Ich weiß nicht viel von ihm. Geflohen aus Deir ez-Zor im Osten Syriens. Hat dort englische Literatur studiert. 22 Jahre alt, Muslim. Aboud ist nicht sein richtiger Name. Morgen zieht er bei mir ein.
Während ich Ingwer und Knoblauch für das Begrüßungsessen - „Murgh Makhani“ - hacke, das Huhn, natürlich Halal, in Joghurt, Garam Masala, Koriander, frisch gemahlenen schwarzen Pfeffer und Chili einlege, stelle ich mir vor, dass Aboud von nun an mit am Küchentisch sitzen wird. Dass ich Kühlschrank, Waschmaschine und Wlan künftig mit einem Asylwerber teilen werde.
Es war im Spätsommer, als Sandra und Kathi, zwei Kolleginnen bei „Woman“, Aboud im Flüchtlingslager Traiskirchen begegnet sind. Er schlief dort im Zelt und war gerade auf der Suche nach einer langen Hose. „Seine Oberarme sind dünn, seine Beine eigentlich auch“, posteten sie auf Facebook, „er lacht viel, trotz all der Strapazen,die er durchlebt hat. Finden wir eine Bleibe für Aboud? Er braucht nicht viel... Ein Bett und eine Decke, das wär’s!“ Als ich das las und seine strahlenden dunklen Augen sah, dachte ich: Hast du eigentlich schon etwas für Flüchtlinge getan außer gscheite Interviews geführt?
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Ich begann, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich jemandem, der seine Heimat und seine Familie verlassen hat, ein bisschen Freundschaft, Nähe und vielleicht auch Trost spenden wollte. Das Gefühl wärmte mich bis in die Zehenspitzen. Aber es kroch auch Angst vor dem Unbekannten in meine Glieder. Würde diese spontane Entscheidung vielleicht mein ganzes Leben umkrempeln? Sind unsere Religionen und Anschauungen kompatibel? Gibt es überhaupt eine friedliche Koexistenz von Ramadan und Wiener Schnitzel unter einem Dach? Mein Sohn Alex sagte das Klügste überhaupt: Du wirst es erst wissen, wenn du es ausprobiert hast.
In der Zwischenzeit wurde Aboud ins Niemandsland zwischen dem einstigen Zollamt Berg und der slowakischen Grenze verlegt. Dort feiert er heute mit seinen Freunden Abschied. Dem Leiter des Containerdorfes reichte mein Versprechen, dass ich Aboud in Wien anmelden, eine sogenannte Prekariatsvereinbarung abschließen, ein Konto eröffnen und beim Asylzentrum Mariannengasse vorsprechen würde. Morgen darf ich Aboud abholen.
Auf Whatsapp haben wir einander in den letzten Wochen viele Fragen gestellt. Do you like cats? vergewisserte ich mich (ansonsten wäre es schwierig geworden mit uns beiden). What do you want to do in Austria? „Learning German und finishing my studies“, schrieb er zurück. Bis 20 kann er bereits auf Deutsch zählen und ein Wort geht ihm schon leicht über die Lippen. Scheiße!
Why are you doing this? tippte er eines Abends in sein Handy. Ich wusste nicht recht, was ich schreiben sollte...
Aboud ist nur einer von Millionen Syrern, die in einem fremden Land gestrandet sind. Einer von zigtausenden, die in Österreich noch einmal von vorne beginnen, die ein bisschen Freundschaft, Nähe oder Trost brauchen könnten.
Auf Abouds Bett schnurrt schon eine Katze und seine Decke ist frisch bezogen. Morgen abend wird er am großen Holztisch in der Küche – mit all meinen Freunden – „Murgh Makhani“ - indisches Butterhuhn - essen. Vorher gibt es Kichererbsensuppe mit steirischem Kernöl. Bald wird er vielleicht syrisch für uns kochen. Und an einer österreichischen Schule Englisch unterrichten.
Ich weiß jetzt auch die Antwort auf seine Frage, warum ich das getan habe. Because it feels right.