Maulkörbe, Sprechdeals und Sprachboxen

Hilfe, was hab‘ ich noch in diesem Job verloren? Ich führe jetzt seit 30 Jahren Interviews,  aber manchmal – diese Woche zum Beispiel – ist es wirklich nicht mehr lustig. Da glaubt man, die Topstory – wie die deutschen Kollegen sagen würden – „in trockenen Tüchern“ zu haben, und dann geht alles schief. Die Witwe des vielleicht doch ermordeten ehemaligen kasachischen Botschafters Rakhat Alijev – am Donnerstagnachmittag hat sie plötzlich Angst. Deren Anwälte? Geben am Montag eine Pressekonferenz und können deshalb nicht schon vorher was erzählen (sonst sind die andern Medien wieder angefressen). Das Angebot, die aus Astana eingeflogene Tochter eines der Mordopfer zu interviewen, kommt mir irgendwie unheimlich vor. Schnell abhaken das Thema und mich auf was Neues, vielleicht noch Besseres, stürzen.

Die 60-jährige Mutter von Zwillingen zum Beispiel. Interessiert das „Krone“-Publikum ohnehin mehr als ein düsterer, undurchsichtiger Kasachen-Krimi. Oder eine Fortsetzung des Hypo-Trauerspiels. Die Sprecherin des Krankenhauses Wels teilt mir mit, dass sie meine Einladung zum Interview gerne weiterleiten werde. Ich liebe Profis wie Frau Pindeus. Kompetent und noch dazu urnett. Freitagnachmittag – es ist leider schon spät - Bad News: Die Frau hat ihre Meinung nicht geändert, sie will definitiv anonym bleiben. Verständlich irgendwie. Aber Sch... Also neu denken! Oder das Thema Alijev nochmal weiterdrehen? Mit der Chefin der Justizanstalt zum Beispiel. Sollte eigentlich deren Job sein, zu erklären, wie es der Josefstadt geht mit diesem schwerwiegenden Verdacht. Aber: Sie will/kann/soll nicht reden. Was ist bloß los in diesem Land?

Mir fällt das Bild der Woche, die Gesundheitsministerin mit kahlrasiertem Kopf, ein. Ein Kollege, den ich EIGENTLICH schätze, meint, das falle in die Kategorie „Sozialpornos“. Ich tu, als hätte ich es nicht gehört. Wie gerne ich mit Sabine Oberhauser reden würde! Aber sie hat Chemo, postet trotzdem noch ein Foto mit ihren Glücksbringern. Was für eine Frau! Und wie weit weg sie ist von Maulkörben, Sprechdeals und Sprachboxen. Freitagabend schwenke ich dann – situationselastisch wie wir Journalistinnen eben sind – auf Musikantenstadl um. Andy Borg! Weit ist es gekommen. Anrufe in Nordrhein-Westfalen und in Matzendorf. Auf so viele Sprachboxen hab‘ ich schon lange nicht mehr gequatscht. Immerhin ruft mich Samstagvormittag seine Agentin zurück. Aber nur, um mir klarzumachen, dass Borg derzeit leider nichts sagen könne/dürfe. Haben alle halbwegs interessanten Gesprächspartner einen Maulkorb? Oder Deals mit Sendern? Conchita Wurst zum Beispiel, die zwar gerne ihre Biographie promoten möchte, jedoch aus Songcontest-technischen Gründen nur mit Ö3 im „Frühstück bei mir“ (schönes Interview, liebe Claudia!) sprechen darf. Da kann „Österreich“ noch so dreist behaupten, es hätte ein Interview oder gar das Buch.

Inzwischen ist es Samstagmittag geworden, meine Nerven möchte ich haben. Die kommodesten Menschen der „Krontschi“, Claudia und Manuel von der Blattplanung, werden langsam doch nervös. Sie können schließlich nicht vier Stunden vor Andruck einem Ressort eine nackerte Doppelseite umhängen (danke übrigens, Sport!). Bleibt als vorletzte Chance noch Werner Faymann. Ein spontanes Grippe-Interview vielleicht? Wir könnten einander dann gegenseitig anhusten. Oder Rainhard Fendrich, gerade 60 geworden, telefonisch, aber der ist verschollen im Urlaubsparadies. Es heißt ja, er ändere immer, bevor er auf Urlaub fahre, vorsichtshalber Handynummer und Email-Adresse. Seine Agentin ruft erst am Abend zurück, und Rudi Dolezal, der eine Doku über ihn gedreht hat und sicher Rainis alleraktuellste Mobilnummer hat, sagt auf Mailbox: „Please, do NOT leave a message!“ Thank you Rudi. Um 12.30 Uhr gebe ich k.o. Freund B. tröstet mich per Mail von seinem Blackberry 10-Smartphone: „Im Moment sind echt alle am Sand.“  Blackberrianer sind einfach gute Menschen. Und Kollegin M. schreibt mir auf Twitter: „Am besten, du vergisst diese Horrorwoche!“

Was ist der perfekte Job für dich? Ein Eignungs-Test auf Facebook (einer meiner 776 Freunde, die ich zu ungefähr 76 Prozent alle nicht kenne, hat ihn gepostet) ergab übrigens: Personenschützerin! „Du bist ein Menschenkenner, vertrauenswürdig und loyal. Du könntest wunderbar als Personenschützer/in für Sicherheit sorgen!“ Bodyguard statt Interviewerin. Das wär’s! Nur noch Schatten der Promis sein, und ihnen gar nicht mehr zuhören müssen.

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Herbert Erregger

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