Die Kunst der Politiker zu schwafeln

Politik ist ein harter Job. Wie letzte Woche in Wenn Politiker Nase bohren beschrieben, kann jeder Sager, der nicht dem Morgenbriefing sondern dem Gemüt entspringt, ein zweifelhafter Youtube-“Hit“ werden.

Will Politiker diese Hinrichtung per Lauffeuer im Netz umgehen, macht er das, was er am besten kann: Schwafeln. Je breiiger die Rede, desto schwerer nagelt man einzelne Sätze fest. Doch auch Schwafeln schützt vor Shitstorm nicht. Paradoxerweise prangern genau jene das Schwafeln an, deren Politikkonsum sich auf das Lästern über sprachlicher Fehltritte „unserer lieben Politiker“ beschränkt. Wer schwafelt, hat schnell den Ruf, sich vor klaren Ansagen, vor wahrhaftiger Politik, vor Leadership zu drücken...

Schwafelografie

Der schlechte Ruf des Schwafelns besteht zu Unrecht. Es ist eine Kunst und eine Gabe. Ein Politiker, der nicht schwafeln kann, muss die Profession wechseln. Ein aktuelles Beispiel: Die Steuerreform. Wie wird die aussehen, fragen die Bürger und stellvertretend für die Bürger die Journalisten. Nehmen wir den neuen Finanzminister, der täglich antworten muss. „Seid froh, wenn es überhaupt eine Steuersenkung gibt“, schießt es ihm ein. Das wäre ehrlich, angesichts des Ukraine-Krieges einen Steinwurf von Österreich entfernt, angesichts der strengen Sparauflagen aus Brüssel, die er einhalten muss. Sein Macherimage in der Bevölkerung wäre aber dahin – und sein Vorschussbonus in der eigenen Partei auch. Oder er sagt, „wir werden der SPÖ entgegenkommen und uns gemeinsam auf ein gutes Modell einigen“. Dann hat er die Wirtschaftslobbys auf der Matte stehen, die ihn daran erinnern, dass ausgemacht war: „keine roten Reichensteuern“. Gleichzeitig hat er sich vorgenommen, den Länderfürsten mit versteckten Botschaften eine vor den Bug zu knallen, damit diese wissen, dass mit ihm ein anderer Wind weht.

Ehrlichkeit in kleinen Dosen

Unsereins würde angesichts dieser Blockaden, Widersprüche und Widerstände gegen eine rasche und klare Antwort mit einem ausgedehntem „Ähm, also, ähm, wenn Sie mich so fragen ….“ antworten. Nicht der Politiker, der sein Handwerk versteht: „Ich will die Steuerreform für durchgreifende Änderungen nutzen. Bisher ist strukturell nie etwas passiert. Nur den Steuertarif zu senken, das ist zu wenig. Auch in den Nebenfeldern müsse geschaut werden, was möglich ist.“

Frage, Antwort, Zug um Zug: So lauten die Spielregeln. Den legendären Spruch von Grünpolitiker Alexander Van der Bellen „ich kann nicht zu allem eine Meinung haben“ inflationionär einzusetzen, davon wird abgeraten. „Minister Meinungslos“ würde rasch durchs Internetdorf getrieben.

Wer Schwafel sät

Der Politiker muss auf Knopfdruck Auskunft geben, auch wenn er noch nicht weiß, worüber. Bei der Steuerreform wäre es nicht falsch, zu sagen: „Das sehen Sie, wenn wir mit den Verhandlungen fertig sind.“ Nur würde diese Art der Ehrlichkeit mit einem Interviewboykott sanktioniert werden. Wer will schon ein Interview, bei dem die Antworten kürzer als die Fragen sind, führen oder lesen? Also wird auch deswegen geschwafelt, weil das Thema Steuerreform medial täglich beackert wird - auf „Nebenfeldern“ oder Hauptschauplätzen. Wer mediale Dauerpräsenz sät, wird Schwafel ernten.

Aus der Pistole geschossen Seiten füllend über ein Nichts (die Steuerreform, die vielleicht gar nicht kommt) zu reden – wenn das keine Kunst ist? So betrachtet sollten wir uns an Phrasen à la: „Ich will die Steuerreform für durchgreifende Änderungen nutzen. Bisher ist strukturell nie etwas passiert. Nur den Steuertarif zu senken, das ist zu wenig. Auch in den Nebenfeldern müsse geschaut werden, was möglich ist“ einfach erfreuen und die Kunst dahinter betrachten.

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