Nach dem Massaker im Bataclon haben wir viel geschwiegen, Aboud und ich. Ich wollte nicht aufdringlich sein mit meinen Fragen, und er sah betreten weg, wenn ich CNN Headline News aufdrehte. Einzig die Zubereitung von Mhishy vermochte ein Lächeln in seine traurigen dunklen Augen zu zaubern. Stundenlang stopfte er eine Masse aus körnigem Reis, geschnetzeltem Lammfleisch, Knoblauchstückchen, Zitronensalz, Petersilie, Minze und schwarzem Pfeffer in Berge von Melanzani, Erdäpfel und gelbe Paprika, die er zuvor mit einem eigens gekauften Messer sorgsam ausgehöhlt hatte. Er habe seine Mama oft gebeten, Mhishy für ihn zu kochen. Mhishy wird mit Lammfleisch am Knochen, Ghee und vielen Tomaten eine Stunde lang geschmort. Mhishy, behauptet Aboud, schmeckt so umwerfend, dass es sogar Heimweh lindert.
Paris. Die vielen unschuldigen Menschen, denen das Leben geraubt wurde. Die Bilder einer verwundeten Nation, unsere Anteilnahme. All das, so schien es, konnte er nur ertragen, indem er sich nach Hause sehnte.
Was denkst du? fragte ich ihn schließlich. Er antwortete nicht sofort. Ich konnte an seinem wandernden Blick sehen, dass viele Gedanken durch seinen Kopf jagten. Dann schaute er mir direkt in die Augen und es brach aus ihm heraus.
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Danke!
Was in Paris geschehen ist, sagte er, ist unfassbar. Bitte versteh‘ mich jetzt nicht falsch, Conny, ich weiß, Frankreich ist ein friedliches Land. Aber in Syrien, wo Krieg ist, geschieht sowas jeden Tag. Der einzige Unterschied ist: In Paris passiert es unerwartet, aus dem Hinterhalt. In Syrien geschieht es einfach so. Weil Personen gerade am falschen Ort sind. Weil Soldaten gerade zum Töten aufgelegt sind. In Syrien werden jede Sekunde Menschen erschossen!
Mein Freund Ayham, fuhr Aboud fort. Er maschierte wie ich bei Demonstrationen gegen das Regime mit. Am 18. Juni 2012 sah ich ihn das letzte Mal. Wir standen auf dem Balkon seiner neuen Wohnung – er musste aus Sicherheitsgründen wieder mal umziehen, ich hatte ihm beim Transport des Eiskastens geholfen – und blickten über Deir ez-Zor, unsere geliebte Stadt. Eines Tages, sagte Ayham feierlich, werden wir alle hier auf diesem Balkon sitzen als freie Menschen. Am 10. Juli schossen ihm al-Assads Soldaten in den Kopf.
Aber das ist nicht das Schlimmste, so Aboud. Das Schlimmste ist, wenn Menschen einfach verschwinden. Sein Cousin Abdulrahman war 24, als er Verwandten am anderen Ende der Stadt Essen brachte. Er kehrte nie mehr nach Hause zurück. Stell dir vor, deine Mutter weiß nicht, ob du im Gefängnis gefoltert wirst oder schon tot bist.
Und dann berichtet er mir von dem Abend, an dem er und drei Freunde von der Armee überrascht worden waren: Sechs Soldaten zerrten uns auf den Boden, untersuchten die Wohnung nach Waffen. Während sie herumschrien, richteten sie ihre Sturmgewehre des Typs-Kalashnikow auf uns. Ich zweifelte, ob sie uns am Leben lassen würden. Schließlich knöpften sie uns Handys und Geld ab und verschwanden.
Aber Menschen in Syrien, stellt Aboud klar, werden nicht nur erschossen. Sie werden abgeschlachtet mit Messern, indem ihre Kehle halb durchgeschnitten wird, sodass sie jämmerlich verbluten. Sie werden lebendig in Öfen verbrannt. Nicht nur von Verbrechern des Islamischen Staates, sondern auch von Assads Truppen, oder von Rebellen. Jeder gegen jeden. Töten, sagt Aboud leise, ist dort grauenvolle Normalität.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hab‘ keine Ahnung wieso, aber in diesem Moment fiel mir die Frage nach der Henkersmahlzeit ein. Ich erzählte Aboud, dass sie sehr beliebt in europäischen und amerikanischen Fragebögen sei. Wenn Sie zum Tode verurteilt wären, was wäre Ihre letzte Mahlzeit, bevor Sie sterben müssen? Aboud überlegte nicht lange. Mhishy, antwortete er, Mhishy bis zum letzten Atemzug.
Wir mussten beide lachen. Das nennt man wohl Galgenhumor.