Wie gelähmt war ich in den letzten Wochen, was das Thema Flüchtlinge betrifft. Gereizt wie das fragile Klima in diesem Land. Die Silvesternacht von Köln, die schrecklichen Übergriffe auch bei uns, sie haben meine Vorstellung von freier Gesellschaft zutiefst verletzt. Aboud bekam diese Ambivalenz zu spüren. In einer Zeit, in der der Absatz von Pfefferspray rasant steigt, in der mich nette Menschen fragen, ob ich nicht Angst hätte, einen „Asylanten“ bei mir wohnen zu lassen, in der auf Bürgerversammlungen Stimmung gemacht wird gegen Massenquartiere, fällt es auch mir manchmal nicht leicht, sachlich zu bleiben und Distanz zu bewahren. Zuletzt bei einer Diskussion über die Vielehe im Islam.

Stimmt es, dass Muslime mehrere Frauen heiraten dürfen, fragte ich Aboud nicht gerade freundlich.

Er antwortete höflich: Ja, um genau zu sein vier Frauen, aber er muss sie sowohl finanziell als auch emotional gleich behandeln.

Darauf ich, eine Spur unfreundlicher: Das ist ja nett, wie kann so etwas bitteschön sein?

Er, sanft: Es ist eine Sache der Religion. Und es ist nicht die Regel.

Ich: Was für eine Religion ist das??

Er, merklich irritiert: Nun, es ist MEINE Religion.

Manchmal gehen wir einander dann aus dem Weg, aber spätestens das Kochen versöhnt uns wieder. Außer er zieht seine verschrumpelten Halal-Würstel aus der Konserve, die ich schrecklich finde – dann rümpfe ich meine Nase, er schaut mich fragend an und dann lachen wir beide.

Humor ist überhaupt das beste Rezept fürs Zusammenleben. Und fürs Deutschlernen. Aboud hat Riesen-Fortschritte gemacht mit Nahla, einer Freundin aus dem Libanon. Weil er als Asylwerber keinen Anspruch hatte auf einen Sprachkurs, nahm er Privatstunden (das Geld habe ich ihm vorgestreckt). Wir versuchen seither, so wenig wie möglich Englisch zu sprechen. Wenn er mir sagt: „Ich gehe zu mein Freund“, dann blicke ich ganz streng und frage: Welcher Fall? Er denkt kurz nach und sagt: Dativ! Ich gehe zu meinem Freund. Dann sage ich: Super, Eins A, gut gemacht! Und er setzt sein strahlendstes Lächeln auf.

Aboud hat auch ein Hobby gefunden. Anfang Februar kaufte er von seinem Taschengeld eine Monatskarte für das Hallenbad Brigittenau. Dorthin fährt er beinahe täglich, um seine Runden zu drehen. Und hinterlässt mir Zettel, auf denen steht: „Hey Conny! Ich gehe schwimmen. Bis bald. Aboud.“ Dazu ein Herz.

Seit dem 16. Februar ist Aboud kein Asylwerber mehr. Er ist Asylberechtigter. Aboud hat es geschafft!

Die Nacht vor der „Einvernahme zum Antrag auf internationalen Schutz“ hat er kein Auge zugemacht. Immer wieder hatte ich ihm Fragen auf Deutsch gestellt, die ihm der Beamte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich in Traiskirchen, stellen könnte. Auch „gfeanzte“ Fragen wie: Warum sind Sie nicht in der Türkei geblieben?

Er habe davon geträumt, erzählte er mir am Morgen, dass er vor einem mittelalterlichen Richter mit Schillerlocken gesessen sei, der ihn fertig gemacht und über sein künftiges Leben den Stab gebrochen habe.

Seinen Pass wolle er jedenfalls nicht mitnehmen, sagte Aboud immer wieder, Freunde hätten ihm erzählt, dass ihnen der Pass abgenommen wurde. Natürlich wird er dir abgenommen, antwortete ich, du bekommst nämlich einen Asylpass (der Pass wird den Antragstellern auch abgenommen, weil sie sonst bei negativem Asylbescheid untertauchen und in andere Länder weiterreisen könnten).

Aboud hängt an seinem Pass. Ich verstand, dass die Abgabe des syrischen Reisepasses eine Endgültigkeit hatte, die ihm wie Verrat an seiner Heimat vorkommen musste. Um 7 Uhr morgens fuhr er los, er hatte sein schönstes Hemd angezogen und war am Tag davor beim syrischen Friseur gewesen.

Sein „Richter“ war eine freundliche, kompetente Beamtin. Der Dolmetscher staunte, wie viel Aboud schon Deutsch verstand. Der positive Bescheid wurde ihm gleich mitgeteilt. „Everything went well“ stand in seinem SMS mit einem Smiley.

Zur Feier des Tages kochten wir Wildlachs, rote Linsen mit Chili, Zwiebeln und Joghurt, dazu „Enemy Rice“ – ich hatte den Basmati im Jänner aus Teheran mitgebracht. Und weil der Iran bekanntlich den syrischen Präsidenten unterstützt, hat Aboud ihn kurzerhand in „Feindes-Reis“ umgetauft.

Überhaupt muss Aboud glauben, ich hätte in Wahrheit einen Katzensitter gesucht. Ständig bin ich unterwegs in Orte, die ihm unheimlich sind. Iran, Ungarn, Dänemark. Jedesmal, wenn ich zurückkomme, fällt er mir um den Hals und sagt: I missed you! Dazu schnurren drei zufriedene Tiger.

Aboud, der am 27. März 23 Jahre alt wird, ist mir ans Herz gewachsen. Bald wird er Mindestsicherung beziehen, wir werden seine Miete (bisher 1 Euro pro Tag) deshalb neu verhandeln. Er hat nun einen Punkt erreicht, an dem er mich nicht mehr so dringend braucht. Er hat Freunde, er hat Ziele, er hat sogar eine Einladung zum ersten Ball seines Lebens. Deshalb üben wir neuerdings Walzer. Eins, zwei drei. Eins, zwei, drei.

Ich frage mich, was er aus seinem Leben machen wird. Ich stelle mir vor, wie viele Abouds es gibt, die ein bisschen Hilfe brauchen könnten. Und wie einfach alles wäre, wenn jeder, der genug Platz hat, einen Flüchtling aufnehmen würde. Aber das ist wahrlich nur ein schöner Traum.

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