Kann es einen besseren Start ins neue Jahr geben? Geschlafen bis um 11, noch schnell einen African Blue getrunken, ein paar Takte Neujahrskonzert gehört, Aboud einen Glücksfisch von Manner auf den Früstücksteller gelegt und dann ein Taxi bestellt. Denk daran, hatte ich auf einen Zettel geschrieben, den Kopf abbeißen bringt Glück! Jawohl, daran glaube ich.

Ein paar magische Minuten lang hat es auf der Fahrt von der Löwengasse zum Wiener Westbahnhof sogar das erste Mal in diesem Winter geschneit. Wien-Hütteldorf, St. Pölten, Amstetten, Linz, Wels - die Westbahn ist fast leer. Mein Blackberry piepst leise vor sich hin. Noch immer sendet es Neujahrsglückwünsche von lieben Menschen.

Ich bestelle einen zweiten Kaffee und lasse die Silvesternacht Revue passieren. Den peinlichen Moment, in dem ich Aboud fragte, ob sie auch in Syrien in der letzten Nacht des Jahres Raketen schießen. Ja, antwortete er, denn dort ist Krieg. So hatte ich es natürlich nicht gemeint. Wir liefen gerade durch die Straßen des dritten Bezirks, trafen jede Menge Betrunkene und es krachte an jeder Ecke. Haben die alle einen Knall? So was Ähnliches wird er sich wohl gedacht haben. Ich kann die Kracherei selbst nicht leiden (Betrunkene schon), er meinte: Don't worry, I can handle it. Auf der Party meines Sohnes, wo alles Mögliche geraucht wurde, kam er mir zunächst etwas deplatziert vor, aber bald fanden sich viele junge Leute, die sich für seine Geschichte ehrlich interessierten, einige sprachen sogar arabisch und so blieb er länger als ich.

Jedenfalls schläft Aboud noch, während ich über all das nachdenke, auf dem Weg zu meinem ersten Interview im neuen Jahr. Auch daran glaube ich: Dass, wie Hesse schreibt, jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Oder anders ausgedrückt: Dass alles, was wir zum ersten Mal im neuen Jahr machen, symbolisch für alles weitere steht, was folgt.

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Ich treffe am 1. 1. 2016 um 16 Uhr (auch so eine Glückszahl) das Flüchtlingsmädchen Dunja im Pfarrhof von Haibach im oberösterreichischen Mühlviertel (mein Interview mit der Siebenjährigen könnt ihr in der Sonntags-Krone lesen). Einem Feuerwehrmann gelang im heißen Juli der Schnappschuss, der um die Welt ging: Ein kleines Mädchen genießt das abkühlende Wasser aus den Schläuchen der Feuerwehr und ist einfach nur glücklich. Das Kultbild wurde zum Symbol für Menschlichkeit und Willkommenskultur – gerade weil es im Netz auch zum Hassposting des Jahres verleitet hat: „Ein Flammenwerfer währe (!) da die bessere Lösung.“ Wie es wohl jenem jungen Mann heute geht, dem dieser grauenvolle Kommentar eingefallen ist? Der einem Kind, das für ein paar Momente vergisst, aus welchem Land es mit seiner Familie geflüchtet ist, Verbrennungen oder gar den Feuertod wünscht?

Krone/Markus Wenzel

Dunja hat mich in vielerlei Hinsicht überrascht und beschämt. Ich hatte zwei Dolmetscher dabei, eine Syrerin, die vom Kurdischen ins Arabische, und einen Iraker, der vom Arabischen ins Englische übersetzte. Irgendwann stand Dunja auf, setzte sich zu mir und sagte leise: Ich kann auch ganz gut Deutsch sprechen. In nur fünf Monaten hat das Mädchen in der Volksschule Haibach Deutsch gelernt! Wie gut, könnt ihr im Soundbyte auf krone.at nachhören.

Krone/Markus Wenzel

Dunja hat mir auch von ihrer Flucht erzählt. Sie erinnere sich an den Marsch über die Berge bis in die Türkei und an einen großen Lastwagen, da habe man sie, ihre drei Brüder und die Mutter, gemeinsam mit einer anderen Familie hineingesteckt und sie mussten vier Tage und vier Nächte am Boden im Dunkeln sitzen. Keine frische Luft, kein Klo – nur Plastiksackerl und Plastikflaschen, die bei schnellen Stopps entsorgt wurden.Ihre Mutter ist auf der Reise krank geworden. Deshalb will Dunja einmal Ärztin werden. Dann kann ich meine Mama, wenn sie wieder krank wird, gesund machen.

Beim Abschied habe ich Dunja gefragt, was ich ihr schicken könnte. Erst sagte sie: Eine Barbiepuppe mit langen, blonden Haaren! Nach einer kurzen Nachdenkpause sprach sie mit ihrer Mutter. Der Dolmetsch übersetzte, dass sie noch einen Wunsch hätte, dass sie sich aber nicht traue, ihn auszusprechen. Ich nahm das Mädchen in den Arm und sie flüsterte: Kannst du uns helfen, dass mein Papa bald zu uns kommen kann?

Krone/Markus Wenzel

Auf der Fahrt zurück nach Wien wurde mir bewusst, dass ich Aboud noch niemals gefragt hatte, unter welchen Umständen er die Überfahrt in die Türkei und die Balkanroute bis nach Österreich geschafft hat. Es sind Geschichten, die wir nicht so gerne hören. Aber sie machen diese Menschen aus.

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