Mit einer ziemlich falschen Begründung hat dieser Tage Jean-Claude Juncker, der umtriebige Präsident der Europäischen Kommission, eine ziemlich richtige Forderung begründet. Die Union, meinte er nämlich, brauche eine gemeinsame „EU-Armee“, denn die "würde Russland den klaren Eindruck vermitteln, dass wir es ernst meinen mit der Verteidigung der Werte der Europäischen Union".
Das ist eher keine gute Begründung. Um Russland diese Haltung der Europäer glaubhaft zu vermitteln, braucht es keine gemeinsame Armee, dazu braucht es bloß ausreichende gemeinsame Entschlossenheit der EU-Mitgliedstaaten (die es derzeit nicht gibt), Putin angemessen entgegenzutreten – und zwar mit allen Mitteln, die notwendig und angemessen sind.
Und trotzdem ist Junckers Forderung berechtigt und macht Sinn, wenn auch aus ganz anderen Gründen.
Denn eine wirklich gemeinsame militärischen Landesverteidigung der Union würde ganz banal, aber nicht gerade unwichtig, enorme Mengen Geldes sparen, weil 27 Verteidigungsministerien, Stäbe, Bürokratien aller Art, vielfach vorhandene militärische Einheiten, teure Ausrüstungen und vieles anderes entsorgt werden könnte. Das würde die ohnehin überspannten Staatsfinanzen der Mitgliedsstaaten merkbar entlasten und eröffnete die Möglichkeit, deren Bürgern deshalb mehr netto vom brutto zu überlassen.
Einen belastbaren Grund, die Landesverteidigung auf der nationalen Eben zu belassen, gibt es nicht. Denn schon jetzt würde einem allfälligen Angriff auf einen EU-Staat zweifellos von allen Mitgliedstaaten gemeinsam entgegnet werden; daß sich Österreich bei einer russischen Attacke auf Polen für neutral erklärte, ist ja nicht wirklich gut vorstellbar.
Der einzige wesentliche Unterschied zwischen dem militärisch national zerfledderten Ist-Zustand und der allfälligen EU-Armee ist, dass die gemeinsame Landesverteidigung der Europäer so wie sie jetzt organisiert ist teurer, behäbiger, ineffizienter und auch militärisch weniger schlagkräftig ist.
Wir haben es hier also im Grunde mit einer jener nicht all zu zahlreichen klassischen Staatsaufgaben zu tun, die auf der europäischen Ebene wirklich viel sinnvoller erledigt werden können und sollen als auf der nationalen Eben.
Deshalb erlaubte die Übertragung der militärischen Agenden vom Nationalstaat an die Union allenfalls auch eine Renationalisierung anderer Politikfelder, auf denen Brüssel von den Bürgern als eher lästige Bevormundungs-Agentur wahrgenommen wird. Eine Union, die sich um Weniger, aber Wichtigeres als heute kümmert, würde gewiss erheblich an Akzeptanz und Legitimität gewinnen.
Logisch zwingende Voraussetzung einer gemeinsamen Unions-Armee wäre freilich zwingend eine ebenso von den Nationalstaaten an die Union übertragene Außenpolitik, deren finales Machtmittel eine derartige Armee ja wäre.
Das aber ist der Punkt, an dem Herrn Junckers Vorstoß leider ziemlich weit von der Realität entfernt ist. Denn dass etwa Frankreich – vom Vereinigten Königreich reden wir da besser gar nicht –auf eine eigen Außenpolitik verzichtet, ist ungefähr so wahrscheinlich wie der Umbau des Pariser Elysee-Palastes in eine Jugendherberge.
Schon allein deshalb ist zu befürchten, dass „die Verteidigung der Werte der Europäischen Union“ (Juncker) auch in der absehbaren Zukunft noch weiterhin aufgesplittert, ineffizient und viel teurer als nötig betrieben werden wird.