Es ist schon einige Monate her, dass ich Franz das letzte Mal getroffen habe. Franz heißt natürlich nicht Franz, aber ich werde ihn in diesem Beitrag so benennen. Ich weiß auch nicht genau, was mit ihm inzwischen passiert ist.
Franz habe ich vor über zweieinhalb Jahren im Rahmen der Betroffenenbegleitung im Krankenhaus kennengelernt. Ein schwieriger und unfolgsamer Patient, so wurde er avisiert. Wie viele Patienten mit Mundhöhlenkarzinomen hatte er ein massives Alkoholproblem, war ein starker Raucher und stand am Rande der Gesellschaft. Wie er mir viele später einmal erzählte, kam er aus sehr einfachen Verhältnissen, ein uneheliches Kind, geboren am Ende des 2. Weltkrieges, keine Möglichkeit zu einem sozialen Aufstieg. Ein ewiger Hilfsarbeiter mit wenigen persönlichen Kontakten, die sich meistens am Wirtshaustisch abspielten. Damit verbunden war wohl auch der massive Alkoholabsus. Offenbar gab es auch keine Partnerschaft, laut seinen Erzählungen war die große Liebe schon vor sehr vielen Jahren mit einem Arbeitskollegen verschwunden.
So saß ich dann im Herbst 2012 bei Franz im Krankenzimmer und versuchte mit ihm in Kontakt zu treten. Ich war ja vorgewarnt, aber erstaunlicherweise war sein Verhalten mir gegenüber, weder aggressiv noch ungehalten, auch nicht ordinär oder gar handgreiflich. Von derartigen Vorfällen wurde mir nämlich berichtet. Ich versuchte mit Franz über die Zeit nach der Operation zu sprechen, die Organisation seines Alltages, den er sicherlich am Anfang nur mit Hilfe bewältigen könnte. Ich erklärte ihm viel über bürokratische Wege und schilderte ihm meine persönlichen Erfahrungen. Auch wenn die Kommunikation sehr schwierig verlief, er war kaum verständlich, so war stets eine gewisse Herzlichkeit im Raum. Es berührte mich ganz besonders, als er mir auf einem Zettel folgende Worte aufschrieb: „ Dass sie so wer Bessera um mi kümmat, des hätt i ma nie dacht!“ Daran konnte man erkennen, wie er sich wohl fühlen musste.
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Wochen später habe ich Franz am 2.Weihnachtsfeiertag an seinem Reha-Ort in der Nähe von Salzburg besucht. Dies ging mir sehr nahe, denn die Vorstellung an so familiären Tagen alleine zu sein, war für mich sehr befremdlich. Es war tatsächlich so, dass es keine Familienangehörigen gab, zumindest keine mit denen Franz Kontakt hatte. Es wird mir unvergesslich bleiben, wie er den Portier bat, von sich und mir vor dem großen Weihnachtsbaum im Foyer ein Erinnerungsfoto zu knipsen. Er hat mir später einmal erzählt, dass dieses Foto bei ihm zuhause einen Ehrenplatz hätte.
An diesem Weihnachtstag lud mich Franz in ein Gasthaus ein. Dabei fiel mir auf, dass er seinen Alkoholkonsum nicht wirklich reduziert hatte. Ich muss dazu erklären, dass Alkohol für Mundhöhlenkrebspatienten generell sehr Rezidiv fördernd ist, auch schon in geringen Mengen. Ich erlaube mir deshalb immer andere Betroffen in unseren Gesprächen darauf hinzuweisen, manchmal auch mit leicht erhobenem Finger. Bei Menschen mit einem Suchtproblem ist das oft nicht zielführend, obwohl mir schon auffällt, dass sich so mancher zumindest Gedanken macht. Franz ließ sich in knapp einer Stunde drei kleine Bier schmecken, die er sich mittels einer Plastikspritze in den Mund laufen ließ, was bei den anderen Gästen zu großem Staunen führte.
Monate später habe ich Franz in der Klinik wieder getroffen, als ich selber stationär untergebracht war. Er musste sich wieder einmal einer Korrekturoperation unterziehen, da auf Grund seiner Sucht der Heilungsprozess nicht optimal war. Schon als ich sein Zimmer betrat strömte mir Biergeruch entgegen. Das war für mich trotz vieler Betroffenenbegleitungen, die ich zu diesem Zeitpunkt schon hinter mir hatte, doch sehr erschreckend. Franz begrüßte mich freudig und sagte sofort, ich solle mir bloß keine Sorgen machen, er hätte sich an sein Versprechen mir gegenüber gehalten und würde praktisch nichts mehr trinken. Auf meine Frage, was denn nichts in diesem Fall bedeuten würde, gab er mir als Antwort, mehr als 6 Flaschen Bier pro Tag würden es nicht mehr sein. Ja, bei einem Konsum von ehemals einer Kiste am Tag, waren 6 Flaschen in seinen Augen vermutlich wirklich nichts. Er zeigte mir auch seinen Tagesvorrat an Bierdosen, den er im Nachtkästchen verstaut hatte. Auch wenn es mir sehr schwer fiel, aber es war ein Punkt den ich akzeptieren musste. Ein Entzug hätte seine Lebensqualität vermutlich noch mehr heruntergesetzt.
Es war übrigens das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Da ich mich bei anderen Betroffenen von meiner Seite aus nicht melde, außer bei Einladungen zu Selbsthilfetreffen, die für Franz aber nicht in Frage kamen, weiß ich auch nicht wie es ihm heute geht. Ich weiß nicht einmal ob er noch am Leben ist. Aber Franz ist einer an den ich oft denke, weil mich auch sein persönliches Schicksal ganz besonders berührt hat.