Kaum ein Fernsehbericht, kaum ein Kommentar, kaum eine Analyse kam in der Nachbetrachtung zu den Terroranschlägen von Paris ohne diesen Satz - in irgendeiner Variation - aus: „Die Franzosen haben es nicht geschafft, die Migranten zu integrieren“. Das gleiche wird dem Sinne nach auch über die Belgier behauptet, weil auch in Teilen von Brüssel Zustände herrschen, die mehr an Beirut oder Damaskus erinnern als an die Hauptstadt der Europäischen Union.
Damit wird unterschwellig unterstellt: Hätten die Franzosen oder die Belgier es geschafft, die muslimischen Migranten besser zu integrieren, dann gäbe es dort keinen radikalen Islam. Und ohne diesen radikalen Islam gäbe es keinen islamistischen Terror.
Voila: Eigentlich sind die Franzosen am gegen sie gerichtete Terror ja letztlich irgendwie selber schuld. Hätten sie sich halt mehr bemüht beim Integrieren.
Noch verrückter geht es kaum: da schlachten ein paar junge Männer, denen in Brüssel oder Paris entgegen allen anderslautenden Stereotypen grundsätzlich die gleichen Lebenschancen offen gestanden sind wie den meisten anderen jungen Leuten dort auch, völlig unbeteiligte andere Menschen aus rein religiösen Motiven ab – und schuld soll die mangelnde Integrationskunst der autochthonen Franzosen gewesen sein?
Nur so zur Erinnerung – so erklärten die Terroristen selbst ihre Tat: „Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen.....In einer gesegneten Attacke, die Allah ermöglichte, hat eine Gruppe von Gläubigen, Soldaten des Kalifats, Allah möge ihnen Macht und Sieg geben, die Hauptstadt der Abscheulichkeit und der Perversion ins Visier genommen, die Hauptstadt, die das Banner des Kreuzes in Europa trägt, Paris.
Eine Gruppe, die sich vom irdischen Leben getrennt hat, ist zu dem Feind gegangen, hat den Tod gesucht in Allahs Weg, hat seiner Religion Hilfe geleistet, seinem Propheten und seinen Getreuen, und hat seine Feinde erniedrigt. Mit Allah waren sie wahrheitsgetreu, wir betrachten sie so. Allah hat ihre Hände geführt und Angst in die Herzen der Feinde gebracht.
Acht Brüder, mit Sprengstoffgürteln und Sturmgewehren, haben Orte angegriffen, die sorgfältig im Voraus ausgewählt wurden, im Herzen der französischen Hauptstadt, das Stadium Stade de France, wo zwei Kreuzfahrer-Nationen spielten, Frankreich und Deutschland, wo der Idiot von Frankreich, Francois Hollande, anwesend war; den Bataclan, wo Hunderte eine perverse Feier feierten; …..Als Ergebnis dieses Angriffs wurden mehr als 200 Kreuzfahrer getötet und viele mehr verletzt, alles Lob gebührt Allah. Allah hat unseren Brüdern den Weg des Märtyrers ermöglicht, sie haben ihre Sprengstoffgürtel ausgelöst, im Herzen der Ungläubigen, nachdem sie keine Munition mehr hatten. ... Diese Attacke ist nur der Anfang des Sturms, und eine Warnung für alle, die daraus Lehre ziehen wollen.“
Man muss schon reichlich naiv sein, zur Erklärung eines derartigen Textes nicht etwa religiöse Motive, sondern mangelnde Integration heran zu zerren. Wenn nun rundum behauptet wird, gute Integration würde derart religiös motivierte Massaker abwenden können, hat einen simplen Grund: weil es die Auseinandersetzung mit dem religiösen Kern des Problems (scheinbar) erspart.
Dass man diese zentrale Ursache des Terrors noch unanständiger wegretuschieren kann, bewies jüngst der „Standard“. Dort war doch jüngst glatt zu lesen:
„Neben den Terroranschlägen selbst zeugen einige Vorfälle von den auch sozialpolitischen Spannungen im Land. In Marseille wurde ein jüdischer Lehrer am Mittwochabend von drei Unbekannten mit Messern angegriffen und verletzt. Einer der Täter zeigte ein T-Shirt der Terrormiliz IS“ (danke für den Hinweis an www.mena-watch.com)
Wir verstehen: ein Antisemit sticht in Marseille einen Juden nieder, weil er ein Jude ist – und das ganze ist nicht etwa ein antisemitischer Anschlag, sondern Ergebnis von „sozialpolitischen Spannungen“.
Mit derart abseitigen Analysen werden wir die Terroristen sicher besiegen – aber nur dann, wenn sie sich darüber totlachen.