Es kam bestimmt nicht über Nacht, aber man kennt das ja: diesen Moment, in dem einem etwas zum ersten Mal so richtig auffällt. Plötzlich nimmt man die Dinge anders wahr. Schärfer irgendwie, vielleicht sogar überscharf, überzeichnet.

Bei mir war es vor ca. drei Jahren. Ich hatte wieder einmal eine Gruppe von 14 Personen vor mir sitzen. Teilnehmer in einem arbeitsmarktpolitischen Projekt. Ich mag diese Arbeit und ich mag meine Teilnehmer, die Arbeit in den Gruppen aber, die mochte ich schon immer am Liebsten. Wie gesagt, vor ca. drei Jahren fiel mir plötzlich auf, wie sich der Zustand der Menschen, die zu mir kamen, mit jedem Monat verschlechterte.

Arbeitslosigkeit war ja noch nie ein Zuckerschlecken und arbeitsuchende Menschen standen auch schon immer unter einem enormen Stress. Aber damals fiel mir auf, dass die an mir vorüberziehenden Menschen immer gestresster wurden.

Sie veränderten sich auch optisch. Natürlich gab es auch schon früher Menschen mit kaputter oder schmutziger Kleidung und schlechten Zähnen. Es gab sie wirklich immer schon – die, die mit fettigen Haaren, ungewaschen und völlig verwahrlost zu uns kamen. Aber es waren einzelne Menschen mit multiplen Problemen, meist ohne Ausbildung und ohne sozialem Netz.

Urplötzlich nahm ich wahr, dass immer mehr Menschen immer mehr verwahrlosten. Ihre Zähne waren häufiger desolat, ihre Kleidung häufiger schmutzig, ihr Zustand öfter resigniert. Obdachlosigkeit kam häufiger vor und auch diverse Süchte.

Wer in einen solchen Zustand gelangt, ist meist hoffnungslos. Und waren es früher nur einzelne Menschen, so wurden es in den vergangenen drei Jahren augenscheinlich mehr Hoffnungslose, Männer wie Frauen. Die Hoffnungslosigkeit ist schwer zu bekämpfen und schon gar nicht mit der Hoffnung, denn der glaubt sie nicht mehr. Hoffnungslos zu sein, bedeutet, dass man nicht mehr daran glaubt, dass sich etwas noch zum Guten wenden kann und wird. Wer hoffnungslos ist, kann in der hoffnungslosen Sache nicht mehr planen oder etwas verändern. Wenn es in dieser „Sache“ auch noch um die Existenz geht, tritt die Hoffnungslosigkeit fast zwangsläufig mit ihrer großen Schwester auf:

Gestatten – Armut.

Mit der Armut ist es so eine Geschichte. Die Armut ist nicht romantisch. Sie hat nichts mit der Geschichte vom armen Straßenjungen, der bei DSDS mitmacht und gewinnt zu tun. Die Armut wird nicht von Fernsehteams begleitet und niemand jubelt ihr mit Tränen der Rührung in den Augen zu.

Die Armut ist hässlich. Sie sorgt dafür, dass Menschen die Zähne ausfallen und dafür, dass ihre Kleidung ausgewaschen aussieht. Sie macht sie blass bis graugrün und verpasst ihnen zum Ausgleich dunkle Ringe unter den Augen. Und sie ist erbarmungslos. Sie zwingt die Menschen, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Jeden einzelnen Tag und jede Stunde. Zusammen mit der Hoffnungslosigkeit verhindert sie, dass Menschen Pläne machen können oder auch nur von einer besseren Zukunft träumen.

Wer arm ist, hat Stress. Das ganze Leben dreht sich darum, wie man über die Runden kommt. Was früher selbstverständlich war – vom Zahnarztbesuch bis zum Biofutter – ist jetzt knallharte Kalkulation. Der Zahn tut zwar weh, aber die Spritze beim Zahnarzt müsste man selber zahlen, wenn sie nicht "unbedingt" nötig ist. Die Waschmaschine ist alt und wäscht nicht mehr gescheit, aber an den Kauf einer Neuen ist nicht zu denken. Die Wohnung ist viel zu kalt, denn jedes Grad, das höher geheizt wird, kostet Geld. Und weil die Wäsche aus der alten Waschmaschine in der kalten Wohnung nicht schnell genug trocknet, fängt sie an zu stinken. Die Kälte sorgt auch für einen hartnäckigen Husten, der nie richtig weggeht, selbst wenn sich der Betroffene das Kopfschütteln derer, die es angeblich besser wissen, zu Herzen nimmt. Die, die ihn darüber informieren, dass er, solange er sich noch Tschick leisten kann, nicht so arm dran sein kann.

Die Armut ist reaktionär. Sie lässt Menschen sich zurückentwickeln, sowohl materiell als auch im Denken. Die ewige Beschäftigung mit ihr, lässt nämlich kaum Raum für andere Themen. Und selbst wenn sich ein Ausweg auftut, ist sie meist schon so in den Köpfen verankert, dass der Ausweg nicht als solcher erkannt wird. Statt sich über den plötzlich angebotenen Job einfach zu freuen, denkt der hoffnungslose, von Armut betroffene Mensch nur darüber nach, welche Rennereien er wieder haben wird, wenn der Job wieder weg ist. Und ob dann das Arbeitslosengeld neu berechnet wird und er vielleicht weniger als vorher bekommt. Und lässt das dann lieber mit dem Job, denn man weiß ja nie. Einmal in den Fängen der Armut, dauert es ewig und drei Tage, bis man sie wieder abgestreift hat – vor allem im Kopf. Wenn das überhaupt durch eine glückliche Fügung gelingt.

Und dann gibt es da immer wieder diese unglaublich starken Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen. Die immer weiter kämpfen, obwohl sie wissen, dass sie schlechte Karten haben. Die nichts unversucht lassen, wie die Fliege, die in den Sahnetopf fiel und solange strampelte, bis aus der Sahne Butter wurde und sie einfach rausfliegen konnte.

Ich weiß nicht, was mit diesen Menschen passieren wird, wenn man ihnen die Mindestsicherung kürzt, aber ich schätze für Viele wird es der Punkt sein, an dem die Hoffnungslosigkeit anklopft. Und sie werden aufhören, zu strampeln.

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Monikako

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Silvia Jelincic

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