Kinder wollen verarscht werden

Kinder wollen "verarscht" werden. Sie werden es auch, nur anders.

„Sei ehrgeizig und reiß dich zusammen, wenn aus dir was werden soll!“ Was bitte soll werden? Schule, Hobbys, Sport. Überall steht die Leistung im Vordergrund, gipfelnd in gut/schlecht, ehrgeizig/faul, brav/schlimm, Schublade1/Schublade2. Konditioniertes Kind oder selbstbestimmtes?

Im Privatbereich dürfen Kinder sowieso nicht die Sau rauslassen (oder einfach nur das Kind, das sie sind!). In Lokalen, sogar den ausgewiesen kinderfreundlichen, werden Familien mit etwas lebhafteren, neugierigen Sprösslingen mit stillen Giftpfeilen beschossen, wenn nicht schon bald eine pampig spitze Ansage kommt. „Schaun Sie bitte, was Ihr Kind tut! Danke!“ Als ob ich es dazu erzogen hätte, das Essen auf den Boden zu schmeißen oder die Blumenköpfe abzureißen, die Fransen des Tischtuchs zu verfilzen, den Seifenspender am Klo zu leeren, weil der Schaum so witzig ist. Verhindern kann ich ja doch nicht alles, auch nicht von direkt daneben! Und bin ich stolz drauf? Natürlich nicht. Aber schämen werde ich mich auch nicht dafür, immerhin bin ich gut versichert!

Öffi fahren- noch schlimmer. Ein plärrendes Kind in der U-Bahn? Babys dürfen doch nicht schreien! Unfähige, depperte Mutter! Warten auf den Lift mit Kinderwagen? Zehn Minuten einkalkulieren, denn gesunde Menschenfußpaare springen regelrecht davor und drängen sich in den Aufzug. Ausweichen in der U-Bahn, damit der Kinderwagen Platz findet? Detto. Da hilft nur mehr, Leute niederführen, über die Zehen rumpeln, zurechtweisen. Ein Glück, dass die Kleinkinderzeit vorbei ist, sonst wäre ich schon Kinderwagengeisterfahrerin und ein reißerischer Artikel in der Zeitung. „Amokmutter schlägt um sich!“ Sollte ich hier erwähnen, dass ich noch gebärfähig bin?:)

Im Gegensatz dazu wird für den Hund im Lokal sogleich ein Napf bereitet, in der Apotheke wird ihm Hundekreide angeboten und der Hundebesitzer, dessen Beißkorb läppisch am Hals seines geifernden Köters baumelt, während dessen spitzen Zähne sich in Gesichtshöhe meiner Kinder befinden und wir uns in einer Umgebung mit vielen Menschen, Geräuschen, Rumpeln, abruptem Abbremsen aufhalten, wird noch angelächelt, weil das Hundsi ach so lieb ist. Geht’s noch? Ist doch frappierend, wie die persönlichen Wertvorstellungen verlagert sind, wie egoistisch und rücksichtslos viele Menschen denken!

Oft habe ich das Gefühl, Kinder haben keinen Platz in unserer Gesellschaft. Kinder dürfen die Zukunft sichern, aber bis dahin nach Möglichkeit nicht auffallen. Am besten zur Überbrückung in Kindertagesstätten oder sicher zu Hause verwahren . Eltern sind sowieso beruflich eingeschränkt und finanziell benachteiligt, was alle natürlich vorher wissen und sich trotzdem bewusst für Familie entscheiden. Kinder dürfen in unserem Lande aber nicht Kinder sein. Sie sollen sich immer benehmen müssen, funktionieren, artig sein wollen. „Hör auf zu weinen!“ höre ich immer wieder unliebsam ermahnende Stimmen. Und dann rennen die Tränenrunterschlucker als Erwachsene zum Psychotherapeuten, weil sie ihre unterdrückten Gefühle durch das Pokerface nicht mehr herauslassen können!

Dabei sind Kinder am bravsten und zufriedensten, wenn auf sie eingegangen wird. Am liebsten blödeln sie herum. Wortspiele, kitzeln. Hahaha! Offensichtliche Lügengeschichten. Hihihi! „Schau, da fliegt ein Drache!“ Woooo? Sie mögen das. Mehr ist mehr. Genug ist nie. Lachen ist eben nicht leise und beherrschbar!

Kinder wollen „verarscht“ werden. Weil sie dadurch sehen, dass sie die ungeteilte Aufmerksamkeit jemand anderes gewonnen haben, dass auf sie eingegangen wird, sie einmal im Mittelpunkt stehen. Weil sie dadurch lernen, was keine Schule lehrt. Weil spielen Spaß macht. Weil sie Nähe bekommen und sehen, dass Erwachsene auch nicht immer nur ernst sein müssen. Wenn wir mit mehr Lachen groß werden, weinen wir automatisch weniger. Trotzphasen durchstehen, Grenzen setzen, natürlich. Erziehen ist schon wichtig. Nicht immer seinen Kopf durchsetzen zu können, klar.Kinder sind aber nicht abzurichten. Nicht alle. Vielleicht ist das der Grund, warum Hunde beliebter sind. In Österreich besteht ein grundlegendes Gesellschaftsproblem. Wir können nicht koexistieren und koexistieren lassen. „Ausländer“ und geborene „Inländer“ wie Hunde und Kinder, Pensionisten und „die Jugend von heute“. Die Chancen der facettenreichen Gesellschaft werden politisch gepredigt, aber nicht ausreichend gelebt. In Wirklichkeit, möchte man einen Einheitsbrei ohne Ausreißer und wäre auch dann nicht glücklich, weil Österreich das Nörgelland Nummer eins ist und ohne Aufreger die Substanz fehlt. Spätestens dann würden wir –schon aus Langeweile- Lügenmärchen erfinden und zu verarschen beginnen. Die vielleicht noch vorhandenen Kinder würden´s begrüßen.

Deshalb sollten wir nur ein bisserl brav sein und unsere Kinder „verarschen“, so oft wie möglich, aber bei allem bitte nicht die Kinder verarschen!

...Reflexion einer Mutter...

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Daniel Guttmann

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