Am vergangenen Samstag vermeldete Spiegel Online unter Berufung auf Welt am Sonntag für 2017 fast zehn Prozent weniger Verbrechen als im Vorjahr – den „stärksten Rückgang seit mehr als 20 Jahren“. Zwar wird die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für Gesamtdeutschland erst am 8. Mai in Berlin offiziell vorgestellt, doch wurde schon vorab verraten, dass die Zahlen der Diebstahldelikte und Wohnungseinbrüche stark zurückgegangen sind, selbst die Gewaltkriminalität habe abgenommen. Eine Zunahme gab es dagegen bei Morden und Drogendelikten.
Diese Erkenntnisse decken sich auch mit denen der bereits veröffentlichten PKS für Nordrhein-Westfalen, dem mit fast 18 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesland: https://polizei.nrw/sites/default/files/2018-03/PKS%20Jahrbuch%202017_Internet.pdf Also: sinkende Zahlen bei Verbrechen wie Diebstahl, Wohnungseinbruch, Gewalt- und Straßenkriminalität sowie Rohheitsdelikten. Zunahmen bei Straftaten gegen das Leben und gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Ist Deutschland nun also sicherer geworden?
Zumindest NRW lt. PKS 2017 (siehe PDF, S. 32) leider nicht wirklich. Jedenfalls nicht für Deutsche, denn deren Opferzahl ist um 1549 Personen von 189 676 (2016) auf 191 225 (2017) angestiegen. Vor allem bei Frauen, Kindern und Jugendlichen und auch bei Senioren erhöhten sich die Opferzahlen. Das liegt nicht nur an dem neu aufgenommenen Tatbestand der sexuellen Belästigung – hier geht es z.B. um sexuelle Übergriffe wie wir sie seit der Kölner Silvesternacht kennen. Die Zahl der Vergewaltigungen und die Zahl der besonders schweren Fälle der sexuellen Nötigung ist 2017 von 2310 auf 2553 gestiegen – also um 233 Fälle.
Wobei es merkwürdigerweise bei nichtdeutschen Opfern zu einem starken Rückgang kam – 2209 Nichtdeutsche weniger als im Vorjahr wurden Opfer einer Straftat. Hier wäre es interessant herauszufinden, warum es ausgerechnet in dieser Personengruppe so erheblich weniger Strafanzeigen gab. Das kann natürlich daran liegen, dass die Massenunterkünfte für Asylbewerber nun nicht mehr so überfüllt sind wie im Jahr 2016 und sich schon allein die entspanntere, sichere Wohnsituation präventiv auf Straftaten ausgewirkt hat. Möglich ist aber auch, dass manche Delikte gar nicht mehr angezeigt werden, weil man die deutsche Polizei und Justiz als zu lasch agierend oder die staatliche Rechtssprechung grundsätzlich als beschämende Einmischung empfindet. (1)
Unser Land hat sich verändert
Bestimmt wird auch die erhöhte Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit, z.B. auf Weihnachtsmärkten und an Bahnhöfen sowie das vorsichtigere Verhalten der Bevölkerung für einen Rückgang der Diebstahl- und Straßenkriminalität gesorgt haben. „48 Prozent der Frauen meiden bereits bestimmte Gebiete in ihrem Wohnort“ war Anfang 2017 auf FOCUS Online zu lesen. (2) Und viele feierten Silvester lieber zu Hause als auf der Reeperbahn oder in Köln. (3, 4) Zudem boomt der Sicherheitsmarkt weiterhin – wer es sich leisten kann, schützt sich mittlerweile mit digital vernetzten Geräten vor Einbrechern. (5) Und fährt nachts mit dem Taxi, wie es der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), für bestimmte Gegenden, in denen er selbst wohl niemals wohnen wird, empfiehlt. Trotzdem ist die Zahl der deutschen Opfer, vor allem die der Frauen, in NRW weiter gestiegen.
Wenn also Bundesinnenminister Seehofer demnächst die PKS für Gesamtdeutschland offiziell präsentiert, kann nicht wirklich Freude aufkommen. Jedenfalls nicht bei denen, die sich mit den Zahlen und Hintergründen genauer beschäftigen. Und sich nicht in einem gepanzerten Dienstwagen durch Deutschland bewegen können.
Edit 26.04.2018: Es gibt noch eine dritte mögliche Erklärung für den Rückgang der Zahl der nichtdeutschen Opfer: Die überlastete Polizei hat es längst aufgegeben, Straftaten in nichtdeutschen Kreisen zu verfolgen. So verzichtete die Kieler Polizei bereits 2016 darauf, bei Delikten wie Ladendiebstahl und Sachbeschädigung überhaupt ein Personenfeststellungsverfahren einzuleiten (https://www.welt.de/politik/deutschland/article151569369/Polizei-verzichtet-bei-Fluechtlingen-auf-Ermittlungen.html). Das würde den angeblichen Rückgang der Zahl der Diebstähle erklären, aber auch, dass weniger geschädigte Nichtdeutsche in der Statistik auftauchen.
1 https://www.br.de/nachrichten/paralleljustiz-integration-friedensrichter-100.html
5 https://de.statista.com/outlook/281/137/gebaeudesicherheit/deutschland#market-global