Mir fehlt die Energie für so vieles. Schon seit langem. Deshalb habe ich gedacht: Der Frühling ist da, endlich! Und hatte prompt vor einigen Wochen die Spontanidee, mit meinen Kindern plus Lebensgefährte in die Donauauen zu fahren, um das dort alljährlich blühende Schneeglöckerlmeer zu durchqueren. Wer schon einmal um diese Jahreszeit dort gewesen ist, weiß, wovon ich spreche. Wie Unkraut sprießen die kleinen Pflänzchen überall zwischen herabgefallenen Zweigen und Wurzeln aus dem Auenboden hervor. Man muss schon aufpassen, dass man nicht darauf tritt. Wie ich selbst seinerzeit, sind auch meine Kinder für Blumen zu begeistern. Besonders für meinen Siebenjährigen war der Ausflug ein besonderes Erlebnis, da wir das letzte Mal einige Jahre zuvor diesen Ort besucht hatten und er damals noch zu klein war, um sich zu erinnern.
Jeder weiß, dass den Schneeglöckchen als erste Nahrungsquelle der Insekten prinzipiell eine hohe Bedeutung zukommt und man sie deshalb nicht übermäßig pflücken oder gar ausgraben soll. In den Donauauen gilt daher die Daumen-mal-Pi-regel, dass ein Sträußchen pro Person in Ordnung ist. Wir hatten Gummibänder und eine Papiertragetasche dabei, um unsere Sträußchen sicher heimbringen zu können. Auf unserem Weg durch die Au begannen die Kinder also fleißig zu pflücken. Angesichts der Tatsache, dass es dort so viele Blumen gibt und diese ja nächstes Jahr wieder nachkommen, war es für mich –als Aufsichtsperson- auch in Ordnung, das enthusiastische Pflücken und das Glück daran nicht voreilig zu stoppen und etwas mehr als einen Strauß pro Person zuzulassen. Die Blumen sollten danach eben auf Großeltern und Nachbarn aufgeteilt werden, um diesen eine Freude zu bereiten.
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Als ich den Papiersack von meinem Lebensgefährten entgegennahm, um die Stängel auf der Toilette eines Lokals mit feuchten Tüchern zu umwickeln, merkte ich zum ersten Mal, dass Fleiß und letztendlich auch die Gier meiner Sprösslinge nicht gering waren. Ich stand vor einer logistischen Herausforderung, die Tücher zu wickeln und die fragilen Päckchen so in der Tragetasche zu schlichten, dass möglichst wenige Blüten beim Transport beschädigt werden würden.
Beim Frühstück am nächsten Tag beschlossen mein Sohn und ich, einen der Sträuße seiner Schulklasse zu spenden. Stolz und mit strahlendem Gesicht verabschiedete er sich also von mir und stieg mit dem Bündel, das am meisten ramponiert und deshalb für ihn entbehrlich schien, ins Auto unserer Fahrgemeinschaft. Das Gesicht, mit dem er am Nachmittag zurückkam, war ein Anderes. Die Lehrerin wäre ganz entsetzt gewesen ob der Masse der Schneeglöckchen, die er mitgebracht hatte. Man dürfe doch nur einzelne Pflanzen abpflücken! Doch damit nicht genug, bekam ich auch noch einen Anruf von einer Mutter, die mit mir heftigst jenes Thema diskutierte. Ich fühlte mich im Recht, sie sich auch. Solche Diskussionen sind müßig und führen niemals zu einem Konsens. Irgendwann muss man akzeptieren, dass es eben zwei Meinungen nebeneinander gibt. Das darf sein!Was ich allerdings nicht auf sich selbst beruhen lassen wollte, war, dass für meinen Sohn, welcher davor große Freude an der Natur gehabt hatte, dessen positives Ausflugserlebnis jetzt vermiest war. ER ist wohl am allerwenigsten an einer Pflückorgie schuld, die ihm nicht verboten wurde und ER hat jetzt einen Interessenskonflikt, weil Mama und Lehrerin unterschiedliche Sachen sagen - was mich zu einer Unterredung mit der ebendieser veranlasste. Wieder die gleiche, anstrengende Grundsatzdiskussion! Zwei beharrliche Meinungen, zwei Rechtfertigungen, Konsens unmöglich.
Die Schneeglöckerl klingen nach! Nie wieder werde ich erlauben, irgendetwas Lehrreiches in die Schule mitzubringen. Wer weiß, vielleicht sagt man mir dann noch nach, das riesige Nachtpfauenauge, das ich tot im Garten gefunden habe, selbst zwecks Dekorationseffektes getötet zu haben. Oder Tierquälerin zu sein, weil die Schneckeneier, die wir unter einem Holzstoß gefunden haben, im Marmeladeglas (mit durchlöchertem Deckel) geschlüpft sind. Selbst der Tausendfüßer in der Untersuchungslupe könnte nach einem Tag Im-Kreis-Laufen eine Verhaltensstörung aufweisen. Nein, für solche Dinge fehlt mir mittlerweile die Energie. Haben wir denn keine anderen Probleme? Anstatt zu sagen: „Schön, dass du Blumen gepflückt hast und in der Natur warst anstatt am Nintendo Zombies abzuballern!“ sagen wir: „Das darf man doch nicht! Um Himmels Willen!“Nicht zur Atomkraftwerklobby oder zu jener, die die Pestizidobergrenze stetig umgeht, sagen wir „Pfui“! Der Siebenjährige, der achtsam Blumen pflückt, ohne sie auszureißen, ist wohl der wahre Übeltäter!
Es fehlt mir die Energie für so vieles und ich denke so oft, dass wir abdriften. Der Dschungel aus Verboten, Bürokratie und künstlichen Erschwernissen ist kaum mehr zu durchdringen. Im Prinzip musst du immer auf der Hut sein. Egal, ob du nur etwas Unüberlegtes sagst, für das du verklagt oder gesellschaftlich verurteilt werden könntest oder ob du etwas tust, das dir spontan Freude bereitet. Unüberlegt darf nicht mehr sein, denn Unwissenheit schützt nicht.Vielleicht fehlt auch anderen die Energie. Nämlich jene, sich mit den großen Problemen unserer Zeit auseinanderzusetzen, sodass kleinlich nach etwas gesucht werden muss, bei dem man die Macht hat, mitzureden. Bei dem das Nörgeln auch gehört wird!
Die Blumen in der Vase sind mittlerweile längst verblüht, die Freude daran allerdings auch und passend dazu fällt mir ein altes Lied ein : „Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben?“!