Rezidiv ist ein Begriff, mit dem man meist erst im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung konfrontiert wird. Es stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Rückfall. Bei den meisten Krebsarten gilt man nach 5 Jahren ohne Rückfall als geheilt. In diesem Zeitraum spricht man von Vollremission, wenn kein Hinweis auf einen Tumor angezeigt ist. Ich befinde mich seit Abschluss der gesamten Therapien im Dezember 2011 bis auf ein riesengroßes Hoppla im vergangenen Herbst in dieser Situation. Ich nenne meinen Zustand meist gesund, behindert und trotzdem glücklich.
Nachsorge im onkologischen Bereich bedeutet, dass man je nach Tumorart im Zeitraum von 5 Jahren sich ständiger Kontrollen unterziehen und dies auch tun sollte, um jeglichen Verdacht auf einen Rückfall auszuschließen. In meinem Fall bedeutet das, dass ich in den ersten beiden Jahren alle sechs Wochen zur Sichtkontrolle und alle drei Monate zur MRI-Untersuchung samt onkologischem Beratungsgespräch bestellt war. Ab dem dritten Jahr wurden die Zeiträume verlängert, Sichtkontrolle alle drei Monate, zwei Mal jährlich MRI samt Nachgespräch. Beim Termin auf der Onkologie im vorigen Frühjahr wurde mir vorgeschlagen, die Nachkontrolle mittels MRI nur mehr einmal jährlich durchzuführen, da ich als vorbildliche Patientin gelte und kein Grund für eine besondere Vorsicht vorhanden wäre. Auf meinen eigenen Wunsch wurde jedoch ein Termin für das MRI im September eingeteilt.
Ich muss dazu sagen, dass ich seit Ende der Therapien niemals auch nur eine Sekunde davor Angst gehabt habe, dass dieser Mist mich jemals wieder heimsuchen könnte. Ich habe meine Lebensweise geändert und versuche auf mich und meine Gesundheit sehr zu achten. Wenn möglich halte ich negative Einflüsse von mir fern, was natürlich nicht immer möglich ist. Durch meine Betroffenenbegleitungen bin bedauerlicherweise oft mit Patienten mit Rückfällen konfrontiert. Leider sind dies oft Menschen, die wenig auf sich achten, weiterhin rauchen und auch sonst einen schlechten Lebensstil zelebrieren. Eine andere Kategorie sind Patienten, die in einer ständigen Angst vor einem Rückfall leben. Hier lautet die Devise, nach dem Kontrolltermin ist vor dem Kontrolltermin, Angst als ständiger Lebensbegleiter. Da ist es oft sehr schwierig positive Stimmung zu machen. Für mich stellt sich das als unheimlicher Leidensdruck dar, von dem ich persönlich bis heute verschont blieb.
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Nun habe ich mich letzten September wieder in die Röhre schieben lassen. Drei Tage darauf war der Termin auf der Onkologie ausgemacht, mit anschließender Sichtkontrolle auf der Mund-Kiefer-Chirurgie. Reine Routine sozusagen. In meinem Normalfall tauscht man ein paar freundliche Worte aus. Am Abschluss des Gespräches hörte ich bis zu diesem Zeitpunkt immer dieselbe Aussage: „Herzlichen Glückwunsch, wie immer alles in bester Ordnung, aber was anderes haben wir hier auch nicht erwartet.“ Bei besagtem Nachgespräch auf der Onkologie war es dann ein wenig anders. Die Onkologin, die mich seit meiner stationären Zeit begleitet und mein ganzes Drama miterlebt hat, war fühlbar sehr zurückhaltend. Es erfolgte der übliche Small-Talk, bis dieser Satz fiel: „Frau Braunstein, es gibt da etwas. Das MRI zeigt einen Schatten im Ausmaß von 18 mm im ehemaligen Tumorbereich. Wir müssen nun alle Untersuchungsmöglichkeiten ausschöpfen um ein Rezidiv auszuschließen. Ich ersuche Sie umgehend einen Termin mit der Kiefer auszumachen. PET-CT und Biopsie sollten ehest durchgeführt werden.“ Bumm!
Ich habe den Zettel mit der Befund in meine Handtasche gesteckt und bin zum bereits vereinbarten Termin Richtung Kiefer-Abteilung spaziert. Durch Zufall war der Termin beim Primar, der auch der Leiter meines Operationsteams war, ausgemacht. Ich bin auf der Kieferchirurgie bekannt, nicht nur als Patienten, sondern durch meine ehrenamtliche Tätigkeit. Schon bei der Aufnahme war eine deutliche Unsicherheit spürbar, als würde ich ein Schild mit der Aufschrift *Rezidiv* vor mir hertragen. Es war klar, dass ein großer Teil der Ambulanz-Mitarbeiter Bescheid wusste. Der sonst so lockere Umgangston war verschwunden und das Gespräch mit dem Primar verlief sehr medizinisch und nüchtern. Trotz dieser erschreckenden Vermutung war ich sehr gefasst und klar. Ich wusste ja, durch andere Patienten, was auf mich zukommen könnte. Deshalb bat ich auch um eine sachgemäße Aufklärung. Sollte der Tumor tatsächlich wieder aufgetreten sein, was aber von den Anwesenden fast ausgeschlossen wurde, hätte ich einen Teil meines Unterkiefers verloren, das durch ein Stück Knochen aus dem Becken ersetzt werden hätte sollen. Das war der Zeitpunkt, an dem die Gedanken rotierten. Das hörte sich ziemlich erbärmlich an, ein zerstörtes Gesicht! Mein Herr Professor, mit dem ich ein allerbestes Einverständnis habe, meinte augenzwinkernd: „ Sie kennen mich doch, ich mache Ihnen wieder ein perfektes Gesicht!“ Das war ein kleiner Trost, aber mein größtes Problem war zu diesem Zeitpunkt, dass ich eigentlich keine Zeit für monatelange Klinik-Aufenthalt hatte. Als gäbe es für so eine Erkrankung überhaupt jemals einen richtigen Zeitpunkt. Ja, es ist erstaunlich was einem durch den Kopf gehen kann.
Als ich wieder im Auto saß, mit relativ klaren Gedanken, habe ich auf der Heimfahrt ein kleines worst case Paket geschnürt, und der wirklich wichtigste Punkt war ein Termin beim Fotografen um eine Erinnerung an mein Gesicht zu habe. Kein Gedanke an Leid und Schmerzen, nichts, nur mein Gesicht war mir wichtig. Wirklich sehr erstaunlich, aber ich werte es als Selbstschutz. Ich wusste, dass ich diesen Mist schon einmal durchgestanden habe und, dass mir das im Notfall auch ein zweites Mal gelingen würde.
Es folgten innerhalb weniger Tage in der Klinik alle erforderlichen Untersuchungen und nach gut einer Woche war klar, dass es sich um kein Rezidiv, sondern um eine Entzündung im ehemaligen Operationsbereich handeln würde. Diese Tage waren sehr bewegend. Ich war zeitweise sehr wütend und es erstaunt mich heute noch, dass ich keinerlei Angst verspürte. Vielleicht hatte ich im Unterbewusstsein bereits das Wissen, dass es nur ein Verdacht sein würde.