Das „musthave“ für gelangweilte Kids, Teenies und Leute mit Hang zu elektronischer Fürsorge, war irgendwann in den 1990er Jahren ein kleines, ovales Plastikteil mit Display und Anhänger für den Schlüsselbund. Auf diesem Display zu sehen, war ein äußerst anspruchsvolles, virtuelles Küken. In regelmäßigen Zeitabständen mussten die Bedürfnisse des kleinen Pixelmonsters, wie essen, trinken, schlafen und Zuneigung, befriedigt werden. Wenn der Besitzer des elektronischen Haustieres den Bedürfnissen nicht nachging, musste das Küken „sterben“.  Nicht lange hat der Hype um das sogenannte „Tamagochi“ damals gedauert und nach einigen Monaten war der Spuk auch schon wieder vorbei. Das „Handy“ mauserte sich schön langsam alltagstauglich und gewann zunehmend an Bedeutung.

Doch wenn man sich heute so umschaut, könnte man meinen, dass das Tamagotchi gar nicht so tot ist! Eine neue Form der elektronischen Fürsorge hat sich schlagartig durchgesetzt. Nicht nur für Randgruppen, sondern auch für den Großteil der Bevölkerung! Eigentlich muss man nicht lange um den heißen Brei herumreden müssen, um zu wissen was gemeint ist: Das Smartphone! Egal ob an der Haltestelle, im Zug, im Bus, in der Schule, bei der Arbeit, an der nächsten Ecke, im Cafe, im Lokal, im Bad, im Einkaufszentrum, im Park und zuhause, überall, zu jeder Zeit und nicht gerade subtil, wird drauf rumgedrückt, als ob es darum ginge, das Küken am Display in der Plastikhülle zu umsorgen.

Zugegeben, sind die Möglichkeiten, die ein solches Smartphone heute bietet, bei weitem vielfältiger und spektakulärer, als es ein simples Tamogotchi jemals hätte sein können. Es ist nicht einfach nur ein Sammelsurium an seltenen Erden in einer mehr oder minder anschaulichen Plastikhülle- Nein! Dieses faszinierende Teil verwandelt sich sogar- (allmächtig sind jene, die ein solches Wunderding besitzen!) Und zwar in ein Telefon und Telefonbuch, einen Wecker, eine Postkarte, einen Brief, einen Fotoapparat, ein Fotoalbum, eine Videokamera, eine Landkarte, die Tageszeitung, ein Navigationsgerät, einen Taschenrechner, ein Diktiergerät, ein Radio, eine Musicbox, ein Wörterbuch, einen Buchladen, einen Arztersatz, ein Kochbuch, einen Sportladen, eine Taschenlampe, Geld, eine Bank, ein Schuhgeschäft, eine Spielhalle, ein Casino, eine Videothek, ein Fernsehprogramm und Fernseher, ein Konferenzzimmer, ein Reisebüro, einen Kalender und Terminplaner, einen Flohmarkt, einen Babysitter, und, und, und… Ja, es kann sogar zum Lebensretter aus ansonsten schier ausweglos erscheinenden Situationen werden! Fast unbegrenzt scheinen die Möglichkeiten eines Smartphones zu sein, plötzlich hat man nicht einen oder ein paar Freunde, sondern hunderte, wenn nicht sogar tausende, auf die man per App am Smartphone zurückgreifen kann. Wie viele von diesen "Freunden" dann auch tatsächlich einmal zum eigenen Begräbnis erscheinen werden, sei dahingestellt.

Kein Wunder also, dass man so vielen Menschen begegnet, die das „Tamagotchi der Gegenwart“ so liebevoll und hingebungsvoll pflegen und umsorgen. Einer mittleren Katastrophe gleicht für so manchen die Vorstellung oder Tatsache, dieses Baby irgendwo liegen lassen zu haben, versehentlich damit in den Pool gehüpft zu sein, beim mühsamen Treppensteigen an der 98. Stufe des betonlastigen Stiegenhauses aus der Hosentasche zu rutschen und sich, mehrere Meter tiefer unten, schluchzend, in absoluter Trauer und Wut versunken, von einer gemeinsamen Zukunft verabschieden zu müssen, oder es nach dem download einer Boomerang-App, in hohem Bogen und mit voller Kraft wegwirft und wider Erwarten, nicht mehr zurückkommt… Ja, letzteres ist natürlich etwas hochgegriffen.

So vielseitig das Smartphone heute bereits ist und durch weitere Entwicklungen noch sein wird, eines wird es aber nie ersetzen können: Das Gefühl für die Menschen, die man in sein Herz geschlossen hat! Jedoch kann es eine mehr oder weniger gute Verbindung zu ihnen aufbauen und so dazu beitragen, das Bedürfnis, weiterhin einen guten Draht haben zu wollen, befriedigen.

chilis77

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Silvia Jelincic

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Kristallfrau

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