Das Spannende an Multikulti ist ja, dass man sein eigenes spießiges Leben ab und zu hinterfragt und Neues zulässt. So ein Moment war Weihnachten mit Aboud, meinem muslimischen Mitbewohner aus Syrien. Was weißt du über Weihnachten, hab‘ ich ihn vor ein paar Wochen gefragt. Er dachte kurz nach und sagte: Jingle Bells and Santa Claus! Klar, die haben ja, als es noch Strom dort gab, auch lieber US-Fernsehen als RTL geschaut. Na seawas, dachte ich, das kann ja heiter werden, wenn ich ihm das ganze christliche Programm erklären muss. Ich kam, ehrlich gesagt, nur bis zur Herbergsuche, die Aboud mit der Quartiersuche der Flüchtlinge verwechselt haben muss und deshalb nicht verstand, was das Schaf im Stall damit zu tun hatte.
Wie würde es sein, jemanden am Heiligen Abend bei uns zu haben, dem dieses Fest nichts sagt und auch nichts bedeutet? Wir hatten ausgemacht, dass er ein syrisches Dessert kocht, aber er erreichte seine Familie nicht, die ihm das Rezept liefern sollte und war deswegen richtig gestresst. Macht nix, beruhigte ich ihn, dann essen wir eben Pfirsichhälften aus der Dose mit Joghurt und Honig – eine Nachspeise, die mein griechischer Fotograf Oscar Cernuda immer bestellt, wenn ich mit ihm in Athen unterwegs bin.
Auch mein Stresslevel raste in den letzten Tagen gefährlich in die Höhe. Ich kam jeden Tag später aus dem Büro, verpackte Berge von Geschenken und sagte jeden Abend zu Aboud: Wir müssen noch den Christbaum kaufen!
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Wie immer lief ich am 24. um halb zwölf rüber zum Kolonitzplatz und flehte einen Verkäufer an, mir noch einen Baum aus dem Lkw zu ziehen, der gerade ins Waldviertel abfahren wollte. Außer der Gans hatte ich praktisch noch nichts. Und die musste ich von einer Autobahnraststätte in Stockerau holen, weil mein Sohn sieben Anrufe des Biobauern verpennt hatte. Aboud und ich rieben sie mit Salz und Majoran ein, stopften sie mit Äpfeln und Mandarinen und schoben sie ins Rohr. Großzügig sah er darüber hinweg, wie diese Gans – Stichwort Halal - zu Tode gekommen sein könnte.
Fehlte nur noch der Christbaumschmuck. Andächtig hängte Aboud goldene Engel, klingelnde Glöckchen, Sterne aus Bast und Filz und schimmernde Kugeln an den Baum und fiel fast in Ohnmacht, wenn Prinzessin, unsere ungarische Katze, sie gleich wieder runterholte und begeistert durch die Wohnung jagte. Keep cool, sagte ich ihm, ein paar kommen immer zu Bruch.
Wir waren startklar. Nur meine Söhne saßen zwei Minuten vor der Bescherung noch tuschelnd am Computer und bestellten einen Lenco Plattenspieler in der Holzversion, den ich mir gewünscht hatte - und zwar mit meiner Paylife Black-Karte!
Zu acht saßen wir dann an der Festtafel: Außer Aboud, der jetzt zur Familie Bischofberger gehört, hatten wir noch Murat eingeladen, den mein Sohn beim Bundesheer kennengelernt hat. Seine Eltern stammen aus der Türkei, er ist Muslim auf dem Papier und sieht die Religion kritisch-distanziert. Plus meine zwei speziellen Freunde Freddie und Alice. Und Olena aus der Ukraine, die für mich einst als Dolmetscherin gearbeitet hat und heute erfolgreiche Immobilienmaklerin ist (sie feiert Weihnachten am 6. Jänner).
Aboud liebte die Gans und aß drei Portionen. Er freute sich über unsere kleinen Geschenke: Den Gouda mit Kümmel aus Amsterdam, den er so gerne hat. Zwei Kinderbücher, mit denen er Deutsch lernen kann: „König Kater“ und „Verdammte Scheiße, iss was!“
Scheiße war das erste Wort, das er in Österreich gelernt hat und wenn er es hört, dann lacht er über das ganze Gesicht. I understand, that Christmas is not only the birth of God, but also the festival of love and peace, sagte er feierlich.
Als der Zauber vorbei war, diskutierten die Jungs, ob sie statt der Mitternachtsmette nicht doch lieber in das einzig offene Pub der Gegend, das ziemlich abgefuckte „Red Lion“ gehen sollten. Ich fand, es sei eine gute Idee – warum nicht mal neue Rituale ausprobieren?
Dort saßen ein paar besoffene Liverpool-Fans an der Bar, der Wurlitzer spielte „Staying Alive“ und die Bardame machte sich lustig über die Tatsache, dass es leider nur zwei alte Mädchen gebe, mit denen man tanzen könnte. Meine Söhne und Murat bestellten Guiness Bier und wir ließen Weihnachten bis um 3 Uhr morgens ausklingen. Cheers!
Aboud blieb bis zuletzt bei Cola Light. Weißt du eigentlich, warum die keinen Alkohol trinken? fragte Tilly später Alex. Keine Ahnung, zuckte mein Großer mit den Schultern, aber wir können’s ja googeln.