Wir steuern gerade keinen guten Zeiten entgegen. Im Gegenteil: Wenn man die Medien betrachtet, könnte man sogar fast meinen, der westlichen Hemisphere entgleitet die globalpolitische Kontrolle. Damit meine ich nicht nur die Vereinigten Staaten, die mit einer eklatanten Führungsschwäche und gravierenden außenpolitischen Fehlern eines Barack Obama die Welt in Richtung Abgrund taumeln lässt. Nicht etwa, weil die USA momentan als großer Aggressor betrachtet werden kann, sondern, weil die derzeitige amerikanische Politik eher eine Laissez-faire-Mentalität walten lässt. Das nützen andere globalpolitische Akteure natürlich aus.

Russland zum Beispiel hat seine Rolle in der Weltpolitik gerade entdeckt und will diese auch spielen. Während in Europa über eine nie dagewesene Flüchtlingskrise diskutiert wird - die im Übrigen schon länger vorhersehbar war, nachdem im Nahen Osten gerade ein ganzer Staat implodiert - setzt Russland Handlungen. Zunächst mit der Einverleibung der Krim und dem ständig auf kleiner Flamme am Köcheln gehaltenen Ukrainekonflikt und jetzt auch als der handelnde Akteur im Nahen Osten. Nicht, dass sich Russland das mit allzuviel Anstrengung erkämpfen musste - ohne diplomatischer (und politischer) Gegenwehr des anderen Blocks (USA und Europa) war es ein Leichtes, sich als globale Macht zu präsentieren. Natürlich ohne Rücksicht auf Verluste.

Diesen Status wird die Europäische Union nicht erreichen können. Zumindest nicht mit der seit gut einem Jahrzehnt andauernden Vogelstrauß-Politik. Man wusste schon länger, dass zahlreiche Flüchtlinge nach Europa kommen würde - und hat sich in sträflicher Untätigkeit geübt. Anstatt rasch und effizient Hilfe in den Nahen Osten zu schicken, hat man zugewartet. Als klar wurde, dass Assad nicht so leicht das Zepter abgibt und sich der Konflikt damit nicht nur ausdehnt, sondern Millionen an Zivilisten ihrer Lebensgrundlage beraubt hat man - zugewartet. Als im Mittelmeer Tausende Flüchtlinge qualvoll ertrunken sind, hat man ebenfalls zugewartet. Nicht einmal, als Abertausende Schutzsuchende Zuflucht in Europa suchen, hat man es der Mühe Wert gefunden, auch nur irgendeine humane Lösung zu präsentieren. Nein, man flüchtet sich in nationalen Dünkeln (und lässt damit die extreme Rechte erstarken). Die Verantwortung, die eigentlich ganz Europa, respektive die Europäische Union, betrifft, wird zwischen den einzelnen Staaten hin und her geschoben.

Hat man sich bei der Schaffung gemeinsamer Außengrenzen und der Wirtschaftsunion denn nicht überlegt, was passiert, wenn eine ganze Region - in dem Fall Syrien - auseinanderbricht? Hat man denn diese Eventualität (die in der Geschichte schon mehr als einmal Realität geworden ist, auch in Europa selbst während des Ersten Weltkriegs) nie in Betracht gezogen? Offenbar nicht. Es gab und gibt keinerlei Pläne, wie man Erstens: human auf solche Krisen reagieren kann und Zweitens: wie man solche Krisen überhaupt verhindern kann. Was man in weiterer Folge dann übersehen hat: Diese Krise ist durchaus dazu geeignet, die Union, die als hehres Ziel den innereuropäischen Frieden und eine multilaterale Hegemonie definiert hat, auseinanderbrechen zu lassen.

Warum man das nicht gemacht hat? Man hat auf Nationalismen und Kleinstaaterei gesetzt. Damit ist die Union gleichzeitig handlungsunfähig. Denn um eine solche Hegemonie zu verteidigen, reicht es nicht, ein Gipfeltreffen nach dem anderen zu veranstalten. Diese Konstellation hätte man schon bei der Schaffung von Schengen verhindern müssen. Wäre es nicht naheliegend gewesen, ein gemeinsames Heer zu gründen? Welchen Zweck hat eine Union, bei der über die Hälfte der Mitgliedsstaaten zwar auch eine Mitgliedschaft bei der NATO halten, selbst aber keinerlei Verteidigungsmöglichkeiten hat? Auf welche Werte setzt man eigentlich, wenn man tatenlos zusieht, wie Menschen sterben und sterben werden - und das einzige, womit man reagiert, ist Hilflosigkeit, die schon in Richtung Dilettantismus geht?

Als globaler Akteur spielt Europa längst keine Rolle mehr. Sollte Russland etwa die Türkei wegen des abgeschossenen Kampfjets zur Verantwortung ziehen wollen, wird es brenzlig. Würde aus diesem Grund die Türkei (ein NATO-Mitglied) angegriffen werden, tritt ein Bündnisfall ein. Passiert das, kann aus dem Flächenbrand im Nahen Osten eine globale Apokalypse erwachsen. Europa wird zusehen müssen. Allerdings tatenlos.

5
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:17

dohle

dohle bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:17

billi57

billi57 bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:17

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:17

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:17

4 Kommentare

Mehr von CharlesSteiner