Frisuren, Falafel, Frauen.

Aboud aus Syrien wohnt jetzt seit sieben Tagen bei mir. Vieles hat sich seither verändert oder besser gesagt eine neue Dimension bekommen. Das fängt beim Frühstück an und endet bei den Spätnachrichten. Während ich ohne frisch gemahlenen African Blue mit Frischmilch und Zucker nicht wach werde, trinkt Aboud lieber Shannieneh, das ist Joghurt, aufgemixt mit Wasser und Salz. Für mich ist Dinkelvollkornbrot mit Butter und Honig die erste Mahlzeit des Tages, aber er aß in Syrien Falafel und tauchte dazu abgekühlte, frisch gebackene Chubz in Hummus.

Also suchte ich die aufgeblähten Fladen mit den typischen braunen Flecken nach dem Begräbnis von Roman Schliesser in „Little Istanbul“ auf der Simmeringer Hauptstraße (in der Türkei heißen sie Yufkas). Ich war zum ersten Mal dort und ahne jetzt, was mit Parallelgesellschaft gemeint ist. Gefunden habe ich das Chubz aber erst bei einem der arabischen Hummushändler am Naschmarkt. Als ich einen Stoß dieser Fladen nach Hause brachte, war Aboud außer sich vor Freude. „How I missed this bread“, meinte er, fasste es mit beiden Händen an wie einen wertvollen Schatz und Tränen liefen ihm über das Gesicht.

Ich kann auch Nachrichten aus Syrien nicht mehr einfach so konsumieren. Denn wenn die ZiB in der Küche läuft, sitzt auch Aboud am Tisch, und die Bomben treffen nicht irgendeine Stadt in den umkämpften Gebieten, sondern seine Heimat. „That’s how it is“ sagt er, wenn wieder Rauch über den Metropolen aufsteigt. Dann geht er in sein Zimmer und versucht, seine Eltern auf Skype zu erreichen.

Ein kleines Köfferchen, eine Plastiktasche und ein Kissen: Das waren seine Habseligkeiten, als er Sonntag vor einer Woche aus dem Containerdorf in Berg an der tschechischen Grenze in Wien ankam. Aboud ist sehr dünn und hat neugierige, freundliche Augen. Er trägt bei jedem Wetter einen weißen Strohhut aus Serbien, und sieht damit aus wie ein Dandy.

Die ersten Tage waren ausgefüllt mit Behördengängen. Magistratisches Bezirksamt, Bawag PSK (die Bank stellt Asylwerbern ein Gratis-Konto zur Verfügung, die Beamtin war superfreundlich), Asylzentrum der Caritas im neunten Bezirk. Um 5 Uhr morgens stellte sich Aboud dort in der langen Schlange an, um ab 8 Uhr eine Wartenummer zu bekommen. Er hatte die Nummer 167. Um 14 Uhr kam er dran. Jetzt hat er einen Zettel der Caritas, auf dem sein Vorsprechtermin vermerkt ist: 30. November, 13 Uhr. So lange muss er auf die 200 Euro Taschengeld pro Monat warten.

Die Mietbeihilfe beträgt 120 Euro. Aboud und ich haben vereinbart, dass er für das Wohnen einen symbolischen Euro pro Tag bezahlt. Er soll sich nicht in meiner Schuld fühlen. Den Rest wird er dringend brauchen, wenn er studieren will. Denn Nicht-EU-Bürger, und dazu zählen auch Kriegsflüchtlinge, müssen in Österreich Studiengebühren bezahlen.

Damit Aboud schneller Deutsch lernt, schreibe ich ihm Zettel. „Ich bin bei der Viennale. Werde gegen 1 Uhr zurück sein.“ Am nächsten Morgen hatte er bereits gegoogelt, welche Filme bei der Viennale gezeigt werden und wie er das Wort „zurück“ verwenden kann. Er schreibt mir auch Nachrichten, die ich korrigieren soll. „Ich bin ein Streber“, sagt er dann und grinst.

Am Samstag haben ihn seine beiden Deutschlehrerinnen aus dem Camp, Hannah und Luise aus Erfurt, besucht. Wir sind zu viert am Küchentisch gesessen, die beiden Mädchen, die in Bratislava ihr freiwilliges Sozialjahr machen und im Camp aushelfen, haben mir viel über das eintönige Leben der Flüchtlinge dort erzählt, vor allem wenn es regnet. Schließlich fasste sich Aboud ein Herz und zeigte uns ein Foto mit einer abgefuckten „Bruda“-Frisur. So möchte er sich die Haare schneiden lassen. „Das geht auf keinen Fall“, erklärte Luise mit strenger Miene. Ich mit meinen dreißig Jahren mehr auf dem Buckel nickte zustimmend. Hannah setzte noch eins drauf: „Hier bei uns sagen die Frauen, wo es lang geht!“ Wir haben alle gelacht, auch Aboud, er gab sich vorerst geschlagen. Man kann nicht früh genug mit den Basics anfangen...

Im Haushalt will er sich nützlich machen, mir etwas zurückgeben. Er räumt die Geschirrspülmaschine ein und aus, kauft Katzensand und schleppt Brennholz für die Feuerstelle in den zweiten Stock. Meine Katzen haben jetzt auch einen geduldigen Spielkameraden. Aboud spielt Fangen mit kleinen, dünnen Fäden mit ihnen und hat daran das größte Vergnügen. Vor allem meine Tigerkatze Prinzessin aus Ungarn findet er „so lovely“ und wenn er skypt, sitzt sie auf seinem Schoß. Abouds kleine Nichte in Saudi-Arabien (seine Schwestern sind dort verheiratet) will jetzt auch eine vierbeinige Prinzessin.

„It is nothing“ sagt er, wenn ich mich bedanke.

Ich warte auf den Tag, an dem er mir vielleicht  von seiner Flucht erzählt (ich war gerade in New York, als sie am 28. Juli begann). An dem wir über den Krieg in Syrien, über das Schreckensregime des Islamischen Staates, über europäische Flüchtlingspolitik, über den Islam und das Christentum Diskussionen führen werden. An dem sich unsere zwei Welten – über Frisuren, Falafel und Frauenbestimmung hinaus – eröffnen. Unglaublich spannend, so eine WG.

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Veronika Fischer

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