Dass Männer mit Frauen – und nicht unbedingt ihren Ehefrauen – im Fernsehen tanzen wie etwa bei „Dancing Stars“, das gilt in den meisten halbwegs zivilisierten Ländern als durch und durch harmlos-hausbackene, aber bei den schlichteren Gemütern überaus beliebte Form der abendlichen TV-Unterhaltung. Erotisch aufgeladen ist so etwas ungefähr so stark wie eine durchschnittliche Ausgabe von „Donald Duck“ – jugendfrei ab 0 Jahren.
Nur in der Türkei, mit der die EU nach wie vor über die Konditionen eines Beitrittes verhandelt, wird das anders gesehen. Die türkische Aufsichtsbehörde für Radio und Fernsehen (RTUK) hat erst jüngst eine auf dem Programm „Kanal D“ ausgestrahlte Tanz-Show zu einer Strafe von rund 150.000 Euro verknackt, berichtete die Zeitung „Hürriyet“ am Wochenende. Als Begründung für diese doch recht heftige Busse führte die Behörde ins Treffen, dass die Tanzeinlage „der öffentlichen Moral und der türkischen Familienstruktur“ widerspreche.
Man könnte die Episode halb belustigt auf sich beruhen lassen, wäre sie nicht so symptomatisch für eine Entwicklung, die in der Türkei nun schon viele Jahre anhält und noch lange nicht an ihrem Endpunkt angelangt ist – dem Umbau der säkularen Demokratie, wie Staatsgründer Atatürk sie als Vision vor Augen hatte, zu einem autoritär-islamistischen Staat, in dem die Religion – der Islam – wieder viel stärker als bisher das Alltagsleben der Menschen reguliert. Dass ein harmloser Tanz zwischen einem Mann und einer Frau pönalisiert wird, ist nur eines von zahllosen Indizien dafür; die immer häufiger werdenden Verhüllung des weiblichen Haares (nein, wir reden vom Kopfhaar!) gehört dazu genauso wie die schleichende Diskriminierung von Alkoholgenuss in Restaurants und Bars.
"Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten,“ hatte in den 1990er-Jahren der damalige Istanbuler Bürgermeister Erdogan, heute Staatspräsident seines Landes, schon recht deutlich ausgesprochen, dass ihm die Trennung von Staat und Religion überhaupt kein Anliegen ist und er ganz im Gegenteil ein stark islamisch geprägtes Land schaffen will.
Nun ist es ganz ohne Zweifel das gute Recht der Türken, ihre Staat so zu gestalten, wie sie es mögen und für richtig halten. Wenn die Mehrheit der Türken es für richtig hält, dass Männer und Frauen nicht in der Öffentlichkeit miteinander tanzen sollen, dann ist ihr gutes Recht, entsprechende Gesetze zu verabschieden. Das ist in der Demokratie halt so.
Mit den zentralen und unverhandelbaren Werten der EU ist all das freilich absolut unvereinbar. Eine Türkei, in der Männer und Frauen nicht miteinander tanzen dürfen, weil das „der öffentlichen Moral und der türkischen Familienstruktur“ widerspreche, hat in der Union daher nichts, absolut nichts, verloren. Einen Grund, weiter mit den Türken über ihren Beitritt zu verhandeln, gibt es nicht mehr. Diese Verhandlungen zu beenden, ist daher besser früher als später notwendig.
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