Wer sich dafür interessiert, was zwei junge französische Muslime dazu bringt, ein doch recht beachtliches Massaker an ihren Mitbürgern anzurichten, der wird einen Teil der Antwort ausgerechnet auf der Homepage der französischen Regierung finden können. Dort, unter http://sig.ville.gouv.fr/Atlas/ZUS/ sind penibel mehr als 750 Gebiete innerhalb Frankreichs aufgelistet, ganz sorgfältig Straßenzug um Straßenzug, die in der Technokratensprache der Pariser Administration „Zones urbaines sensibles“ (ZUS) geheissen werden, also salopp übersetzt „Soziale städtische Brennpunkte“. Dort leben mehrheitlich, manchmal nahezu ausschließlich Muslime, insgesamt rund fünf Millionen Menschen.
Praktisch jede französische Stadt verfügt über ein paar dieser ganz besonderen Distrikte, und in der Praxis geht es dort ziemlich rau zu. Der Staat hat nämlich die Kontrolle über diese Gebiete weitgehend aufgegeben, die Polizei geht im Normalfall gar nicht, und wenn es denn unbedingt einmal sein muß, nur paramilitärisch abgesichert in diese Zonen. Konflikte aller Art werden dort von den Bewohnern untereinander ausgetragen, ohne die Behörden zu behelligen. De facto hat der Rechtsstaat in diesen Gebieten den Anspruch aufgegeben, dort französisches Recht durchzusetzen.
Es sind dies Paralleluniversen, in denen Moscheen, Imame und Familienclans regieren, teilweise die Scharia an die Stelle der französischen Verfassung getreten ist und radikale Hassprediger so ungewöhnlich und selten sind wie frisches Baguette in einer Pariser Bäckerei um acht Uhr früh. Nachrichten und damit sein Weltbild bezieht man in diesem Milieu primär aus jenen islamistischen Fernsehprogrammen des nahen Ostens, die Dank westlicher Hochtechnologie überall in Europa in HD-Qualität empfangen werden können.
Auch die zwei jungen Männer, die es vergangene Woche für notwendig erachteten, eine kleine Zeitungsredaktion auszurotten, sind nach derzeitigem Wissenstand in einem derartigen informellen Kalifat sozialisiert worden, und man braucht keine all zu blühende Phantasie um sich vorzustellen, was sie dort beigebracht bekommen haben. Die Deklaration der Menschenrechte, der gesammelte Voltaire und das Werk von Simone de Beauvoir dürfte eher nicht darunter gewesen sein.
Das Entstehen dieser hunderter Exklaven auf dem Gebiet der Grande Nation erst zugelassen und deren Existenz später einfach mehr oder weniger ignoriert zu haben, ist die eigentliche Mitschuld des französischen Staates an den Ereignissen der letzten Woche. Wo der Rechtsstaat den Anspruch aufgibt, sich durchzusetzen, ist massives Unrecht die zwingende Folge.
Dass Frankreichs politische Eliten dies über Jahrzehnte zuließen, hat zwei sehr einfache Gründe. Erstens: die mehreren Millionen französischer Muslime sind Wähler; und vor allem sozialistische Politiker bemühen sich emsig um diese Stimmen. Zweitens: für den Fall, dass der Staat seine Souveränität in diesen ZUS´ mit polizeilicher oder militärischer Gewalt widerherstellen wollte, drohte der Republik wohl ein ausgewachsener Bürgerkrieg.
Beide Argumente zusammen reichten völlig aus, die Politik dieses Problem über Jahrzehnte ignorieren zu lassen. Den Preis dafür haben letzte Woche jene Menschen entrichten müssen, die ihr Leben verloren. Sie werden nicht die letzten sein.
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