Okay, es war nicht fair. Aber saukomisch, wie ein böser Witz. "Wenn ich 22 Stunden in der Woche arbeite, bin ich Dienstagmittag fertig", knurrte der Wiener Bürgermeister, als die Lehrergewerkschaft sich diese Woche wieder einmal über die Zumutung echauffierte, dass Lehrer zwei Stunden mehr pro Woche in der Klasse stehen solten. Keine Frage, dass Michael Häupl in der Sekunde meine Nummer eins für das "Krone"-Sonntagsinterview war. Beim Blödeln mit dem alten Fuchs Claus Pandi (er kann auch so furchtbar kindisch sein wie ich) fiel der Ausdruck "Häupling lose Zunge". Und das trifft es ziemlich genau. Ein Machtpolitiker, der sich in mehr als 20 Jahren an der Spitze nicht von NLP-Seminaren und Spindoktoren verbiegen hat lassen. Dem noch ab und zu was "passiert". Wie der Sager von der 22-Stundenwoche, die für ein Arbeitstier wie ihn am Dienstagmittag over ist.
Nun haben schon viele Politiker, die einen Blödsinn gesagt oder gemacht oder zumindest Aufsehen erregt haben, sich vor Interviews gedrückt. Beliebtes Argument: Man wolle "Gras über die Sache wachsen lassen" oder "erst mal die Entwicklungen abwarten".
Häupl zählt nicht zu den Zauderern und Langweilern. Die Zusage kommt prompt. Ich marschiere also am Freitag ins Rathaus und mir fällt ein, dass er vor 20 Jahren, als ich ihn das erste Mal interviewt habe, noch einen roten Toyota Corolla fuhr und im Büro gerne "Asterix und Obelix gegen die Briten" schaute.
Als ich punkt 11 Uhr habt acht stand, verhandelte er gerade noch "mid an Chines". Allein dass er beim Small Talk off records "Chines" sagt und nicht "Unternehmerpersönlichkeit aus der Volksrepublik China", macht ihn für mich liebenswert. Mit den Jahren ist der Schnauzer weiß geworden, das Kinn rund gepolstert, der Bauchumfang etwas größer. Sieht alles sehr gemütlich aus. Durch manche Sätze hat er einen Startvorteil bei mir. "Wahlkampf ist eine Zeit fokussierter Unintelligenz" ist so ein Satz. Oder, an die Opposition gerichtet: "Hören's doch auf mit Ihrem Gelaber!" Als er nach dem koalitionsinternen Zwist mit Maria Vassilakou gefragt wurde, warum er allein vor die Presse tritt, meinte er: "Wir müssen ja nicht wie das Almdudler-Trachtenpärchen daherkommen."
Vorsicht also! Denn Regel Nummer eins bei einem Interview lautet: Äquidistanz wahren, dich nicht von der Symapthie deines Gegenübers davontragen lassen.
Das mit der Sympathie funktioniert übrigens nur bei echtem Kontakt. Im Fernsehen und im Radio macht Häupl oft einen sagen wir nicht so positiven Eindruck. Da kommt er abgehoben und unwirsch rüber. Wenn er dir aber im orangen Plüschsessel seines Büros - den Plätscherbrunnenhat er übrigens in den Rathaushof verbannt! -gegenübersitzt, ist seine Schlagfertigkeit grandios und die Körpersprache eine echte Herausforderung. Was er in seinem Gesicht aufführt, verkehrt Inhalte manchmal ins Gegenteil. Vor allem sein linker Mundwinkel verrät oft, dass ihm grade noch viel Böseres einfallen würde. Dann legt er seine Stirn in Falten und quält sich stattdessen ein Lächeln ab. Schade, denkt sich da die Journalistin.
Ich erinnere mich an den Moment, in dem Häupl zum wiederholten Male gefragt wurde, ob er seinen Nachfolger bereits wüsste. Nachdem er schon hundertmal mit "Nein" geantwortet hatte, wurde es ihm zu blöd, er drehte sich zu den Journalisten und meinte: "Ja, ich weiss ihn schon, aber ich sag's euch nicht." Den genervten "Ätsch, jetzt habt ihr den Salat, ihr Idioten!"-Blick kann Print leider nicht vermitteln. Auch beim 22-Stunden-Sager grantelte Häupl enorm, seine finstere Miene deutete nicht gerade auf ein Scherzchen hin, Vielmehr konnte man herauslesen, dass er mit seiner Geduld am Ende war. Motto: Wenn ich 80 oder 90 Stunden in der Woche arbeite, dann könnt ihr Lehrergewerkschafter doch nicht von Krieg reden, wenn man es wagt, über zwei Stunden mehr pro Woche in der Klasse zu diskutieren. Sogar Peitschenhiebe wurden vom Gegner aus den eigenen Reihen zitiert - die Phantasie dieses Herrn Qu... möchte ich lieber nicht so genau kennen. Aber getroffen hat Häupl natürlich die Lehrer, denn manche Gewerkschafter wären erst kommenden Dienstag fertig, wenn sie 22 Stunden in der Woche arbeiten (der war jetzt bös).
Das "Bürgermeisterbashing" (Originalzitat Häupl) hat dem "graden Michel" jedenfalls nicht geschadet. Plus 3,5 Prozent bei seiner Wiederwahl als Landesparteiobmann sind der Beweis: Politiker sollten ihr Herz öfter auf der Zunge tragen statt politisch korrekt herumzulabern und es allen recht machen wollen. Wenn ihr das lest, sitze ich übrigens schon auf meinem Hochstand in Ungarn und schaue den Schafen auf dem Hügel hinterm Haus beim Grasen zu. Der Wind jagt seltsame Wolkenformationen über den eisblauen Himmel. Mir ist, als hätte ich in einer von ihnen gerade Häupl entdeckt, der böse grinst und schon das nächste Scherzchen ausheckt.
Fotocredit: krone.at
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