Vor ungefähr einem halben Jahr durfte ich einen Menschen kennenlernen, der irgendwie anders ist als alle anderen Leute. Den Michael. Er war mir als neuer Arbeitskollege vorgestellt worden. Da stand er nun- groß, korpulent, mit Brille und ohne einen einzigen Bartstoppel, aber unglaublich freundlich und sehr sympathisch. Michael ist 22 Jahre alt und hat, was sich noch rausstellen sollte, in seinem noch jungen Leben viel einstecken müssen, was an ihm aber spurlos vorübergegangen worden zu sein schien. Aber der Reihe nach.
In den 6 Monaten, in denen er mir schon viel über sich und sein Leben erzählt hatte, konnte ich schon einen relativ guten Eindruck gewinnen. Da war zum einen dieser unfassbare Weihnachtstick, den er hat. Wie ein kleiner Bub fiebert er seinem persönlichen, jährlichen highlight entgegen. „Ich weiß zu jedem Zeitpunkt im Jahr, wieviel Tage es noch bis Weihnachten sind!“ erzählt er mir mit seiner äusserst überschwänglichen Art. Er sucht seine Christbäume bereits im Sommer aus, um diese dann bei seinem Tannenbaum-Händler seines Vertrauens, beim letzten Vollmond vor Weihnachten zu ernten.
In der Vorweihnachtszeit verschlingt sein Weihnachtstick den gesamten Lohn + Weihnachtsgeld- und das sind einige tausend Euros. Er investiert sie in Geschenke, Weihnachtskitsch, Festessen, sündteuren und unzählig vielen Christbaumschmuck. 200 (!) Kugeln hat er 2014 gekauft, jedes Jahr neue und schon am 24.Dezember ist klar geregelt, wie der Christbaum im Jahr darauf aussehen wird! Mit glänzenden Augen erzählt er, welche Weihnachtslieder er am liebsten hört und dass seine halbe Festplatte mit Weihnachtsliedern voll ist. Jeden Tag nach Weihnachten, wenn er von der Arbeit nachhause kommt, setzt er sich alleine vor seinen prachtvoll geschmückten und leuchtenden Baum und starrt diesen, in Gedanken versunken, eine halbe Stunde lang an. Er wohnt in einem großen, älteren Haus seines Vaters. Unten sein Vater plus Freundin und oben, er mit seinen zwei Schwestern. Seine Mutter ist vor sechs Jahren gestorben.Er selbst hat keine Beziehung.
Am Weihnachtstag kocht er für die gesamte Family groß auf und Geschenke gibt’s für alle. Alle? Nicht ganz, denn er ist dieses Jahr leer ausgegangen. „Was???“ hatte ich zu ihm gesagt, „Du betreibst so einen Aufwand, machst und tust für alle, jeder bekommt so großartige Geschenke von dir und du bekommst nichts???“ „Doch!“ sagte er. „Ich hab eine selbstgestrickte Mütze von der Freundin meines Vaters bekommen. Aber leider ist sie mir viel zu klein...“ Entsetzt und mit offenen Mund schaute ich ihn an und kommentierte ihn nach einer kleinen Gedankenpause nur mehr mit einem leisen „Unfassbar…“.
Dann war da noch die Geschichte mit einem seiner vorigen Arbeitgeber, wo er nach der Schule übergangsmäßig und für eine 20-Stunden- 500 Euro Pauschale bei einem größeren Fleischhacker mit Imbiss, das „Mädchen für alles“ spielen durfte. Der Chef war übrigens Homosexuell, aber war alles andere als tuntig. Er ließ den Michael schuften bis zum Umfallen, er musste überall gleichzeitig sein, da, dort und natürlich nicht für 20, sondern bis zu 50 Stunden pro Woche. Für 500 Euro, wohlgemerkt. Und er musste sich schnellstmöglich ein Auto besorgen. „Wieviel hast du?“ fragte ihn der Chef. „3000!“ entgegnete ihm ein damals sehr naiver Michael. „O.k., wir gehen zum Händler und ich schaffe für dich ein Auto an. Die 3000 nehme ich als Anzahlung fürs Leasing. Den Rest kannst ja mit Überstunden abarbeiten.“ Für Michael war das damals kein Problem, er dachte nur, dass das wohl normal sei in der Arbeitswelt. Lohnzettel und genaue Abrechnungen gab es nie… Einmal schnitt er sich vor lauter Stress so tief in den Zeigefinger, dass die halbe Fingerkuppe fehlte und Michael bei diesem Anblick ohnmächtig wurde und umfiel. Sein Chef setzte ihn daraufhin auf einen Sessel, gab ihm etwas Cola zu trinken und verlangte nach einer Weile von ihm, weil es jetzt höchste Zeit ist, sich ins Auto zu setzen und Wurstsemmerl in der Schule zu verkaufen, was er dann auch tatsächlich, devot wie er war, unter Angstzuständen ausgeführt hat. Michael arbeitete dort ein ganzes Jahr und die Geschichte mit dem teuren Leasing-Wagen hatte noch länger ein Nachspiel, auf das ich nicht näher eingehen will.„Ich versteh mich mittlerweile trotzdem wieder super mit ihm und kaufe mein Fleisch dort!“ erzählte mir der blauäugige Michael, den wohl gar nichts erschüttern konnte.
Einmal wollte er in Wien studieren und ist dabei auf der Suche nach einer Wohnung, auf Betrüger reingefallen, die ihm eine Mietwohnung versprochen hatten. Doch nachdem er den Vertrag unterschrieben und 2000 Euro Anzahlung geleistet hatte, musste er am nächsten Tag, als er mit Sack und Pack einziehen wollte, leider feststellen dass der Schlüssel nicht passt und der vermeintliche Vermieter nicht mehr erreichbar war… Zu allem Unglück kamen daraufhin die tatsächlichen Eigentümer der Wohnung von einem Urlaub an, die nicht schlecht staunten und ihn für einen Einbrecher hielten. Noch am selben Tag ist Michael stundenlang von der Polizei verhört worden.Die tatsächlichen Täter waren zu diesem Zeitpunkt natürlich schon über alle Berge und konnten auch nicht ausgeforscht werden.
Michael ließ sich auch dadurch nicht unterkriegen. Er ist der fröhlichste Mensch auf der Welt und trägt immer seine rosarote Brille auf der Nase, was auch sein Status mit breit-grinsendem Gesicht in einem Sozialen Netzwerk vermuten lässt : “I’m in love with a fairytail“.
Ich wünsche ihm jedenfalls viel Glück für die Zukunft und höre ihm auch weiterhin zu. P.S.: Seinen Namen hab ich in dieser Story selbstverständlich geändert.