Es gibt Interviews, nach denen kehre ich besonders gern in die Löwengasse zurück, wo ich seit 17 Jahren wohne. Zu „meinem“ Eisenhändler, zur Goldschmiedin, die mir jeden Morgen ein Lächeln schenkt, zu Dora, der besten Nachbarin auf diesem Planeten.

So eine Heimweh auslösende Begegnung hatte ich diese Woche mit dem Zigarrenraucher Christian, dessen Geschichte ihr heute in der „Krone“ lesen könnt. Ich bin noch immer fassungslos, was in vielen Häusern so abläuft. Da wird nicht gelächelt, da ist Krieg!

Christian raucht seit 20 Jahren, wenn die Nächte lau sind, nach Mitternacht noch eine Zigarre auf seinem Balkon. Damit ist jetzt – im Namen der Republik! – Schluss. Der Professor, der neuerdings über ihm wohnt, hat gegen Christian, untermauert mit Luftemissions-Gutachten, Zivilrechtsklage eingebracht und Recht bekommen. Der Rauch, so argumentierte er, dringe zwischen 0 und 3 Uhr in sein Schlafzimmer ein, störe die Nachtruhe und gefährde außerdem die Gesundheit.

Mit einer Kriegserklärung von nebenan hat auch Familie Z. zu kämpfen. Sie wurde von der Hausverwaltung verwarnt, weil ihre muslimischen Nachbarn sich über den Geruch des sonntäglichen Schweinsbratens beschwert hatten. Natürlich schwärzen auch Wiener ihre türkischen Gemeindebau-Mitbewohner an, wenn diese Hammelfleisch grillen. Vor Gericht werden auch Paare gezerrt, die zu oft Sex haben oder Teichbesitzer, deren Frösche zu laut quaken.

Was ich mich frage: Reden die Leute nicht mehr miteinander?  Und meine Frage gilt keineswegs nur Skurrilo-Nachbarn.

Die fehlende Bereitschaft und auch das Unvermögen, aufeinander zuzugehen, ist allgegenwärtig.  Bei Rauchern und Nichtrauchern. Bei Ballbesuchern und Demonstranten. Bei Christen und Muslimen. Bei Juden und Palästinensern. Bei Rechts und Links.

Da werden lieber Vorurteile geschürt und Feindbilder aufgebaut. Da ist Griechenlands neuer Premier ein „Geisterfahrer“ und „Euroschreck“, da sind Migranten integrationsunwillig und nützen das Sozialsystem aus, da werden Vegetarierinnern „Körndlweiber“ geschimpft und jene, die das sagen „eklige Fleischfresser“.  Da gibt es nur Schwarz oder Weiß, keine Grautöne dazwischen. Aber genausowenig, wie alle WKR-Demonstranten „Chaoten“ sind, tanzen auf dem so genannten Akademikerball nur „Reaktionäre“.  Wer so denkt, braucht über Skurrilo-Nachbarn nicht den Kopf zu schütteln.

Jeder Mensch – und auch jede Gruppe, jedes Volk  - hat seine Geschichte, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist und tut. Eine Geschichte, die die Motive seines Handelns bestimmt. Ich denke oft an das Sprichwort, das der verstorbene Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, in Interviews gern zitiert hat. Auf meine Frage, wie denn eine Annäherung zwischen Juden und Palästinensern bei den großen Verletzungen auf beiden Seiten noch gelingen könnte, meinte er: „Nur durch Reden! Die Voraussetzung für den Dialog ist jedoch, dass beide Seiten Vorurteile ablegen, versuchen, sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen, einander auf gleicher Augenhöhe begegnen. Die Indianer sagen: Urteile über niemanden, bevor Du nicht einen Tag in seinen Mokassins gegangen bist.“

In die Schuhe des andern zu schlüpfen, mir seine (ihre) Geschichte anzuhören, fordert Mut. Nicht nur Christian und dem Professor fällt das Aufeinander Zugehen schwer. Auch ich ermahne mich innerlich oft zu Toleranz (von „tolerare“ – etwas aushalten, ertragen). Manche Ansichten sind eben nur ganz schwer auszuhalten. Aber meine Glaubensgrundlagen werden nicht berührt oder infrage gestellt, wenn ich in Gedankenaustausch mit jenen trete, deren Anschauungen ich nicht teile, die ich für falsch oder sogar gefährlich halte.

Was hat der Kriegsschauplatz Naher Osten mit meiner Nachbarschaft zu tun? Respekt, Wertschätzung und Toleranz beginnt im Kleinen. Auf Balkonen, wo geraucht wird. Bei Nachbarn, die anläuten statt Klage einzubringen. Bei Menschen, die aufeinander aufpassen und füreinander da sind. In Häusern, wo in der Früh gelächelt wird. Da, wo kleine Kriege verhindert werden.

Mitunter sogar große, findet der begnadete Schauspieler und Oscar-Preisträger Morgan Freeman. Das Zauberwort heißt Freundlichkeit. „How do we change the world? One random act of kindness at a time.” Du meine Güte! Das kann doch nicht so schwer sein.

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