Zum klassischen bashing-repertoire, das arrivierte politische Pragmatiker für den idealistischen politischen Nachwuchs bereithalten, gehört im Inland wie auch sonst überall in der Welt der Vorwurf der Unreife, der Unerfahrenheit und der Naivität. Ebenso erging es 2008 auch einem ehemaligen afroamerikanischen Sozialarbeiter und Juristen der es bis zum Senator des US-Bundestaats Illinois gebracht hatte und nun mit Funken sprühendem visionärem Reformgeistdie Hoffnung auf eine bessere Zukunft in den Herzen der kriegsmüden amerikanischen Gesellschaft regelrecht zum entflammen brachte.Die mit einfachen Botschaften wie „change“ und „ yes we can“ beschlagwortete Kampagne bescherrte dem „jungen Idealisten“ nicht nur den Einzug ins Weisse Haus für insgesamt 2 Amtszeiten sondern in der Folge auch den Friedensnobelpreis.
Nahezu 6 Jahre sind seit der Inauguration Barack Obamas am 20. Jänner 2009 vergangen. Sechs Jahre in denen tatsächlich ein Wandel stattgefunden hat. Neben einem gesellschafts-, wirtschafts-, energie und globalpolitischen aber vor allem auch ein menschlicher. Es ist der menschliche Wandel dem hier bewusst der Vortritt gelassen werden soll, weil es nun mal unbestritten zur zentralen Beschaffenheit des Kinos gehört Prozesse emotionaler Verfassung und deren Wandlung unter dem Vergrößerungsglas der Leinwand transparent zu machen: eine Eigenschaft des Kinos die bekanntermaßen auch gerne für politische Veranstaltungen genützt wird um die Unverfälschtheit der emotionalen Intensität welcher Art auch immer zu betonen.
Die Leinwand verlangt von Politikern viel ab: ganz besonders von jenen die sich zugleich als gute Schauspieler verstehen möchten, denn sie bildet nicht nur das äußere Gebaren ab sondern lässt tief in emotionale und kognitive Prozesse hineinblicken die sich mit keinem noch so ausgeprägten Talent zur Schauspielerei verfälschen lassen. Die Leinwand nimmt damit für jeden Politiker und jede Politikerin die Funktion der Feuertaufe ein, die sie oder ihn in den Köpfen der Wähler zur überdimensionierten archetypischen Figur des oder VolksvertreterIn schmieden soll.
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Die emotionale Authentizität gepaart mit dem nahezu messianisch-extrovertierten Reformgeist war das Erfolgsrezept des Barack Obama.
Die Bilanz 6 Jahre später sieht anders aus.Der Dokumentarfilm citizenfour von Laura Poitras über die ersten Tage der Flucht des Whistleblowers Edward Snowden zeigt beinahe ausschließlich von Angst und Schrecken traumatisierte Figuren. Der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten ist da keine Ausnahme, sondern ganz im Gegenteil: Obwohl ihm im Vergleich zum Protagonisten und NSA-Aufdecker Edward Snowden maximal die Rolle des Nebendarstellers in einer kurzen Interviewsquenz zuerkannt wird, ist sein Auftritt zum dramaturgischen Höhepunkt geworden der zugleich den Tiefpunkt der neueren Entwicklung unserer Gesellschaft markiert.Gänzlich sinnentleerte, den Blicken des fragenden Gegenübers ausweichende und scheinbar vom Fluchtinstinkt geplagte Augen zeitigen ein dramatisches Abbild der nicht nur im Kontrast zu seinem ersten Wahlkampf offensichtlich desillusionierten inneren Konstitution Obamas.
Angst essen Seele auf
Am Beipiel der funktional gegensätzlichen aber menschlich nah-verwandten Rollen des Staatsoberhaupts und des Hochverräters entwirft die Regisseurin damit ein scheinbares Abbild unserer Zeit in einer Welt in der sich die Bevölkerung vor der Obrigkeit fürchten muss und sich umgekehrt auch die Obrigkeit vor der Bevölkerung fürchtet. Sie verdeutlicht so dass die Orwell’sche Dystopie des totalitären Überwachungsstaats unter dem Deckmantel des Kampf gegen den Terror längst Realität geworden ist.
Die Annahme dass sich Barack Obama vor der Bevölkerung fürchtet scheint aber letzlich zu kurz gegriffen und zu abstrakt. Denn die Angst die sich unweigerlich in den Blicken des Präsidenten wiederspiegelt zeigt ihn als Repräsentanten des Staates vielmehr durch vermeintliche Sachzwänge odere andere aussenstehedende Einflüsse in eine Art Machiavellisches Korsett gedrängt dessen Kleidermaße in diesem Film die große Unbekannte darstellen.
Denn zur Ausbildung einer manifesten Angst bedarf es im Vorfeld nicht nur in der dramaturgischen Psychogenese konkrete Erfahrungen als Auslöser. Während die konkreten Erfahrungen samt der Geschehnisse die zur Ausbildung dieser Angst geführt haben, im Falle Edward Snowdens oder des Journalisten Glenn Greenwalds entweder selbst Bestandteil des Films sind, oder sich zumindest durch Rückschlüsse erahnen lassen, bleibt für den Zuseher bei einem der wohl bekanntesten Männer der Welt der Rückschluss auf die konkreten Erfahrungen die zur Ausbildung der attestierten Angst und Desillusion geführt haben verwehrt.
Das neugierige Publikum gerät gerade dadurch, dass es sich hier um einen Dokumentar- und nicht einen Spielfilm handelt selbst in ein Dilemna weil es letzendlich selbst entscheiden muss, ob es sich auf spekulative Ergüsse zur Erklärung und Interpretation des rein menschlichen Wandels eines Staatsoberhaupts einlassen will; ob es die Momentaufnahme eines sich in der defensive befindlichen Präsidenten als aus dem Kontext der sonstigen emotionallen Verfassung der Person gerissen sehen will; oder ob es so wie der Autor dieser Zeilen nicht auf eine spätere autobiographische Legitimation der Umstände warten will, sondern den Präsidenten selbst auffordert zu seinen "naiven idealistischen" Wurzeln zurückzukehren und Whistleblower wie Edward Snowden zu werden um der Welt die Umstände mitzuteilen die ihn scheinbar innerhalb von 6 Jahren zu einem psychischischen Wrack werden haben lassen: Mr. President werden Sie doch Whistleblower!
*Dieser Text wurde nach der Österreich-Premiere von Citizenfour am 1. Jänner noch vor den Anschlägen auf Charlie Hebdo verfasst und steht damit vielleicht mittlerweile in einem anderen tagespolitischen Kontext als ursprünglich intendiert.Ich bin jedoch ungeachtet der tragischen Ereignissen in Paris der Auffassung dass einer Einschränkung der "Freiheit" nicht mittels einer Einschränkung der Persönlichkeitsrechte durch einen Ausbau der staatlich verordneten Überwachung beigekommen werden kann.