Vor nun etwas mehr als zehn Wochen stimmte sich die einzige, im österreichischen Nationalrat vertretene, Liberale Partei (wieder einmal) auf den Überlebenskampf ein. „Auf in die letzte Schlacht“, lautete das Kredo. „Wenn Wien nicht genommen wird, dann nimmt Wien unsere Partei.“ Nachdem, seit der Wien Wahl, nun einiges an Wasser die Donau runter geschwommen ist, wäre es einmal Zeit kurz durchzuatmen und eine Bestandsaufnahme zu machen. Und sich vor allem einer Frage zu widmen: Warum haben liberale Parteien immer wieder dermaßen große Schwierigkeiten in Österreich Fuß zu fassen und wie kann man verhindern, dass die nächste Nationalratswahl in eine Art Entscheidungsschlacht ausartet? Ein Erklärungsversuch.
Die Spurensuche beginnt weit in der Vergangenheit. Liberale waren seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein fester und wichtiger Bestandteil der politischen Landschaft der Habsburger Monarchie. So trugen sie zur Durchsetzung der Trennung von Kirche und Schule, Religionsfreiheit und der Emanzipation von Juden maßgeblich (und gegen Widerstand des Kaisers) bei. Doch spätestens mit Beginn der zweiten Republik verschwanden sie (zumindest was ihre politische Präsenz als Partei betraf) irgendwo im Nebel der Geschichte.
Warum eigentlich? Werfen wir einen Blick über die Grenze nach Deutschland. Dort konnte sich mit der FDP seit 1949 eine Partei etablieren die erst 2013 aus dem Bundestag flog. Diese war tatsächlich jene Partei, die am häufigsten in der Regierung vertreten war und die Bundesrepublik damit deutlich prägte. Zwar waren es auch die Liberalen der FDP gewohnt Existenzentscheidende Wahlkämpfe zu führen (Stichwort: Zweitstimmenwahlkampf), aus dem Bundestag wirklich rausgeflogen sind sie aber erst nach über 64 Jahren. Zum Vergleich: Das Liberale Forum schaffte es ganze sechs Jahre im österreichischen Pendant, dem Nationalrat, durchzuhalten.
Seit 2013 haben sich die Umstände geändert. Die Liberalen in Deutschland wurden nach einer Serie von Skandalen abgewählt und die NEOS zogen in der Alpenrepublik, wenige Tage später, ein. Die Zukunftsaussichten waren zu Beginn durchaus vielversprechend. Man präsentierte sich jung, innovativ und vor allem nicht systemangepasst. Dass das alleine nicht reichen wird zeigte sich allerdings schnell. Strategische Eigentore, wie der Vorschlag einer Wasserprivatisierung (die Kandidatin wurde übrigens nach Brüssel abgeschoben) und ein teilweise überfordert wirkender Spitzenkandidat beendeten den Aufstieg der Strolz Partei so schnell wie er begonnen hatte.
Weder in der Steiermark, noch im Burgenland, gelang ein Landtagseinzug und in Oberösterreich kam man ebenfalls unter die Räder. Und damit war es am 15. Oktober wieder einmal so weit: Die gefühlt hundertste Entscheidungsschlacht, einer Liberalen Partei in Mitteleuropa, ging in Wien über die Bühne. Allerdings fand sie kaum Beachtung. Wie den anderen Parteien auch, mangelte es den NEOS angesichts des (instrumentalisierten) „Duells um Wien“ an Aufmerksamkeit. Dennoch konnte man mit 6,16 %, und damit dem Einzug in den Gemeinderat, einen Achtungserfolg feiern.
Dieser Erfolg kaschiert nun die Tatsache, dass man bei den Landtagswahlen 17/18 in Kärnten, Niederösterreich, Salzburg und Tirol vermutlich Niederlagen einstecken und man bei der Bundespräsidentenwahl (mangels eigenem Kandidaten) gänzlich von der medialen Bildfläche verschwinden wird.
Die Erklärungen für die konsequenten Probleme der Vergangenheit, Gegenwart und wohl auch Zukunft sind vielseitig.
Zum einen mag es sicher damit zu tun haben, das die ÖVP immer schon versucht hat den liberalen Teil der Bevölkerung abzudecken und auch im Besitz eines etwas liberaleren Flügels ist. Zum anderen lag das, jedenfalls bis vor Mitte der 80er Jahre, auch zu einem guten Teil an der FPÖ. Diese hatte zwar immer einen Hang zum Rechtspopulismus, allerdings sammelten sich auch einige liberale Akteure an, denen die beiden Großparteien zu wenig Spielraum boten. Dem deutschnationalen Flügel, welcher vor allem in den 60ern und 70ern noch stark präsent war, ist es verschuldet, dass die Liberalen nie komplett in der FPÖ aufgingen und quasi ein Leben in zweiter Reihe führen mussten. Für diese erschien es einfacher, sich der Strukturen und Infrastruktur einer bereits bestehenden Partei zu bedienen, als etwas Eigenes zu schaffen. Dadurch gab es nie eine „Gründergeneration“, welche später mit Erfahrung, Expertise und Rat zur Seite hätte stehen können. Der liberale Flügel der FPÖ ging am 13. September 1986 unter, als Norbert Steger, ein bekennender Liberaler, von einem gewissen Jörg Haider als Parteiobmann weggeputscht wurde.
Das führte langfristig zu der Abspaltung des Liberalen Forums durch Heide Schmidt, welche sich zwar einige Zeit behaupten konnte, letzten Endes aber den üblichen liberalen Problemen erlag: Die schwere Vermittelbarkeit liberaler Ideen an das, an Durchregulierungen gewöhnte und vor zu viel Eigenverantwortung Angst habende, Wahlvolk.
In Deutschland mischte die FDP von Beginn an mit. Im Gegensatz zum südlichen Nachbarn, wo die bürgerliche Fraktion (aufgrund der Erfahrungen aus der Zwischenkriegszeit) versuchte möglichst viele Strömungen in sich zu vereinen, grenzte sich die CDU zu Beginn deutlich von den Liberalen ab. Dadurch hatte die Freie Demokratische Partei einen klaren Startvorteil. Langfristig konnte sie diesen nutzen um sich, als Mehrheitsbeschaffer, als das berühmte „Zünglein an der Waage“ zu profilieren.
Auch gegenwärtig haben es die NEOS, in Bezug auf die politische Großwetterlage, alles andere als einfach. Beim Thema Flüchtlingskrise, scheinen die Wählerinnen und Wähler geradezu nach einfachen Lösungsvorschlägen zu lechzen. Ein schwieriger Stand für eine Partei, welche bei diesem Thema eine klare Linie erst noch finden muss (oder wüssten Sie spontan welche Lösungsansätze die NEOS diesbezüglich verfolgen?).
Aber vielleicht müssen sie hier auch nicht omnipräsent sein. Es würde die Möglichkeit öffnen sich in Gebieten zu profilieren, die gerade aufgrund der alles beherrschenden Flüchtlingsthematik vernachlässigt werden. Oder man könnte auch klarere Positionen um das Freihandelsabkommen TTIP beziehen. Wenn die NEOS nicht schnell Kernthemen finden und erfolgreich besetzen, laufen sie Gefahr von einer Entscheidungsschlacht in die nächste zu jagen. Ein bisschen polarisieren hat in der Politik noch nie geschadet. Vor allem nicht in der österreichischen.