Neulich auf der Wiener Wiesn. Gespräch mit einem ÖVP-Mann über die ÖVP-Männer der Zukunft. Die Rede fällt auf Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter. Ich beklage, dass Rupprechter in Windeseile vom launigen Twitteratus unter den Politikern („Who the hell is Cameron?!“) zum Langweileratus mutiert ist. „Auf zur Biodiversitätskonferenz!“, „Rupprechter bei der Eröffnung der.. “, „Gemeinsamer Start für das Unternehmen Energiewende“.
Einwegkommunikation mit ABS und Airbag. So twittern Sebastian Kurz, Andreas Schieder, Reinhard Lopatka und genauso funktioniert es - nicht. Twitter ist Interkation, Überraschung, Brisanz, Relevanz. Die Einwegbotschaft à la ich bin so umtriebig, ich bin so toll, verpufft in der Sekunde, in der sie getwittert ist. Während also das Zelt die Hände zum Himmel reckt, brüll ich also die Frage ins Zelt, warum Rupprechters Account auf Twitter verwittert?
Aus allen Wolken
Der ÖVP-Mann schaut mich an und sein Maß fährt vom Himmel so abrupt Richtung Hölle, dass ich in Deckung gehe. „Ihr Journalisten ermuntert die Politiker, locker zu sein und dann sind es genau diese Journalisten, die lockeren Politiker als unberechenbar und unkalkulierbar herunterschreiben.“ Den ÖVP-Wutbürger vor mir, denke ich darüber nach und muss ich ihm Recht geben. Als Politiker kannst du auf Twitter eigentlich nur verlieren. Denn die Lockerheit wird natürlich gnadenlos ausgeschlachtet.
Twitter ist eine Blase, heißt es oft. Aber es ist auch eine gute Quelle. Und wenn die Quelle übergeht, die Blase platzt, und sich in die Mainstream-Medien ergießt, wird aus einem Tweet rasch ein Politikum. Dem Beraterstab bleibt nur hektische Schadensbegrenzung.
Die Nutzung sozialer Medien ist für Politiker Abwägungssache. Was bringt es mir versus was kann ich dadurch verlieren? Ja, es gibt den EU-Abgeordneten der Grünen, Michel Reimon, der ohne sein Sprachrohr Social Media wohl nicht in Brüssel wäre. Doch im Zweifelsfall verzichten die Politiker und ihre Berater, die nicht so trittsicher sind, auf die paar gereckten Journalistendaumen für launige Tweets. Damit ersparen sie sich ein weiteres Feld, auf dem der Chef oder die Chefin ausrutschen kann (wie in „wenn Politiker Nase bohren“ beschrieben, gibt es derer ohnedies genug).
Berater versus Berater
Sebastian Kurz ist der beste Beweis dafür. Von ihm würde man kantige Tweets und Facebook-Posts erwarten, um seine Stellung als Polit-Jungstar zu unterstreichen. Doch stattdessen lässt er sein digitales Geilo-Mobil in der Garage und setzt auf trockene Info-Tweets: „Spannende Diskussion … gutes Gespräch … wichtiges Treffen.“ Sobald die Social-Media-Berater aus der Tür sind, die Politiker auf den neuen Stil in den neuen Medien einschwören wollen, kommen die Strategieberater durch dieselbe Tür herein und schwören die Chefs auf eine gesunde Distanz zu Twitter & Co. ein.
Bis jetzt behalten Letztere die Oberhand. Erstere werden sich erst dann durchsetzen, wenn es sie nicht mehr braucht, weil Politiker wie die CSU-Verkehrsstaatssekretärin Dorothea Bär (@dorobär) auf die Frage, ob sie heute schon getwittert haben, meinen: „Hab ich heute schon geatmet?“
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