Anlässlich des globalen Aktionstages gegen das TTIP stellt sich die Frage: Welche Alternativen zum TTIP und Freihandel gibt es eigentlich? Wenn das TTIP scheitert, was dann?
Schritt eins: Die EU versteht den politisch geschaffenen Binnenmarkt als öffentliches Gut, das vor Ausbeutung, Diskriminierung, Kinderarbeit, Umweltzerstörung, Klimawandel, Gesundheitsgefahren und Korruption geschützt wird. Wie? Indem alle Unternehmen, die Zugang zum Binnenmarkt wünschen, einen „Eintrittskarte“ vorweisen müssen: eine Gemeinwohl-Bilanz, in der nach einheitlichen Fragestellungen dokumentiert wird, wie die Arbeitsbedingungen sind, welche ökologischen Auswirkungen die Produkte haben, wie gerecht verteilt und wie demokratisch entschieden wird. Das Bilanz-Ergebnis scheint auf den Produkten einfach erkennbar für die KonsumentInnen auf, und je nach Bilanzergebnis (in Punkten) ist der Zugang frei (Freihandel für die Fairsten), weniger frei, oder die Unternehmen erhalten gar keinen Zugang. Das wäre ein mächtiger Anreiz für in- und ausländische Unternehmen, sich ethisch und in Übereinstimmung mit den heiligen und stets beschworenen „Werten“ der EU zu handeln. Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Demokratie sind zwar heute schon die Verfassungwerte der EU-Mitgliedsstaaten, bloß der Binnanmarkt und die Handelsstrategie (Stichwort TTIP, CETA & Co.) belohnen derzeit diejenigen Unternhemen, welche diese Werte nicht leben, weil sie billiger anbieten können.
Derselbe Ansatz könnte auch auf der institutionellen Ebene gewählt werden: Die EU sucht, um ihre Werte auch im Handel zu schützen, vorrangig den Austausch mit jenen Staaten suchen, die alle Menschenrechtspakte ratifiziert haben, das Kyoto-Klimaschutzprotokoll und alle UN-Umweltabkommen, die ILO-Kernarbeitsnormen, die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt und die sich am Aufbau eines vollständigen Informationsaustausches von steuerrelevanten Daten zur Vermeidung von Steuerflucht beteiligen. Die USA wären aus diesem Blickwinkel der EU-Werte nicht der erste Kandidat für ein Handelsabkommen: Sie haben nur einen der beiden Menschenrechtspakte ratifiziert, nur 2 der 8 ILO-Kernarbeitsnormen, kaum ein UN-Umweltschutzabkommen, weder das Kyoto-Protokoll noch die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt. Angesichts dieser erheblichen ethischen Differenzen ist „Freihandel“ nicht nur die falsche Strategie, es ist die Einladung zum Bruch mit Verfassungswerten! Freihandel ist eine Greencard für Unternehmen, die all diese Standards „zu Hause“ nicht befolgen müssen, im Binnenmarkt in „freie“ Konkurrenz mit Unternehmen zu treten, welche unter diesen Rahmenbedingungen wirtschaften müssen. Aus der Spieltheorie wissen wir, dass sich im „freien Wettbewerb“ zwischen Fairen und Unfairen letztere verlässlich durchsetzen.
Kohärent wäre deshalb ein Zollaufschlag für Importe aus den USA für jedes nichtratifizierte Abkommen zum Schutz der Menschenrechte, Arbeitsnormen, Klima- und Umweltschutz, für kulturelle Vielfalt und Steuerkooperation. Auf diese Weise würde der Druck bei den Handelspartnern erhöht, die genannten völkerrechtlichen Abkommen zu ratifizieren oder anders: bei der Globalisierung der Werte – und nicht vorrangig der Wirtschaftsfreiheiten – zu kooperieren.
Beginnt die EU mit Ansatz eins, wäre im Nu die Gemeinwohl-Bilanz globalisiert, denn kein größeres Unternehmen der Welt kann es sich leisten, auf den größten Absatzmarkt der Welt zu verzichten. Ganz entgegen der Panikmache-Rethorik, dass die EU dann als Markt geschmäht würde, würde sie endlich als globales Vorbild wirken und rasche Nachahmung weltweit finden. Mit Stufe 2 würde sich eine „Gemeinwohl-Zone“ bilden, in der ethisch und fair gehandelt wird. Die USA wären vermutlich nicht von Beginn an dabei, aber der innenpolitische Druck, die UN-Abkommen zu ratifizieren, würde stark steigen. Langfristig wäre es ohnehin am besten, dass die völkerrechtlichen Regeln für den internationalen Handel in den Vereinten Nationen gebildet werden, mit einer verbindlichen Ethik-Bilanz für alle. Deren Ergebnis entscheidet über den freieren oder weniger freien Zugang zum Weltmarkt.