Nachdem ich nun zu dieser Community gestoßen bin, und meine Energie nicht nur mit sinnlosen Kommentaren vergeuden will, werde ich hier in dieser Kategorie ein paar Beiträge über Länder schreiben, in denen ich auf Reisen war. Ob daraus ein "Reiseblog" wird, werden wir ja sehen.

Zypern. Wenn man Leuten sagt, dass man auf Zypern war oder hinfahren will, bekommt man typischerweise eine Antwort à la "Ist wie auf der griechischen Insel xy" oder "ich kenne einige griechische Inseln, Zypern würde mich auch interessieren". Das ist aber nur die halbe Perspektive. Sicher - der Süden hat die besseren Strände, und die Pauschalreisen gehen alle dort hin. Die eigentliche Faszination der Insel ist aber ihre komplexe und komplizierte Geschichte - und es ist eine Geschichte, die bis heute andauert. Sie wird nicht zuletzt auch durch die Teilung spürbar.

Zypern ist relativ klein (etwa so groß wie Kärnten), da sind die Zeitalter auf engstem Raum beisammen. Nehmen wir Famagusta - das ist sozusagen die ruinierteste Stadt der Welt. Es gibt das ganz antike Enkomi (etwa 10 Kilometer außerhalb der modernen Stadt), eine Handelsmetropole der Bronzezeit, die auch (vielleicht) in hethitischen Quellen erwähnt wird. Nach 1000 v.u.Z wurde sie aufgegeben und ist seither eine Ruinenstätte. Aber auch die Nachfolgestadt blieb nicht dauerhaft, vom antiken und spätantiken Salamis sind auch nur noch Ruinen über. Ruinen prägen aber auch das Zentrum der modernen Stadt: Innerhalb der alten Mauern befinden sich dutzende Kirchenruinen. Hier war es die Kreuzfahrerzeit, die die Stadt prägte, und die (hauptsächlich) französischstämmigen Feudalherren des Spätmittelalters haben fein konstruierte gotische Bauwerke hinterlassen, die fast alle in Trümmern liegen - sofern sie nicht in Moscheen umgewandelt worden sind. Zypern ist daher das einzige Land, in dem es gotische Moscheen gibt. Das Erbe der Kreuzfahrer trat dann die Handelsrepublik Venedig an, die hauptsächlich Festungen baute, in Famagusta etwa den sogenannten "Othelloturm" (der Othello des Stücks war ja Gouverneur einer Hafenstadt auf Zypern). Und dann sind eben die Osmanen gekommen, die ebenfalls Festungen gebaut bzw. umgebaut haben. Und auch ihre Zeichen hinterlassen haben (es ist jetzt noch auf der Burg von Larnaka, also im tiefsten Süden das Hohheitszeichen eines Sultans (eine Tughra) zu sehen, ebenso wie der venezianische Löwe im Norden öfter als nur gelegentlich vorkommt).

Weiter im Norden, bei Kyrenia/ Girne gibt es noch schönere gotische Relikte, etwa die Ruinen der Abtei Bellapais. Gerade dort, wo die Gotik in ruinierter und damit sozusagen in roher Form vorkommt, kann man ihre Eleganz fast noch mehr schätzen, indem die einzelnen Elemente, die Kreuzrippen, die Stützmauern, die Rosettenfenster sozusagen nackt dastehen. Das gilt auch für die dortigen Burgen (die schon die Venezianer haben verfallen lassen) - sie sind in den steilen Fels des Fünffingergebirges gebaut, wie ein Auswuchs des Berges.

Zur realen Gewalt wird die Geschichte der Insel natürlich in ihrer Teilung. Wie es dazu kam, wer recht oder unrecht hat, wie eine mögliche Lösung aussehen könnte etc. soll hier nicht behandelt werden. Sie übt aber auf jeden Fall ein leicht perverse Faszination aus. In Nikosia ist die Teilung mit aller Brutalität sichtbar. Man geht eine Straße entlang, die plötzlich abrupt abbricht. Am Ende steht entweder eine Betonmauer (im Norden) oder ein Verhau aus Ölfässern und Stacheldraht (im Süden). Daneben ragen immer hohe Stangen auf, die entweder die griechische und zypriotische oder die türkische und nordzyprische Fahne zeigen. Die Linie folgt auch keinen Straßenzügen - sie geht einfach mitten durch die Stadt durch und zwischen den Sektoren liegt eine Zone ruinierter Häser, die das gespenstische Gefühl dieser Abtrennung noch verstärken. Dazu kommt noch die Stadtmauer. Sie stammt von den Venezianern aus dem 16. Jahrhundert und ist so massiv, wie Mauern aus einer Zeit ausgefeilter Belagerungstechnik eben sind. Sie schließt das Stadtinnere relativ wirksam von den Außenbezirken ab (auch wenn in den letzten Jahrzehnten Einfahrtsschneisen gebaut worden sind). Es gibt eine Bastei auf nördlicher Seite, wo man direkt auf das südliche Gebiet hinunterschauen kann. Die Leute, die auf der Straße vorbeigehen sind in Hörweite - aber eben in einem anderen Land. Dort in der Nähe ist auch die katholische Kirche von Nikosia. Sie ist ein massiver Bau mit einem hohen Glockenturm und man möchte fast nach ihr greifen - aber auch sie liegt in der anderen Zone. Sicher, es ist heute überhaupt keine Affäre mehr, über diese "Grüne Linie" zu gehen, wenn's gewünscht wird, auch ein Dutzend Mal pro Tag - aber diese gespenstische Atmosphäre der Teilung habt das natürlich damit nicht auf.

Nikosia hat natürlich auch so seine Meriten - die Innenstadt im Norden weist auch ein paar in Moscheen umgewandelte gotische Kirchen auf und hat auch sehr lebendige Athmosphäre. Es befindet sich mit dem Gerichtsgebäude dort auch eines der wenigen Zeugnisse der britischen Herrschaft - auf Zypern waren die Briten seltsamerweise sehr geizig darin, Spuren zu hinterlassen.

Das alles macht die Insel aus -dass sie eben nicht nur ein Reiseziel ist, wo Geschichte einfach nur zum Konsumieren da ist, als nette Abwechslung zwischen zwei Strandtagen. Sie ist überall. Sie ist alt. Und sie zeigt auch fühlbar ihre gespenstischen und gewaltsamen Seiten.  Und das ist in dieser Form in wenigen anderen Destinationen der Fall.

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