Nun war es also soweit. Der Höhepunkt der hiesigen Narren, der Faschingsdienstag, hat sich kaum übersehbar über die Leute des Landes erquickt. Ein Entkommen ist möglich, gestaltet sich aber angesichts tausender, vermeintlich begeisterter Mitläufer, etwas schwierig. Man braucht da schon gute Ausreden, um nicht auch in eine schrullige Maskerade gesteckt und zu einem der zahlreichen „Gschnas“ gezerrt zu werden. Meinereiner ist diesem Wahnsinn jedoch sehr erfolgreich, aufgrund meiner Verpflichtung des täglichen Broterwerbs, entkommen.
Dummerweise hatte ich allerdings noch einige Besorgungen durchzuführen und machte mich um die Mittagszeit auf, um dies zu erledigen. Meine Wahl fiel auf den nahegelegenen Shoppingtempel, der mir für dieses Vorhaben perfekt erschien, so konnte ich alles auf einmal bewerkstelligen und musste nicht von Pontius zu Pilatus pilgern. Im Einkaufsparadies angekommen, bestand kein Zweifel mehr, um welchen Tag es sich handelte. Ja, es war nicht mehr zu übersehen- Geflasht von unzähligen, mehr oder weniger originellen Verkleidungen, versuchte ich mir meinen Weg zu bahnen, als plötzlich unmittelbar neben mir, drei wirklich sehr real wirkende brasilianische Sambatänzerinnen vorbeihuschten, die mir doch tatsächlich noch ein kurzes Lächeln auf die Lippen zauberten. Ich dachte mir nur: Hatten die sich verirrt? Drei so kunstvoll, exotisch-erotisch geschmückte Grazien inmitten von mehr schlecht als recht verzierten Individuen, die schon um diese Zeit dem Alkoholkonsum frönten, damit sie ihren Dauergrinser aufrecht erhalten?
Ja, Karneval in Rio, das hat schon was. Und auch der Karneval in Venedig! Das hat Stil, hat Kunst, hat Ästhetik, hat Klasse! Das ist nicht gleichzusetzen mit dem, was sich hierzulande abspielt. Samba gegen Volksmusik. Klassik gegen Schlager. Kunst gegen Witzfiguren. Und im TV? Versucht ja nicht, diesen erst einzuschalten! Es könnte durchaus sein, dass gerade eine Sendung zum Thema „Villacher Fasching“ läuft, mit Witzen, die keine sind und die das traurige Niveau unserer Gesellschaft wiederspiegeln.
Zugegeben: Für unsere Kleinen ist es ja schön und lustig, sich als Cowboy, Indianer, Prinzessin, Katze oder sonst irgendwas zu verkleiden. Die sollen ihren Spaß haben, schön zu sehen, wie sie sich aufrichtig freuen können, in solche Rollen zu schlüpfen und darin erblühen! Aber als gestandener, erwachsener Mann im Frauenkostüm sich einen reinzuballern, als ob es kein Morgen gibt, oder ein anderer einfach nur als obligatorische Badewanne geht, um einen guten Grund zu haben, sich volllaufen lassen zu können, ist da schon was anderes.
Ich kann mich noch gut an einen Kollegen aus früheren Tagen erinnern: Der schien immer gut gelaunt gewesen zu sein. Ein sehr dynamischer und scheinbar ausgeglichener Mensch, der sehr gut Werbung für Zahnpasta machen hätte können. Und plötzlich war er nicht mehr da. Selbstmord an einem Faschingsdienstag! Obwohl sein Leben perfekt schien, ohne Krankheit, ohne Schulden, mit Kindern und einer netten Frau, vielen Freunden und Kollegen. Aber man kann ja in keinen Menschen hinein sehen, sagt man. Mit einem Schuss aus einer Faustfeuerwaffe, hatte er seinem Leben ein Ende gesetzt und sich demaskiert! Offensichtlich konnte er seine Verkleidung nicht mehr ertragen.
Heute ist Aschermittwoch, der Spuk ist vorbei und viele Menschen setzen wieder ihre Alltagsmaske auf, um nicht als Persönlichkeit entlarvt zu werden… Lei-Lei!
chilis77