Müssen wir uns ewig schuldig fühlen, für etwas, was vor unserer Geburt stattfand? Ich finde, nein, denn es darf nicht so etwas wie Erbschuld geben. Jeder Mensch ist für das verantwortlich, was er selbst macht. Aber er ist auch dafür verantwortlich, was andere machen, wenn er nicht dagegen aufbegehrt. Also auch zuschauen und schweigen kann schuldig machen. An allem, was heute passiert, können wir mitschuldig werden. Aber niemals an etwas, das vor unserer Zeit passiert ist.
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Ich selbst fühle mich deshalb auch nicht an dem Holocaust und den Nazis schuldig. Denn ich konnte ja daran nichts verhindern, ganz einfach, weil ich da noch nicht gelebt habe. Wir dürfen das, was damals passiert ist, niemals vergessen, aber dennoch trage ich persönlich daran keine Schuld und die lasse ich mir auch nicht von anderen einreden. Des Weiteren bin ich auch nicht Schuld, dass meine Vorfahren Kreuzzüge unternommen haben. Noch nicht einmal daran, dass Eva den Apfel pflückte, und wir damit aus dem Paradies vertrieben wurden, bin ich schuld.
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Aber ich habe an allem, was heute passiert eine Mitschuld, da können wir uns nicht einfach herausreden. Mit allem, was ich heute mache, bin ich an der Veränderung der Welt beteiligt. Mit meinem Konsumverhalten, mit meinen Urlaubsreisen, mit meinem Wahlkreuzchen, mit meinen Beiträgen, die ich hier schreibe, mit meinem Schweigen, mit meinem Kopf in den Sand stecken genauso wie mit meinem auf Demos gehen.
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Heute kann ich etwas verändern. Die Geschichte kann dagegen niemand mehr verändern. Es gibt ja nur einen Tag, an dem man die Welt verändern kann und das ist heute. Gestern ist vorbei und Morgen kommt erst.
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Selbstverständlich müssen wir aber auch aufpassen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Dafür ist die Geschichte gut. Wir können schauen, was für Fehler unsere Vorfahren begangen haben und könnten uns fragen, ob das heute wieder passieren kann? Den vermeintlichen Kampf gegen rechts dürfen wir nicht so führen, wie es heute geschieht. Denn wir wenden auch da so manches an, was uns eigentlich an früher, an dunkle Zeiten in der Geschichte erinnern müsste.
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Wenn ich lese, dass die Gewerkschaften, der SWR oder auch sonstige Institute zu Denunzierung aufrufen, da schrillen bei mir die Alarmglocken. Erstens haben wir das auch unter Hitler erlebt, jeder hat jeden bespitzelt, um zu sehen, ob er abweicht von der damaligen Norm. Aber man muss ja noch nicht einmal so weit zurück in der Geschichte, denn auch in der DDR wurde diese Mittel gern angewendet.
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Was soll das also in der heutigen Zeit? Wollen wir wieder einen Staat, in dem man aufpassen muss, was man sagt, und vor allem, wem man es sagt? Soll ich jetzt meinen Freunden, Verwandten, Arbeitskollegen mit Misstrauen begegnen?
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Da dürfen wir nicht mehr mitmachen und müssen denen, die dazu aufrufen, die rote Karte zeigen, ansonsten haben wir da eine Mitschuld, was die Folgen anbelangt.
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Wir Deutschen werden ja auch hauptsächlich wegen des 2. Weltkriegs als die ewig Schuldigen gesehen. Gibt es überhaupt im Kriegsfall unschuldige Kriegs-Parteien? Der Krieg ist immer eine grausame Tat und zwar von allen Seiten. Die einzigen Unschuldigen, sind die Kinder auf beiden Seiten, denn denen ist und war es nicht möglich, etwas zu verändern.
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Alle Erwachsenen müssen mit ihrer Schuld leben, die einen haben eine größere, die andere haben eine kleinere Schuld. Aber ganz ohne Schuld ist niemand. Auch die Alliierten haben eine Schuld auf sich geladen, denn auch sie haben ja Menschen getötet.
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Die USA hat z.B. ganz große Schuld auf sich geladen, als sie die beiden Atombomben auf Japan warfen. Das müsste, wenn wir die Schuld moralisch gleich bewerten würden, heute auch als großes Kriegsverbrechen geahndet werden. Das Entlaubungszeugs „Agent Orange“, das sie im Vietnamkrieg über den Menschen abgeworfen haben, auch über ihren eigenen Soldaten, das wäre heute ebenfalls ein Kriegsverbrechen. Warum fühlen sich die Amerikaner da nicht schuldig? Weil sie in dem Glauben handelten, sie machen damit einen gute Tat.
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Es ist aber ein großer Irrglauben, dass es gute Bomben gibt. Ein Irrglauben, dass es eine „gute“ Ideologie erlauben würde, dass man mit Gewalt andere dazu bringt, dass sie ebenfalls der Ideologie folgen müssen.
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Auch unsere westliche Werte, unser liberaler Markwirtschaftsglaube, sind ja auch nur eine Ideologie, von der wir wollen, dass die ganze Welt mitmachen muss. Und wehe dem, der nicht dazu bereit ist. Der sich nicht an diesem Globalisierungswahn beteiligen will. Der wird dann zu unserem Feind und damit kurzerhand zu dem „Bösen“ erklärt. Damit hat man die Rechtfertigung, dass man das „Gute“ verteidigen darf. Man ist dann automatisch edel und gut. Egal, mit welchen Mittel auch immer das „Böse“ bekämpft wird.
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Dabei denkt die Gegenseite ja auch nicht anders. Es gibt also unterschiedliche Ansichten, warum man eine Bombe wirft und jede der Kriegs-Parteien wird für sich in Anspruch nehmen, sie in dem guten Glauben, eine gute Tat damit zu vollbringen, geworfen zu haben.
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Schuld und Unschuld ist in erster Linie also eine Auslegungssache. Es kommt doch nur darauf an, von welcher Seite man das Ganze betrachtet.
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Auch die Nordkoreaner denken schließlich, dass sie für eine gute Sache sind und die restliche Welt böse ist. Auch der IS denkt, dass er etwas Wichtiges und Gutes tut, wenn er die Menschen unter einem Kalifat vereinigen möchte. Genauso denken auch wir, dass wir nur Gutes in der Welt tun. Aber auch unser Handeln kann man mal überdenken, auch wir können uns mal fragen, ob das auch wirklich so ist.
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Es ist nämlich immer überheblich, sein Denken als allgemeingültiges Gut zu erklären. Um dann zu denken, dass nur das, was so geschieht, wie wir uns das ausgedacht haben, richtig ist und deshalb jetzt die ganze Welt nach unserem Gutdünken leben muss.
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Gerade haben wir das doch schön mit erlebt, bei der Demokratisierung der arabischen Welt. Voll in die Hose gegangen. Die haben jetzt keine Diktatoren mehr, dafür haben sie jetzt Anarchie und zerbombte, zerrissene Länder, zerstörte Infrastrukturen. Ist das das bessere Leben? Wäre da ein Diktator nicht vielleicht doch das kleinere Übel gewesen?
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Was haben die Leute getan, als sie das erste Mal frei wählen durften? Ja, sie haben eine Religionsdiktatur gewählt. Von der Diktatur gerettet, wählen die Leute eine andere Diktatur, die der Religion. Wir können doch nicht von den Leuten erwarten, dass sie unsere westliche Lebensweise entsprechend, jetzt eine richtige Demokratie aufbauen. Viele Menschen sind nicht dazu bereit, denn sie leben anders als wir und das ist auch ihr Recht.
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In der Türkei, haben wir jetzt einen neuen Diktator. Und auch in Europa müssen wir aufpassen, dass wir nicht wieder in die Diktatorenzeit abrutschen. Wenn man Fortschritt will, kann auch Rückschritt heraus kommen.
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Die Welt ist viel zu komplex, als dass man einfach hingehen kann und eine Revolution unterstützt, einen Diktator entfernt und dann ist alles gut. Wenn wir in der Welt auch nur das Kleinste verändern, dann verändert sich auch vieles andere. Alles ist mit allem verbunden. Der Sack Reis, der in China umfällt, der Flügelschlag eines Schmetterling, verändert eben alles unabwendbar.
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Und wenn man nun Anarchie sät, (nichts anderes war die Absetzung der Diktatoren) dann kann man nicht erwarten, dass das nur auf ein kleines Stück Erde begrenzt bleibt. Genau das fliegt uns jetzt gerade um die Ohren.
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Zum Schluss, was ist, wenn unser heutiges Denken und Handeln falsch ist? Sind wir dann die Schuldigen? Dass wir erwarten, dass die ganze Welt nach westlichem Muster gestrickt sein sollte, könnte doch auch falsch sein?
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Ganz sicher ist, dass unser Konsumverhalten völlig falsch ist. Das ewige Wachstum, das wir brauchen, um unser Wirtschaftssystem am Leben zu halten, ist völlig falsch. Der Raubau, mit dem wir die Ressourcen der Zukunft verschwenden, ist völlig falsch. Unsere Reiselust, mit der wir die gesamte Erde beglücken, ist völlig falsch. Dass wir unseren Abfall auf der ganzen Welt verteilen, dass wir unsere unseligen Neuerfindungen, z.B. Mikroplastik, Nanopartikel, Glyphosat einfach ohne Rücksicht auf die Umwelt einsetzen, dass wir einfach zuschauen, wie der Planet an der Überbevölkerung erstickt, alles falsch.
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Wir hier in dem reichen Teil der Erde machen, übrigens ohne uns schuldig zu fühlen, die Welt, auch die der anderen Erdbewohner kaputt, mit unserer ausufernden Lebensweise, unserer Reiselust, unserem Konsumzwang.
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Genau dafür fühle ich mich schuldig, obwohl ich schon darüber nachgedacht habe und deshalb weniger konsumiere. Aber ganz auf alles Angenehme will auch ich nicht verzichten. Deshalb bekenne ich mich schuldig am Raubau der Erde beteiligt zu sein.