„Mama, was macht der Hoden?“ Ich stehe im Badezimmer und schneide meinem Siebenjährigen gerade die Zehennägel. Vorhin haben wir darüber gesprochen, zum Spatziarzt zu gehen, um überprüfen zu lassen, ob alles in Ordnung ist. Soll ja wichtig sein bei Buben!

„Naja“, sage ich, Continuance bewahrend, „dort entstehen die Babys zuerst!“.

„Was?“ lacht er. „Und wie kommen die Babys in die Frau?“ Ein weit geöffnetes Augenpaar starrt mir wissbegierig entgegen.

„Mit dem Spatzi!“, erkläre ich, von außen ganz die coole Mami, innerlich blutschwitzend, weil ich vermute, dass es sich damit nicht hat. Hat es sich auch nicht. Das Augenpaar durchbohrt mich und ich werde gelöchert wie ein Schweizer Käse.Irgendwann fragt er: „Und was macht der Spatziarzt?“

„Er überprüft, ob alles in Ordnung ist.“

„Und wenn nicht?“ schießt es wie aus der Pistole hervor.

„Dann brauchst du eine kleine Operation.“

Ängstliches Schweigen macht sich breit. Mein Kind zieht die Pyjamahose runter und untersucht sich. „Das schneiden sie mir aber nicht weg?“ fiept er entsetzt und wird dabei immer leiser.

Fast möchte ich die Situation ausnützen, ihn ein wenig aufziehen und mit dem Angstmoment spielen. Weil ich aber seine wirkliche Betroffenheit spüre, entgegne ich lächelnd: „Nein, natürlich nicht und außerdem schneidet sowieso niemand sofort wo hinein. Ich bin ja dabei!“

Nachdem das Kleinkind einer Freundin eine Vorhautverängung, Phimose in Medizinsprache, hat, die die ganze Familie abends vor kurzer Zeit in die Notfallambulanz geführt hat, und das Spatzi meines Sohnes für ihn so heilig ist, dass ich es über einen langen Zeitraum nicht mehr begutachten durfte, bin ich zwar nicht panisch, aber auf der Hut.Ein anderes Kind aus dem Bekanntenkreis wurde wiederum am Hoden operiert, weil da irgendwas nicht gepasst hat. Ist ja alles so temperaturempfindlich da unten beim männlichen Geschlecht. Von wegen Schwankungen der Frau! Kalt lässt alles zusammenschrumpeln und wandernde Hoden verstecken sich im Bauch. Und wenn dann anatomisch eine kleine Nuance nicht stimmt, wird’s einmal nix mit Enkelkindern.

Jedenfalls möchte ich mir später einmal nicht vorhalten müssen, dass bei meinem Sohn etwas nicht stimmt, weil ICH etwas versäumt und verbockt habe. Das kann Mami ihm und der Frauenwelt der Zukunft nicht antun. Also lassen wir das abklären, damit er mal keinen Schlangenbeschwörer braucht!

Der Weg zur Ordination gestaltet sich ziemlich zögerlich und verklemmt. „Ich will nicht, können wir wieder heimgehen?“ fragt er und zieht dabei meinen Arm immer länger und länger, doch diesmal ist Mami so stur wie sonst nur er es kann. Kurz muss ich an die Situation denken, als wir einst nach einer Stunde Anfahrt beim Zahnarzt gesessen sind und er den Mund nicht aufgemacht hat. Trotz vieler Versuche der Helferleins und dem Versprechen einer Tafel Schokolade. Keine Chance! Manche Kinder wissen genau, was sie wollen und was nicht.Hoffentlich wird er beim Arzt die Hosen runterlassen. Da haben wir gerade erst besprochen, dass man sowas nicht tut vor irgendwem und das kein Fremder von ihm verlangen darf und jetzt verlange ich das komplette Gegenteil. Gut gemacht wiedermal. Tolle Erziehung! Und diesmal kann Mami wohl kaum vormachen, was zu tun ist!Ob das schon einmal irgendwo eine Mami gemacht hat? Sicher! Alles wurde schon mal irgendwo gemacht. Gibt’s nicht gibt’s nicht! In Gedanken zeichnet sich mir das Bild, wie die fremde Frau in einer verschwommenen Ordination die Hose runterlässt, weil das Kind nicht will. Und der Blick des Arztes. Unbezahlbar! Meine Fantasie sowieso. Grad fuchtelt der Arzt wild gestikulierend herum und klatscht dabei gegen die Popacke der rundlichen Dame, da meldet sich mein Bleiarm: „Ich muss aufs Klo.“ Natürlich! Immer, wenn wir in der U-Bahn stehen und Sardinen spielen, ist das so. Ich sags ja, Männer!Beim Urologen tummelt es sich ganz schön. Als wir uns anmelden, bekommen wir sofort einen Becher, der mit "Lulu" gefüllt am Klo abgestellt werden soll. Die Toilette ist ein Erlebnis für sich. Irgendwann am Weg hierher oder schon vorher habe ich verdrängt, dass es hier von inkontinenten Männern nur so wimmelt. Selbst im Wartezimmer brunzelt es noch munter vor sich hin, da der Geruch der Harnbecherquelle penetrant die Türen durchdringt. Auch Frauen sind hier, also sind wir im engeren Sinne beim Lulu- und Spatzidoktor.

Nach über einer Stunde warten mit Kind unter lauter Erwachsenen, die gut dazu genützt wurde, dem Lesezirkel quasi ein Zirkeltraining zu verpassen, darf mein Sohn endlich die Hosen runterlassen und tut es zu meiner Erleichterung ohne Diskussion. Alles in Ordnung, na bitte! Und Mama muss regelmäßig das Heiligtum kontrollieren, damit das auch so bleibt. Na dann. Amen!

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Ich mag doch keine Fische vergeben
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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:54

fischundfleisch

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