"Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot", so bewirbt stolz die Firma Hofbräu München, wie hier üblich, ihre Produkte. Aber auf dieses Gesetz stolz zu sein ist aus ökonomischer Sicht durchaus merkwürdig.
Allgemein unbekannt ist, dass Bier in früheren Zeiten mit einer Vielzahl von Kräutern, Harzen, Früchten und tierischen Produkten aromatisiert und konserviert wurde. Die Zusätze waren in Nordwesteuropa sehr unterschiedlich, aber das Ergebnis wurde dort vorwiegend "Grut", "Gargel" oder "Porst" genannt. In England hieß es "Ale" und in Holland, Flandern, Brabant und Lüttich "Ael", während das gehopfte mit der Zeit die Bezeichnung "Bier" bzw "Beer" erlangte.
Heute gibt es in einer kleinen Gemeinschaft Hausbrauer bzw "Craft Beer" enthusiasten, die sich für die Herstellung von Grut weiterhin interessieren. Sie versuchen Aufmerksamkeit auf die Geschichte des Grut zu lenken und machen dabei das deutsche Reinheitsgebot für den Untergang der Grut-Tradition verantwortlich.
Deren Anklage ist zwar bestreitbar, aber tatsächlich ist die Vergangenheit des Bieres, ob mit oder ohne Hopfen, von staatlichen Interventionen geprägt. Ein Blick auf diese regulatorische Vergangenheit entlarvt, unter anderem, eine beschämende Geschichte der korrupten Selbstbereichung durch staatliche Privilegien.
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Heute dominiert eine Oligarchie von nur 5 Konzerne den weltweiten Biermarkt. Ob du nun Budweiser, Corona, Stella Artois, Hoegaarden, Pilsner Urquell, Foster’s, Elysian, Beck’s, Spaten Pils, Löwenbräu, oder Vieux Temps bevborzugst, stammt dein Trank aus einer 236-Millarden schweren Megafirma namens AB Inbev. Wie kam es eigentlich dazu? Spielte das gelobte Reinheitsgebot (unter anderem) hier eine unrühmliche Rolle?
Das Brauen im Mittelalter war dezentralisiert und brachte eine große Vielfalt an Getränken hervor. Das Brauen gehörte zur Haushaltsführung, und die Frauen stellten Bier für ihre Familien her; begabte Brauerinnen verkauften ihr Bier auch von zu Hause aus. Klöster, Gutshöfe und andere Ländereien stellten ebenfalls ihr eigenes Bier her. Diese Dezentralisierung bedeutete jedoch nicht, dass das Bierbrauen frei war. Die vielen lokalen Behörden des Mittelalters machten das so genannte Grutrecht geltend, das Recht, eine Grutmischung ausschließlich in dem von ihnen kontrollierten Gebiet zu verkaufen.
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Die Ursprünge des Grutrechts liegen in der Zentralisierung im Heiligen Römischen Reich, wo es als kaiserliches Recht auftauchte. Der bedeutende Mediävist Richard W. Unger berichtet: "In dem von Karl dem Großen [ca. 747-814] geschaffenen lateinischen christlichen Reich konnte der Herrscher ein königliches Herrschaftsrecht über ungenutzte Ländereien etablieren, und es war unkultiviertes Land, von dem die Sumpfporst stammte".
Die Nachfolger Karls übernahmen das kaiserliche Grutrecht, behielten es aber nicht für sich, sondern verteilten es, indem sie zwischen etwa 950 und 1250 Bischöfe, Klöster, Städte, Grafen, Herzöge und andere elitäre Laien damit belehnten. Diese Wohltäter, die den Erlös aus den Grutverkäufen (Grutgeld) behalten konnten, machten das Grutrecht zu einem erblichen Recht.
Mancherorts mussten die Brauer ihr gemälztes Getreide zu einem Gruthaus oder Gruthuse bringen, wo der Gruter die vorgeschriebene Menge an Grut hineinmischte. In anderen Orten jedoch durften die Brauer die vorgeschriebene Mischung selbst einbringen.
Im Laufe des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts kauften die städtischen Regierungen nach und nach die Grutrechte auf, da sie in diesem Recht eine Quelle von Einnahmen und Autorität erkannten. Für die Brauer wurde ausweichen durch Umzug zunehmend vereitelt, denn um J.1300 waren die Grutsteuern in den Städten in den gesamten Niederlanden und im Rheintal ein gängiger Bestandteil der öffentlichen Verwaltung.
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Das Grutrecht war in dieser Gesellschaft auch keine Kleinigkeit: Indem man die Brauer verhinderte, ihre eigenen Bestandteile frei zu sammeln und zu mischen, erhielten die Inhaber des Grutrechts nicht nur die Kontrolle über den Charakter des Bieres ihrer Region, sondern erhöhten auch die Erzeuger- und Verbraucherpreise und erwarben somit das Priveleg, das Geld der Einheimischen abzusahnen.
Obwohl Hopfen bereits um J.800 zum Brauen verwendet wurde, begann das Hopfenbier erst im dreizehnten Jahrhundert, dem Grut den Rang abzulaufen. Die zunehmende Verstädterung und das wachsende technische Wissen über das Brauen mit Hopfen ließen in den Hansestädten im heutigen Norddeutschland, insbesondere in Hamburg, einen Markt für Hopfenbier für den Export entstehen. Das Hopfenbier unterschied sich stark von der Grut - es war viel weniger süß und dünner, weil es keinen so hohen Alkoholgehalt haben musste, um bedenkenlos getrunken werden zu können. Es dauerte eine Weile, bis der mittelalterliche Gaumen das bittere Bier bevorzugte, aber seine lange Haltbarkeit verschaffte ihm einen Vorsprung.
Die früheste Version des heutigen Reinheitsgebots wurde 1487 von Herzog Albert IV. (reg. 1467-1508, Bayern-München, und 1503-08, Bayern-Landshut) erlassen. Es schrieb vor, dass Münchner Bier nur mit Gerste, Wasser, Hefe und Hopfen gebraut werden durfte. Herzog Wilhelm IV. (reg. 1508-50, Bayern) erließ das Edikt im Jahr 1516 erneut. Diesmal durfte das gesamte bayerische Bier nur mit Gerste, Wasser und Hopfen gebraut werden (die Hefe war eindeutig eingeschlossen, da sie bereits im letzten Erlass erwähnt wurde und eine grundlegende und bekannte Brauzutat war, die aus früheren Chargen geerntet wurde). Die Vorschrift wurde 1553 und 1616 für das gesamte Herzogtum wiederholt. Weitere lokale bayerische Reinheitsgebote gingen diesen jedoch voraus: Augsburg (1156), München (1363), Nürnberg (1393), Weißensee/Thüringen (1434), Regensburg (1447), Landshut (1493) und Ingolstadt (1516) hatten alle ihr eigenes Reinheitsgebot.
Die vielen Varianten des Reinheitsgebots sollten die bayerische Bevölkerung vor ihrer Vorliebe für "verunreinigtes" Bier schützen. Doch die Belege dafür, dass schlechte Brauer nicht alleine durch schwindende Kundschaft ausreichend bestraft wurden, sind mir nicht Bekannt.
Auch in Bezug auf Getreide waren die Interventionisten am Werk. Als Ausrede für ihre Einmischung diente das angebliche Ziel, genügend Getreide für die Brotherstellung zu gewähren. Die Interventionisten hielten vor, dass sie die natürlichen Preisschwankungen, die aufgrund von Ernteschwankungen auftraten, positiv beeinflussen würden. Es geschah aber das Gegenteil, weil die Interventionen zu Preisverfälschungen führten. Und jede Preisverfälschung löscht die Informationen, die Erzeuger und Verbaucher benötigen, um ihre Aktivitäten an die aktuellen Gegebenheiten von Angebot und Nachfrage anzupassen. Es folgt zwangsläufig unnötiger Überschuss oder Knappheit.
Menschliche Energie, Kapital, Zeit... werden durch Preisverfälschung immer verschwendet, verlaufen ins Nichts.
Sogennannte "Reinheitsgebote" wurden im Laufe der Zeit in ganz Süddeutschland eingeführt, und dann mit der Konsolidierung der Macht im Deutschen Kaiserreich im Jahr 1871 weiter verbreitet. Schließlich wurde 1906 eine Variante des Reinheitsgebots im gesamten -- nun vereinigten Deutschland -- zum Zwang.
Und somit ist die bedauerliche Repression von Innovation, Kreativität, Freiheit und einfachem Vergnügen durch staatliche Einmischung, wie in fast allen anderen Wirtschaftwszeigen, in der Grut/Bier Geschichte auch belegt worden.
Was wäre das Ergebnis einer Abschaffung aller bierbezogenen Vorschriften, Verbrauchssteuern und Zölle?
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Durch offene Märkte und freier Marktzugang wären innovative Heimbrauer und Kleinunternehmen nicht mehr für eine durstige Bevölkerung unerreichbar. Die monopol/oligopol Stellung der Großkonzerne würde sich allmählich auflösen. Es entstünde einer größeren Vielfalt von lokalen Erzeugnisse, angepasst an den unterschiedelichen Budgets und Vorlieben diverser Regionen. Und der Austausch von Ideen und die Entwicklung von Verbesserungen auf allen Produktionsebenen dürfte wieder aufblühen.
Befreit das Obst, befreit den Hopfen, befreit das Getreide, befreit die (Haus-)Brauer, befreit die Kneipenbesitzer und Gastronomen, befreit die Bierhändler und -vertreiber.
Befreit die Menscheit.