulterzucken und kuhäugigen Fragegesichtern ob der sich dem momentanen Verständnis entziehenden Relevanz dieses „Ereignisses“ führt, löst in geneigten Fan-Kreisen und unter medial selbstermächtigten Pop-besser-als-sonst-irgendjemand-Verstehern Erschütterungen aus, die – übertragen auf die Richterskala – wohl substantiell verheerend ausfielen.
Schauplätze dieser Auseinandersetzungen, abseits einschlägiger Diskurs- und Fan-Seiten im www, sind die eh immer selben Internetforen der tief angesetzten verbalen Schläge und hoch fliegenden Emotionen, zuvorderst jene von Amazon und Youtube. Hier schreibt man sich von der Seele, was einem seit der Veröffentlichung dieses Machwerks/Zwangskaufs für Komplettisten/ganz passablen Ergebnisses/sehr guten Albums/unfassbaren Geniestreichs eben so auf der Seele lastet. Auch – und ganz besonders – weil man es ja vorher (immer schon!) gewusst hat. Prägnanter, wenn auch in versöhnlichem Tonfall formuliert in einem Kurzbeitrag auf Amazon.com: „Remember `Christmas Of The Heart´? (Dylan´s Weihnachtsalbum von 2009; Anm.) I expect this one to be just as bad. I'll buy it the day it's released and will enjoy Dylan's newest incarnation.“
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Die „Argumente“ die einem hier serviert werden sind die erwartbaren: Dylan singt schief, das alles ist irgendwie nicht besonders genug, wo ist das Orchester?, Sinatra sang viel besser, bei ihm war´s noch was Besonders, endlich kein Orchesterschmalz mehr, ein Verbrechen an Sinatras Material!, die Befreiung von Sinatras Deutungshoheit, blah, usw., etc., ad infintum. Streitereien, die für die Beteiligten (und eventuell leidensfähige Dritte) ja kurzzeitig ganz unterhaltsam sein mögen, aber irgendwie etwas seltsam zu wirken beginnen, betrachtet man das Streitobjekt erst aus der Nähe.
Zum einen erscheint es tatsächlich müßig, den geschmeidig und regelrecht graziös singenden Frank Sinatra, den Inbegriff des von cooler Sexyness in Stimme und Äußerem getragenen Crooners und begnadeten Interpreten fremder Werke mit Bob Dylan zu vergleichen. Mit Dylan, dem herben Anti-Charmeur, Folk-Elektrifizierer, dem Songwriter-Poeten dessen Texte erst seinen nölenden Gesang veredelten, und ganz besonders mit jenem Dylan, der vor allem eines ist: der größte Interpret seiner selbst, der sich nun auch an anderen versucht – was er übrigens auch in der Vergangenheit schon tat.
Zum anderen ist es tatsächlich seltsam, die Versionen eines Songs wie „Full Moon and Empty Arms“ unter dem Banner HIS BOBNESS VS. Ol´ BLUE EYES in einem verschriftlichten und anonymisierten Fan-Boy-Deathmatch unter einem Youtube-Stream aufeinanderprallen zu lassen. Warum? Darum: „Full Moon…“ wurde wie die meisten, wenn auch nicht alle, Frankie-Boy-Songs nicht von diesem komponiert, sondern von Buddy Kaye – einem der Großen seiner Tage. Der Song wurde außerdem nicht nur von Sinatra, sondern verschiedensten Künstlerinnen und Künstlern interpretiert. Darunter nicht nur Sängerinnen und Sänger, sondern etwa auch Erroll Garner, der eine herrlich luftige Jazzpiano -Version davon aus seinen Fingern fließen ließ.
Gag der nächsten Ebene: Schon Komponist Kaye vergriff sich für die Ballade an Sergei Rachmaninoffs Zweitem Klavierkonzert und benutzte dieses als Vorlage. Wir haben es bei Dylans Version also mit dem Cover eines vielinterpretierten Liedes, einst auch gesungen von Sinatra, komponiert von Kaye unter Zuhilfenahme von Rachmaninoff zu tun. So – urteilen wir mal darüber. Und überhaupt: Sarah Vaughans Interpretation bleibt die Version, die alle anderen überflüssig macht. Keine Diskussion.