Wir sitzen im Auto am Weg durch Mallorca. Keine Vorgaben, kein Ziel. Immer der Straße nach. Vielfältige Landschaften ziehen vorbei, zur Seite blickend, ein verschwimmendes Bild von Farben, ein zerronnenes Aquarell in seiner Perfektion. Dazu der Wind, der würzige bis zitrusartige Gerüche von Rosmarin bis Thymian, manchmal auch das Aroma von blökenden Ziegen und Schafen trägt. Freilich, vermischt mit dem Duft der Straße.
In der Ferne schmiegen sich stilvolle Fincas an den Berghang, darunter gähnt beharrlich der Abgrund. Zypressen stechen immer wieder in egoistisch anmutender Manier kerzenartig hervor. Plötzlich erscheint ein aus der Ferne klein wirkendes rundes Aussichtstürmchen an einem Bergkamm, ganz aus Stein gebaut, Zeit und Witterung trotzend, wie eine kleine Festung oder Ruine. Die mag ich besonders. Komisch, wie filigran leicht das tonnenschwere Bauwerk aus der Distanz wirkt. Wie ein Spielhütchen aus Stein.Meistens blicke ich nach vorne, um mir Kopfschmerzen zu ersparen. Dort bietet sich ein herrliches Panorama auf, während sich unser Leihwagen über die Serpentinen der steilen Küstenstraße schlängelt. Irgendwer muss diese schwer schuftend in den Berg geschlagen haben. Jeder Punkt eigentlich eine Aussichtsplattform an sich, bewegen wir uns stetig voran, unbeeindruckt von der Enge des Weges und dem Gegenverkehr, dem wir über dilettantische Ausweichnischen unter überhängenden Felsen begegnen und ungeachtet des Gerölls, das Wildziegen losgetreten haben. Die Landkarte liegt ausgebreitet auf meinem Schoß und offenbart die fremden Namen der Ortschaften und Buchten, die wir passieren. Irgendwann mündet die Straße in ein pittoreskes Hafendörflein, das gerade einmal aus ein paar hingeworfenen Lokalen und Häuschen besteht. Davor liegen in der Tat einige Schiffchen in der Bucht, deren Weißstich einen mediterranen, fast kitschigen Kontrast zum türkisblauen Meer bietet. Der hier stärker wehende Westwind schlägt die Wasseroberfläche zu Wellen, die an einzelnen, aus dem Untergrund ragenden zerklüfteten Felsen gebrochen werden. Jedes Mal, wenn die Gischt unaufhaltsam mit majestätischer Wucht ans Ufer marschiert und dabei feine Tröpfchen in die Luft versprüht, zischt es angenehm. Wir sind an der Westküste. Hier gibt es keinen Sand, nur Steine in allen möglichen Größen, Farben und Facetten. Wir sammeln einige, um sie daheim aufzubewahren. Das ist besser als unnötige Souvenirs anzuhäufen. Auch günstiger.Angesichts der Temperaturen möchte man ins Wasser gehen, direkt am Meer angelangt, entscheiden wir uns fast immer dagegen. Ein wenig fürchten wir uns vor dem Ausrutschen auf den glitschigen Steinen und davor, dass wir vom Wasser niedergestreckt werden und uns den Kopf stoßen. Außerdem macht eine starke Brise wie hier das Herauskommen aus dem Meer fraglich angenehm. Wir müssen aufpassen, dass wir keinen Sonnenbrand bekommen. Wenn schon Sonnenbrand, dann möchte ich die Sonne spüren, wie sie in meine Haut eindringt, ein angenehm wohliges Gefühl der totalen Entspannung erfahren. Bis es beginnt wehzutun. Ich mag Sonnenhaut. Sie riecht knusprig salzig verbrutzelt.
In kleinen Städtchen und Dörfern, die wir passieren, wird der Geist von großen Künstlern wie Chopin greifbar und wir tauchen ein und lassen uns davon fangen.Die langgezogenen Strände des Südens liegen hinter uns. Wir fahren in Richtung Norden, die westliche Küstenstraße entlang. Landschaft und Klima verändern sich auf unserem Weg durchs Land deutlich. Ich mag die langen Sandbuchten, nicht aber das Innenland des Südens. Es ist zu flach. Plantagen mit Obstbäumen und Felder wechseln sich stetig ab, sodass man Gefahr läuft, in Trance zu kippen. Das Bild ist ein monotones, unspektakuläres und der heiße Asphalt der Straße produziert Luftspiegelungen zwischen dem Gummi der Autoreifen.Westen und Norden sind spannender. Jede Kurve birgt eine neue Überraschung, nichts wird vorher verraten, von Neugier getrieben strebt man immer weiter voran. Auch das Getier, das herdenartig die Straße überquert oder am Wegrand zeitbombenartig tickend verharrt, kündigt sich nicht an. Reaktion ist gefragt, um Kollisionen zu verhindern. Mein Chauffeur weiß, was er tut. Souverän führt er unseren Streitwagen an, bereit, die Insel zu erobern. Erfreulicherweise darf ich ihm Gesellschaft leisten. Und die Karte halten. Er hält nur das Lenkrad und manchmal meine Hand. Bei Gelegenheit bedenkt er mich inbrünstig mit einem seiner Blicke, so wie nur er es kann. Seine lachfaltengerahmten Augen strahlen aus der Tiefe von Weisheit, Lebensfreude, Freiheit, aber auch Melancholie. Er ist anders im Urlaub. Leichter als sonst. Ich mag das. Fotografen sind wir beide. Es wird schwierig werden zu entscheiden. Gleiche Motive, unterschiedliche Perspektive. So wie jeder von uns die Welt anders inhaliert. Wenn es zu dämmern beginnt und die Sonne sich in allen Nuancen an Goldgelb- bis Rottönen über den Ozean ergießt und das Wasser zu glitzern beginnt wie sonst nie am Tag, werden wir uns ein nettes kleines Restaurant suchen und wahrscheinlich Fisch essen. Und lachen und uns freuen. Danach irgendwann starten wir den Rückweg zu unserer Finca, die herrschaftlich im Tramuntana Gebirge zwischen Oliven- und Orangenhainen thront. Wir werden uns erschöpft auf der Terrasse niederlassen und den Tag mit einem guten Tropfen Wein begießen, während wir im fahlen Schein der Laterne die Silhouette eines Geccos betrachten und uns bei Kerzenschein ein Bild von Romantik zaubern, das eigentlich nur den Rahmen darstellt. Wenn Stille über uns einbricht, sind diese wissenden Katzenaugen, die mich zu durchdringen vermögen, genau auf mich gerichtet, ohne Ablenkung und Zerstreuung der Straße oder Landschaft… Morgen geht es wieder dorthin. Wohin wissen wir noch nicht. Wir haben uns nur entschieden, auf die Reise zu gehen.Irgendwann daheim werden wir uns zurückerinnern und alle Eindrücke abrufen können, die in uns sicher verwahrt sind. Dann werden wir melancholisch und vom damaligen Fieber gepackt Bilder und Erlebnisse neu entstehen lassen. Und wir werden wieder dort sein. Auf der Straße durch Mallorca.
…für meinen Wegbegleiter…